Titbury widerstrebte, in der Hoffnung auf eine unvorhergesehene Hilfe, die freilich ausblieb, noch bis sieben Uhr des Abends.
Genau halb acht Uhr lieh sich Herr Inglis, liebenswürdig und höflich wie immer, anmelden.
»Morgen ist der große Tag, begann er. Es wäre gut, verehrter Herr, wenn Sie sich noch heut Abend nach Great Salt Lake City begäben…
– Wer anders hindert mich daran als Sie? rief dem Ersticken nahe Herr Titbury.
– Ich? antwortete Herr Inglis immer lächelnd. Sie brauchen sich ja nur zu entschließen, Ihre Rechnung zu begleichen…
– Hier!« sagte Frau Titbury, während sie Herrn Inglis ein Bündel Banknoten hinhielt, das ihr Gatte ihr übergeben hatte.
Herr Titbury wäre bald gestorben, als er sah, wie der Schurke das Bündel ergriff und es gemächlich durchzählte. Keines Wortes war er mächtig, als der Räuber dann sagte:
… die östliche Verzweigung der Colloradokette, schöner als die europäische Schweiz… (S. 287.)
»Es ist wohl unnöthig, daß ich Ihnen eine Quittung hierüber ausstelle, nicht wahr?… Doch seien Sie unbesorgt, ich werde Ihnen die Summe gutschreiben. Und jetzt hab’ ich Ihnen mit einem freundschaftlichen Guten Abend nur noch zu wünschen, daß Sie die Millionen des Match Hypperbone gewinnen!«
Die Thür stand offen, und ohne sich weiter aufzuhalten, stürmte das Ehepaar hinaus.
Schon war es fast Nacht und nicht einmal die nächste Umgebung zu erkennen, so daß es kaum möglich war, der Polizei den Schauplatz dieses tragikomischen Auftrittes zu beschreiben. Vor allem galt es jetzt aber, schnellstens nach Great Salt Lake City zu kommen, dessen Lichter man in der Entfernung von drei Meilen (5 Kilometer) den Crescent River stromaufwärts schimmern sah. Herr und Frau Titbury erreichten denn auch nach einer Stunde das Neue Zion, wo sie in dem ersten Hôtel, auf das sie trafen, abstiegen. So theuer wie im Cheap Hotel konnte es hier gewiß nicht sein!
Am nächsten Tage, dem 2. Juni, begab sich Hermann Titbury nach dem Bureau des Sherifs, um seine Klage anzubringen und um die Verfolgung des Robert Inglis anzusuchen. Vielleicht gelang es jetzt noch, diesem die dreitausend Dollars wieder abzunehmen.
Der Sherif – ein recht intelligenter Beamter – hörte aufmerksam die Mittheilungen des Bestohlenen über den Dieb an. Leider konnte Herr Titbury über das »Gasthaus« nur sehr unbestimmte Angaben machen. Er war des Abends dahin geführt worden… des Abends auch von dort fortgegangen. Als er vom Chape Hotel des Crescent River sprach, antwortete ihm der Sherif, daß er ein Gasthaus dieses Namens nicht kenne und daß es einen Crescent River im Lande überhaupt nicht gebe. Es werde also schwierig sein, sich des Uebelthäters zu bemächtigen, zumal da dieser sammt seinen Helfershelfern inzwischen schon entflohen sein dürfte. Selbst wenn man den Burschen eine ganze Compagnie Geheimpolizisten in das berg-und walderfüllte Land nachschicken wollte, würde das sicherlich fruchtlos sein.
»Sie sagten, Herr Titbury, fragte der Sherif, jener Mann heiße…?
– Inglis… der elende Wicht… Robert Inglis…
– Ja, ja, das ist der Name, den er Ihnen genannt hat; in Anbetracht aller Umstände zweifle ich aber nicht, daß es sich um den berüchtigten Bill Arrol handelt. Ich kenne seine Methoden schon längst… das war auch nicht sein erster Versuch…
– lind Sie haben ihn gleichwohl noch nicht verhaftet?
– Noch nicht, erklärte der Sherif; vorläufig lassen wir ihn nur sorgsam beobachten… eines schönen Tages werden wir ihn schon fassen.
– Für mich wäre es die höchste Zeit!
– Ja freilich, doch auch für ihn wird die Zeit kommen, wo man ihn elektrokuliert oder am Galgen aufknüpft…
– Und mein Geld, Herr Sherif, mein Geld…
– Ich bitte Sie, da müßte man den Teufelskerl von Bill Arrol erst erwischen, und das ist kein so leichtes Ding! Ich kann Ihnen, Herr Titbury, nur versprechen, daß Sie ein Endchen von dem Strick, womit er gehenkt wird, erhalten sollen, und wenn die Partie dann noch nicht beendigt wäre, würden Sie sicher sein, sie mit Hilfe eines solchen Talismans zu gewinnen!«
Das war alles, was Titbury bei diesem Original von Sherif der Mormonenhauptstadt erreichen konnte.
Viertes Capitel.
Die grüne Flagge.
Die grüne Flagge war die Harris T. Kymbale’s, die Flagge, die auf den Karten aufgesteckt wurde, um sein Eintreffen in dem oder jenem Staate kenntlich zu machen, und die dem vierten Partner in Uebereinstimmung mit der vierten Stelle im Sonnenspectrum, welche die grüne Farbe einnimmt, zuertheilt worden war. Der Hauptberichterstatter der »Tribune« war damit sehr zufrieden… Grün ist ja die Farbe der Hoffnung.
Er hätte sich übrigens auch nicht über die Art und Weise zu beklagen gehabt, wie das Schicksal ihn als Tourist und als Spieler behandelte. Durch das erste Auswürfeln von zwölf Augen nach Neumexiko geschickt, war ihm jetzt durch zehn – vier und sechs – Augen das zweiundzwanzigste Feld, Südcarolina, an der Grenze des Bundesgebietes, und darin Charleston, dessen bedeutendste Stadt, als Ziel angewiesen. Es war ihm überdies nicht unbekannt, daß die Wettlustigen sich in den Agenturen um ihn rissen, daß er auf allen Märkten der Erde zum Satze von eins gegen neun »verlangt« war – ein Verhältniß, das seine Mitbewerber nie erreicht hatten – und daß man ihn überall als Hauptfavoriten erklärt hatte.
Glücklicherweise hatte der Reporter bei der Abfahrt aus Santa-Fé es nicht gehört, wie Isidorio, der höchst praktische Wagenführer, erklärte, er werde nicht fünfundzwanzig Cents auf ihn zu verwetten wagen, und folglich vertraute Kymbale nach wie vor ruhig seinem guten Sterne.
In der Zeit vom 21. Mai bis zum 4. Juni sollte er sich nach dem südlichen Carolina begeben, und da die Reise von der Station Clifton aus mittels Eisenbahn jedenfalls ohne Schwierigkeiten erfolgte, hatte er keine besondere Eile.
Harris T. Kymbale verließ Santa-Fé also am 21., und diesmal kam er mit einem reichlichen Trinkgelde davon und brauchte den neuen Kutscher nicht erst mit Hunderttausenden, nicht einmal mit Hunderten von Dollars zu ködern. Noch am Abend desselben Tages traf er in der Station Clifton ein, von wo aus das Dampfroß ihn nach Ueberschreitung des Breitengrades, der die Südgrenze des Staates Colorado bildet, in Denver, der Hauptstadt dieses Bundesstaates, absetzte.
Ohne Rücksicht auf die Bemerkung des ehrwürdigen Bürgermeisters von Buffalo, nach der er nicht sich selbst, sondern den Wettenden gehöre, die auf ihn gesetzt hätten. hielt Harris T. Kymbale hier folgendes Selbstgespräch und entwarf folgende Pläne:
»Da bin ich nun in einen der schönsten Theile der Union gekommen… mit den Felsengebirgen im Westen, im Osten mit den fruchtbarsten Ebenen, mit einem von Blei, Silber und Gold gespickten Erdboden, durch den Ströme von Petroleum hinfließen… nach einem Gebiete, nach dem sich Auswanderer durch seine Naturschätze und müßige Leute durch seine prächtigen Badeorte, die Heilsamkeit seines Klimas und die Reinheit seiner Atmosphäre gleichmäßig hingezogen fühlen!… Dazu kenne ich dieses herrliche Land noch nicht und habe jetzt die Gelegenheit, es kennen zu lernen. Kann ich wohl darauf rechnen, daß mich der Zufall im Verlaufe der Partie noch einmal hierher verschlüge?… Das ist doch gar zu unsicher. Nach Südcarolina zu gelangen, hab’ ich andererseits drei bis vier Staaten zu durchqueren, die ich bereits besucht habe und die mir nichts Neues zu bieten vermögen. Da ist es wohl am besten, die ganze mir verfügbare Zeit Colorado zu widmen, und das soll denn auch geschehen. Bin ich nur am Vormittage des 4. Juni in Charleston, so weiß ich nicht, was meine Partner gegen mich einwenden könnten. Uebrigens thu’ ich, was mir gefällt, und die, denen das nicht paßt, ei nun, die mögen…« u. s. w. u. s. w.