Nach dem immerhin ermüdenden Wege ließen sich die Touristen gar nicht bitten, wieder nach der Galerie zurückzukehren, die nach dem Eingange zu den Grotten führt, und hierher noch lieber, als nach einem anderen Ausgange durch den Dom von Ammath, der zwar auch ziemlich in der Nähe des Hotels liegt, doch nur auf langem Umwege zu erreichen ist.
Eine vorzügliche Mahlzeit und eine Nacht ungestörter Ruhe gaben den beiden Freundinnen für den morgigen Ausflug die nöthigen Kräfte wieder.
Der Besuch dieser wunderbaren Höhlen – ein Spaziergang durch die verzauberte Welt von Tausend und einer Nacht – ohne dabei Dämonen oder Gnomen zu begegnen, lohnt übrigens reichlich die damit verbundene Anstrengung, und Jovita Foley gestand auch gerne zu, daß das sich hier bietende Schauspiel die Grenzen der menschlichen Phantasie überschreite.
Die energische kleine Person legte denn auch fünf Tage hintereinander Proben einer Ausdauer ab, woran die der anderen Touristen, selbst die der Führer, nicht heranreichte; sie bestand darauf, alles zu sehen, was man bisher von den berühmten Grotten kannte, und bedauerte nur, nicht auch bis zu deren unbekanntem Theile vordringen zu können. Was sie aber that, konnte Lissy Wag nicht ausführen, und diese mußte deshalb schon am dritten Tage bitten, sie mit weiterer Anstrengung zu verschonen. Sie war ja auch erst unlängst ernstlich krank gewesen und durfte sich nicht zu viel zumuthen, um an der Fortsetzung der Reise nicht gehindert zu werden.
Die letzten Ausflüge machte Jovita Foley also ohne die Begleitung Lissy Wag’s.
So besuchte sie noch die Höhle des Riesendomes, deren Decke sich in einer Höhe von fünfundsiebzig Toisen (146 1/4, Meter) ausspannt, das Sternenzimmer, dessen Wände mit Diamanten und anderen Edelsteinen, die im Fackelscheine erglänzen, besetzt zu sein scheinen, ferner die Clevelandallee, deren Seiten wie mit seinen Spitzen und mineralischen Blüthen verziert sind, den Ballsaal mit seinen von einer weißlichen Ausschwitzung schneeähnlichen Mauern, die Felsenberge, eine Anhäufung von Felsblöcken und hohen Pics bei deren Anblick man glauben möchte, daß die Bergketten von Utah und Colorado sich bis ins Innere der Erde fortsetzten, und endlich die Feengrotte mit ihren reichen, von unterirdischen Quellen gebildeten sedimentären Formationen, mit Bogen, Pfeilern, selbst einem riesenhaften Baume, einer Palme aus Stein, die bis zur Deckenwölbung dieses vier Lieues vom Haupteingange der Mammuthhöhlen gelegenen Saales emporragt.
Und welche nie verblassende Erinnerung mußte die unermüdliche Besucherin davon mitnehmen, als sie nach Durchschreitung des Portals des Domes von Goran in einem Boote den Lauf des Styx hinunterglitt, der sich wie ein Jordan der Unterwelt zuletzt in das Todte Meer ergießt.
Wenn es wahr ist, daß im Wasser des biblischen Flusses kein Fisch leben kann, so liegt das anders bezüglich dieses unterirdischen Sees. Hier fängt man massenhaft Siredonen und Cypronidonen, deren optischer Apparat völlig verkümmert ist, wie der einzelner augenloser Arten, die in mehreren Gewässern Mexikos vorkommen.
Das sind die unvergleichlichen Wunder dieser Grotten, die bis jetzt nur einen Theil ihrer Geheimnisse enthüllt haben. Wer weiß, welche Merkwürdigkeiten sie noch enthalten, und vielleicht entdeckt man dereinst gar eine ganze, nie geträumte Welt in den Eingeweiden der Erde.
Endlich schlugen die letzten Stunden der fünf Tage, die Jovita Foley und ihre Gefährtin bei den Mammuthhöhlen zubringen sollten. Am 6. Juni mußte die Depesche im Comptoir des Hôtels selbst eintreffen.
Bei dem Interesse, das die hier wohnenden Touristen der fünften Partnerin entgegenbrachten, verging der Vormittag des nächsten Tages gewiß unter fieberhafter Spannung… einer Ungeduld, von der Lissy Wag vielleicht als einzige nicht gar viel empfand.
Bei der Tafel am heutigen Abend wiederholten sich die Toaste des ersten Tages nur umso lauter und wärmer. Urkräftig erschallten die Hurrahs, als John Hamilton, entsprechend der von den Gouverneuren geübten Gepflogenheit, Frauen in ihren Generalstab aufzunehmen, Lissy Wag zum Oberst und Jovita Foley zum Oberstlieutenant in der Miliz von Illinois ernannte.
Fühlte sich die immer bescheidene eine der neuen Officiere durch so viel Ehren etwas bedrückt, so nahm die andere diese entgegen, als hätte sie schon ihr Leben lang die Uniform getragen.
»Nun, Fräulein Oberst, rief Jovita Foley, als beide sich ziemlich spät nach ihrem Zimmer zurückbegeben hatten und sie militärisch grüßte, sagen Sie, mache ich meine Sache recht?
– Das ist die reine Thorheit, antwortete Lissy Wag, und ich fürchte, es wird ein schlechtes Ende nehmen…
– Willst Du schweigen, meine Liebe, oder ich vergesse, daß Du meine Vorgesetzte bist, und verletze den nöthigen Respect!«.
Damit gab sie der Freundin einen herzlichen Kuß, legte sich nieder und träumte natürlich sofort, daß sie zur »Generalin« ernannt worden sei.
Schon um acht Uhr am nächsten Morgen belagerten die Insassen des Hôtels das Zimmer mit dem Telegraphenapparat in Erwartung der durch Meister Tornbrock von Chicago abzusendenden Depesche.
Es wäre zu schwierig, die Erregung der theilnahmsvollen Menge zu schildern, die die beiden Freundinnen umringte. Wohin sollte das Schicksal sie verschlagen?… Würden sie vielleicht nach dem äußersten Ende Amerikas geschickt?… Gewannen sie einen größeren Vorsprung gegenüber ihren Mitbewerbern?…
Eine halbe Stunde später ertönte die Glocke des Apparats.
Es kam eine Depesche für Lissy Wag, Kentucky, Mammoth Hotel, Mammuthhöhlen.
Da entstand eine tiefe, man möchte sagen, religiös feierliche Stille innerhalb und außerhalb des Telegraphenzimmers.
Und welches Erstaunen, welche Enttäuschung, ja welche Verzweiflung, als Jovita Foley mit bebender Stimme den Inhalt des Telegrammes vorlas.
»Vierzehn, durch zu verdoppelnde sieben Augen, zweiundfünfzigstes Feld, Saint-Louis, Staat Missouri.
Tornbrock.«
Das war das Feld mit dem Gefängnisse, wo Lissy Wag unter Zahlung des dreifachen Einsatzes bleiben mußte, bis ein nicht weniger unglücklicher Partner sie durch Besetzung ihres Platzes erlöste!
Louisville. – Die Markett Street.
Sechstes Capitel.
Das Thal des Todes.
Die Besucherin glitt in einem Boote den Lauf des Styx hinunter. (S. 310)
Am Morgen des 1. Juni rollte von Stakton, einer kleinen californischen, am ehemaligen Seebecken des San Joachim gelegenen Stadt aus, ein Bahnzug mit größter Geschwindigkeit in der Richtung nach Südosten hin.
Der nur aus der Locomotive, einem Personen-und einem Packwagen bestehende Zug war außerfahrplanmäßig drei Stunden vor dem abgedampft, der durch die südlichen Gebiete von Californien auf der Bahnlinie von Sacramento nach der Grenze von Arizona hin läuft.
Mit seinen hundertachtundfünfzigtausend Quadratmeilen (455.000 Quadratkilometern) nimmt der Staat Californien in der amerikanischen Conföderation den zweiten Platz ein. Er ist im Norden und im Süden nur durch zwei Breitengrade begrenzt, im Osten durch eine gebrochene Linie, deren Winkelspitze den Tahoesee und den Colorado River berührt, und im Westen durch den Großen (Stillen) Ocean, der sein Uferland auf eine Strecke von sechshundert Meilen (965 Kilometer) benetzt.