Bis hierher war das Land nicht ganz menschenleer gewesen, wenn die darauf verstreuten Farmen auch recht weit von einander lagen. Man begegnete noch zuweilen Landleuten auf dem Wege von einer Ansiedlung zur anderen, oder auch Gruppen von Mohaw-Indianern, denen das Gebiet früher gehörte. Als Leute, die über nichts mehr erstaunten, betrachteten diese ruhig das mechanische Gefährt, das ihnen sicherlich zum erstenmale vor Augen kam. Dem Erdboden fehlte es ebenfalls noch nicht gänzlich an Vegetation; er trug da und dort Gebüsche von Creozoten, Gruppen von Mezquiten, Bouquets von Yuccas und Riesencacteen, von denen manche bis acht Toisen (15∙60 Meter) maßen, kurz, Vertreter aller Pflanzenfamilien der Wälder Nevadas.
Freilich war das hier nicht das berühmte Gebiet von Calaveras und von Mariposa, das mit den Baumwundern, dem »Vater des Waldes« und der »Mutter des Waldes«, jenen Riesen, die eine Höhe von mehr als dreihundert Fuß (91 1/2, Meter) haben.
Wäre Hodge Urrican, statt nach dem Death Valley gewiesen zu sein, nach dem Yosemitethal im Osten von San Francisco, nach dem mittleren Theile der Sierra Nevada zu, geschickt worden, oder wär’ es vielmehr Max Real gewesen, den ein gütiges Geschick dahin geführt hätte, welch herrliche Erinnerungen hätte er – selbst nach den Wundern des Nationalparks von Wyoming – davon mit nach Hause genommen, Erinnerungen an diesen zweiten Park, der noch über dem zweitausend Toisen (3900 Meter) hohen Syellberge liegt, an dessen Naturschönheiten mit den charakteristischen Namen, wie dem der »Großen Cascade« von fünfhundert Fuß (152 Meter), dem »Wasserfall des Frühlings«, des »Spiegelsees«, der »Königsbogen«, der »Kathedrale«, der »Washingtonsäule« u. a., die alljährlich von Tausenden von Lustreisenden bewundert werden.
Endlich erreichte das Automobil die Grenze der Wüstenei, von der die Erdsenkungen des Death Valley ausstrahlen. Hier herrschte die Stille des Todes. Menschen oder Thiere waren nicht mehr zu erblicken, nur der Sonnenbrand lag auf der endlosen Ebene, die kaum noch Spuren halb abgestorbener Vegetation zeigte. Weder Pferde noch Maulesel hätten hier Futter finden können. und es war ein Glück, daß die Maschine des Wagens nur Petroleumgas brauchte, um diesen fortzubewegen. Da und dort erhoben sich höchstens vereinzelte Foot-hills, Hügel von sehr mäßiger Höhe und umgeben von Chapparals, das sind Dickichte dürrer Pflanzenarten. Der drückenden Tageshitze folgten die trockenen und kalten californischen Nächte, deren Rauheit durch keine Thaubildung gemildert wird.
In dieser Weise erreichte der Commodore Urrican am 3. Juni das Ende der Teleskope Ranges, die das Death Valley im Westen umschließen.
Es war gegen drei Uhr des Nachmittags. Die Fahrt hatte, ohne jede Rast und jeden Unfall, fünfzig Stunden gedauert.
Mit vollem Rechte hat die öde Gegend mit ihrem thonigen Boden, der stellenweise mit salzigen Ausschwitzungen bedeckt ist, den Namen »Land des Todes« bekommen. Das Thal, womit dieses nahe an der Grenze von Nevada endigt, ist im Ganzen weiter nichts als ein neunzehn Meilen (30 1/2 Kilometer) breiter und hundertzwanzig Meilen (193 Kilometer) langer Canon (eigentlich Felsenspalt), dessen Boden von Vertiefungen durchlöchert ist, die bis zu dreißig Toisen (58 1/2 Meter) unter die Meeresfläche hinabreichen. An seinen Rändern stehen, wie überhaupt in der ganzen trostlosen Landschaft, nur dürftige Pappeln, krankhaft blasse Weidenbäume, dürre und spröde Yuccas mit zugespitzten Blättern, häßliche Beifußkräuter und Tausende von Exemplaren jener blätterlosen Cactusarten, die in Californien Petalinas genannt werden und nur aus Zweigen bestehen, wirkliche Trauercandelaber, die auf dem Felde des Todes aufragen.
Das Death Valley war, nach der Ansicht Elisée Reclus’, in einer früheren geologischen Epoche zweifellos das Bett eines Flusses, der sich heutigen Tages schon im Soda Lake verliert, und das jetzt nur noch durch den Creek von Amargoza bewässert wird. Die steilen Thalwände starren von Salznadeln, in ihrer Aushöhlung lagern Massen von Borax, und von einigen Dünen wird durch die Luftströmungen, die hier zuweilen sehr heftig auftreten, staubiger Sand ins Thal getrieben.
Ja, dieses Thal des Todes war von dem excentrischen Testator vortrefflich ausgewählt für den unglücklichen Partner, der im vollen Gange hier aufgehalten wurde.
Der Commodore Urrican war also am Ziele der beschwerlichen Fahrt angelangt. Er machte am Fuße des Kammes der Funeral Mounts Halt, die ihren Namen zum Andenken an die Karawanen erhalten haben, welche an dieser Unglücksstelle den Untergang gefunden hatten. An der nämlichen Stelle gebrauchte Urrican die Vorsicht, eine Urkunde aufzusetzen, die seine Anwesenheit im Death Valley am 3. Juni bescheinigte, ein Schriftstück, das, nachdem es von Turk und den beiden Führern des Automobils gegengezeichnet war, unter einem Felsblock verscharrt wurde.
Hodge Urrican verweilte kaum eine Stunde an der Schwelle dieses Thales des Todes. Er mußte diese traurige Gegend auch in der That schnellstens wieder verlassen, um auf dem schon einmal befahrenen Wege nach Keeler zurückzukommen. Da that er zum erstenmale den Mund wieder auf.
»Abfahren!« war das einzige Wort, das er hervorstieß.
Immer von der Witterung begünstigt, rollte das Automobil über den höheren Theil der Wüste der Mohaws, dann durch die Pässe von Nevada hinunter und erreichte nach achtundvierzig Stunden, am 5. Juni, elf Uhr vormittags, ohne Unfall die Station Keeler.
Mit drei Worten, doch drei sehr kräftigen Worten, erstattete Urrican seinen Dank dem Wagenführer und dessen Gehilfen, die bei der Erfüllung ihrer anstrengenden Aufgabe so viel Eifer und Geschicklichkeit bewiesen hatten. Darauf wendete er sich wieder an Turk.
»Abfahren!« rief er.
Der Sonderzug stand zur Abfahrt bereit im Bahnhofe und wartete nur auf die Rückkehr des Commodore. Hodge Urrican ging sofort auf den Locomotivführer zu.
»Abfahren!« wiederholte er.
Ein schriller Pfiff und die Locomotive flog über die Schienen bald mit größter Schnelligkeit dahin. Sieben Stunden später machte sie in Reno Halt.
San Francisco. – Die Chinesenstadt.
Die Union Pacific benahm sich unter den vorliegenden Verhältnissen in wünschenswerthester Weise. An ihren streng einzuhaltenden Fahrplan gebunden, hätte sie ihre Fahrzeiten auch nicht um eine Minute verkürzen oder verlängern können. Der Zug brauste über die Felsenberge, durch Wyoming, Nebraska, Yowa, nebst einem Theile von Illinois und langte am 8. Juni neun Uhr siebenunddreißig Minuten morgens in Chicago an.
Welch guten Empfang fand hier der Commodore Urrican seitens derer, die ihm trotz allen Mißgeschicks treu geblieben waren! Die Verpflichtung, die Partie nun wieder von vorn anzufangen, zeugte freilich von recht außergewöhnlichem Pech. Mit dem Ausfall des Würfelns am Tage seines Eintreffens in Chicago schien Fortuna der orangefarbenen Flagge aber wieder freundlicher lächeln zu wollen.
Der Commodore verscharrte das Schriftstück unter einem Felsblock. (S. 327.)
Neun durch sechs und drei – es war das drittemal, daß diese Zahl seit dem Anfange des Match Hypperbone geworfen worden war – das erstemal für Lissy Wag, das zweitemal für den unbekannten X. K. Z. und das drittemal für den Commodore.
Nachdem Hodge Urrican erst nach Florida und dann nach Californien gewiesen worden war, hatte er jetzt nur einen Schritt zu thun, um sich in das sechsundzwanzigste Feld, den an Illinois grenzenden Staat Wisconsin zu begeben, wo sich zur Zeit keiner der Partner aufhielt. In den Wettbureaus schnellte sein Curs wieder in die Höhe und stand bald mit dem Tom Crabbe’s und Max Real’s auf gleicher Stufe.