Statt also auf der Bahn, die von hier aus Oaklay, Topeka und Kansas verbindet, seine Reise fortzusetzen, bezog Harris T. Kymbale am 21. ein hübsches Hôtel in der Hauptstadt Colorados.
Immerhin verweilte er nur fünf Tage, bis zum Abend des 26., in diesem Staate. Ein Reporter ist jedoch – das wird niemand wundernehmen – im Stande, in so kurzer Zeit mehr auszurichten, als jeder andere Mensch in der doppelten Frist. Das ist eine Sache des professionellen Trainings. Zum Beweise dürfte es genügen, einen Blick auf die Blätter des Notizbuches zu werfen, dessen sich Harris T. Kymbale dann als Unterlage zu seinen Artikeln für die »Tribune« bediente.
»22. Mai. – Denver besichtigt. Elegante Stadt; breite, schattige Straßen prächtige Läden, ganz wie in New York oder Philadelphia; Kirchen, Bankhäuser, Theater, Concertsäle, große Universität für den Fernen Westen; ungeheuere Niederlagen; luxuriöse Hôtels und Restaurants. Café Français; vorzüglich gut daselbst.
Denver gegründet 1858 an der Vereinigung des Cheery Creek und des Platte River. 1859 gab es hier erst drei Frauen. Dasselbe Jahr das erste Kind geboren. Zwanzig Jahre später fünfundzwanzigtausend Einwohner. Anhaltende Einwanderung. Heute nahezu hundertsiebentausend Seelen.
Denver genannt die Unvergleichliche, die Stadt ohne Rivalin. Luft erster Wahl, Sauerstoff erster Sorte, bei viertausendachthundertzweiundsiebzig Fuß (1485 Meter) Meereshöhe. Große Bergkette des Colorado im Westen, siebentausendfünfhundert Fuß (2286 Meter) hoch, unten ganz grün, am Gipfel stets weiß. Rund um die Stadt viele Landhäuser. Gewinne ich die Partie, so baue ich mir eines am Ufer des Cheery Creek, einem reizenden Plätzchen für eine Villegiatur. Werde Wagen, Pferde, Hunde, weiße und schwarze Diener haben. Bin vom Gouverneur des Staates sehr gut aufgenommen worden. Hat mich ermuthigt und gelobt, auch – ich glaube nicht ohne Ursache – eine große Summe auf mich gewettet.«
»23. Mai. – Ausflug bis nach den zu Städten herangewachsenen Bergmannsdörfern Auroria, Golden City, Golden Gate und Oro City, lauter Namen von gutem, doch nicht so lautem Klange wie Leadville, die Stadt des Bleies, wo jährlich von diesem einundsiebzigtausend Tonnen aus der Erde geholt werden. Eine neuere Stadt, für mich, sie zu besuchen, zu fern.«
»24. Mai. – Mit der Eisenbahn bis Pueblo (südliches Colorado) längs des Fußes der großen Bergkette. Wichtiges Industriecentrum wegen der Steinkohlengruben und der Petroleumquellen. Kaufe eine oder zwei, wenn ich die Partie gewinne. Durch Colorado Springs, genannt die Stadt der Millionäre, gekommen; berühmt durch ihre warmen Quellen, von wirklichen oder angeblichen Kranken bereits viel besucht. Die Fontaine gesehen, das ist aber ein Fluß, der Colorado Springs durchzieht und sich bei Pueblo in den Arkansas ergießt, auch den merkwürdigen Monument Park mit seinen architektonischen Felsgebilden und seinem wunderbaren Panorama. Colorado steht in den Vereinigten Staaten an erster Stelle bezüglich der Ausbeute an Blei, an zweiter bezüglich der an Silber und Gold (jährlich über hundertzwanzig Millionen) und an dritter Stelle bezüglich seiner Oberfläche von hundertviertausend Quadratmeilen (299.500 Quadratkilometer).«
»25. Mai. – Zurückgekehrt aus der Schweiz – natürlich der amerikanischen – in der östlichen Verzweigung der Coloradokette; ebenso schön wie der Nationalpark von Wyoming und vielleicht schöner als die europäische Schweiz. Ich spreche freilich als Bürger der Vereinigten Staaten. Hier findet man im Norden, in der Mitte und im Süden unvergleichlich schöne Parke. Mit welchem Entzücken erinnere ich mich des Parks von Fair Play mit seinem Rahmen majestätischer Berge, auf die der vierzehntausend Fuß (4267 Meter) hohe Lincoln herniederschaut. Habe die Jumeauxseen bewundert in einer breiten, vom Arkansas durchströmten Thalschlucht, getrennt durch eine lange Moräne, der eine zweiundeinehalbe Meile (4 Kilometer) lang und anderthalb Meilen (1∙4 Kilometer) breit, der andere etwa halb so groß. Bliebe gern vierzehn Tage in dem guten Hôtel von Derry. Habe schon beschlossen, ein Landhaus in Denver und zwei Kohlengruben in Colorado mit meinen zukünftigen Millionen anzukaufen. Warum sollte ich mir den Besitz einer Sennhütte am Ufer der Twin Lakes versagen?…
Die großen Pics der Felsenberge gesehen, die der Sierra Madre im höchstgelegenen Theile Amerikas, die Urgesteinmassen, die sich auf einer Bodenfläche von dreihundertfünfundsiebzig Meilen (571 Kilometer) Seitenlänge aufthürmen. Außer Rußland könnte man fast die größten Staaten Europas darauf unterbringen. Das wahrhafte Rückgrat Nordamerikas, das mit seinen westlichen Ausläufern ein Viertel der Vereinigten Staaten bedeckt Nehmt die Alpen, die Pyrenäen und den Kaukasus zusammen, und das reichte noch nicht aus, die Felsengebirge aufzubauen!
Keine Zeit gehabt, nach dem Sainte-Croixberge zu gehen, der das Nordende der nationalen Bergkette bildet und 1873 von Hayden und Whitney bei deren Forschungsreise durch diese Gegend seinen Namen erhielt. Bin aber durch die Pforte des Gartens der Götter in diesen selbst (vier Meilen von Colorado Jonction) eingedrungen, einen Park ohnegleichen, dessen Felsbildungen versteinerten Riesen einer antediluvianischen Familie ähneln, und bin am Fuße des Teocalli hingewandert, der eine Art Burggrafenschloß darstellt, das in der lustigen Höhe von zweitausendfünfhundert Fuß (762 Meter) erbaut wäre.
Ich darf jedoch nicht säumen, nicht vergessen, daß der Gouverneur von Colorado und nicht wenige seiner Beamten, soviel ich weiß, auf mich gewettet haben. Am 26. also nach Denver zurückgekehrt, die Baustelle meines zukünftigen Landsitzes besichtigt, die von prächtigen Baumriesen an einem Arm des Cheery Creek beschattet wird.«
Harris T. Kymbale hat im Vorstehenden der Hauptstadt Colorados und dem gleichnamigen Staate nicht zu viel Schönes nachgesagt. Doch wie viel Blut hat der Boden dieses herrlichen Landes getrunken! Vor 1867 lagen hier die ersten Ansiedler in stetem Kampfe mit den Cheyennen, den Arrapahoen, den Kaysways, den Comanchen, Apachen und anderen wilden Sippen der Rothhäute, die von grausamen Häuptlingen, wie Schwarzer Kessel, Weiße Antilope, Linke Hand, Verrenktes Knie, Kleiner Mantel u. a., angeführt wurden. Wer könnte je die schrecklichen Metzeleien von Sand Creek vergessen, die 1864 den Weißen unter Führung des Oberst Chivington zuerst die Herrschaft im Lande sicherten?
Den Nachmittag des 26. verbrachte die grüne Flagge in der glänzenden Hauptstadt. Hier war im Regierungspalaste zu Ehren des Reisenden eine große Gesellschaft versammelt worden. In den Vereinigten Staaten mißt man den Werth eines Mannes bekanntlich an seinem Vermögen, und in der Meinung der Coloradier wie seiner eigenen Ansicht nach war Harris T. Kymbale sechzig Millionen Dollars werth. Er sah sich also von den prunkliebenden Amerikanern seinem Verdienste entsprechend gefeiert, von den Leuten, die Gold nicht nur in ihren Geldschränken, in ihren Taschen und ihrem Erdboden besitzen, sondern es auch noch in den Namen ihrer bedeutendsten Städte haben!
Harris T. Kymbale erhob den Revolver bis zur Stirnhöhe. (S. 294.)
Am nächsten Tage, am 27. Mai, verabschiedete sich der vierte Partner vom Gouverneur, inmitten eines großen Zusammenlaufes ihm zujubelnder Leute. Der Zug verließ Denver, erreichte die Grenze beim Fort Wallace, durchmaß Kansas von Westen nach Osten, rollte dann durch Missouri an dessen Hauptstadt Jefferson City vorüber und hielt endlich an seinem östlichen Ziele am Abend des 28. im Bahnhofe von Saint-Louis.
Harris T. Kymbale beabsichtigte nicht, in dieser großen, ihm schon bekannten Stadt zu verweilen, und hoffte auch, durch die Wechselfälle des Spieles niemals hierher verwiesen zu werden, denn die Stadt entsprach dem zweiundfünfzigsten Felde, d. h. im Edlen Gänsespiele dem des Gefängnisses. Ueberdies versprachen ihm die Staaten, die er vor dem Eintreffen in Südcarolina berühren mußte, Tennessee, Alabama und Georgia, weit lohnendere Ausflüge. So erwählte er sich also nur eines der besten Hôtels von Saint-Louis, um hier eine Nacht der ihm recht nöthigen Ruhe zu pflegen und am nächsten Tage mit dem ersten Zuge weiter zu fahren.