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Siebentes Capitel.

Im Hause der South Halsted Street.

Am 1. Juni um acht Uhr morgens öffnete sich die Thür des Hauses South Halsted Street Nr. 3997 in Chicago vor einem jungen Manne, der Malergeräthe auf dem Rücken trug und dem ein junger Neger mit einer Reisetasche in der Hand folgte.

Welches Erstaunen und welche Freude für Frau Real, als ihr geliebter Sohn ins Zimmer trat und sie ihn in die Arme schließen konnte.

»Du… Max… bist Du es wirklich?…

– In eigener Person, Mutterherz!

– Und jetzt in Chicago… wo Du in…

– Richmond sein solltest? vervollständigte Max Real ihre Worte.

– Jawohl… in Richmond!…

– Beruhige Dich nur, liebe Mutter. Ich habe Zeit genug, nach Richmond zu kommen, da Chicago aber auf meiner Reiseroute lag, hatte ich – meiner Meinung nach – das Recht, hier einige Tage zu verweilen und sie mit Dir zu verleben…

– Du läufst aber Gefahr, den Anschluß zu verfehlen, liebes Kind!

– Ich würde es aber nie verfehlt haben, Dich unterwegs einmal zu umarmen, mein Mütterchen!… Bedenke nur, seit zwei langen Wochen hab’ ich Dich nicht gesehen!

– Ach, Max, wie sehn’ ich mich danach, daß diese Partie beendigt wäre…

– Und ich nicht minder!

– Natürlich zu Deinen Gunsten!

– Sei darüber ganz ruhig! Ist mir’s doch, als hätt’ ich den Schlüsselbund zu William I. Hypperbone’s Panzerschrank schon in der Tasche, antwortete Max Real lachend.

– Jedenfalls bin ich glücklich, Dich einmal zu sehen, lieber Sohn… recht, recht glücklich!«

Max Real befand sich in Cheyenne in Wyoming, wo er am 29. Mai, nach der Rückkehr von seinem Ausfluge nach dem Nationalpark des Yellowstone, die dritte, ihn betreffende Depesche – acht durch fünf und drei Augen – ausgehändigt bekam. Das achte Feld nach dem von Wyoming eingenommenen achtundzwanzigsten aber war Illinois. Er hatte die Zahl acht also zu verdoppeln, und die Zahl sechzehn führte den jungen Maler nach dem vierundvierzigsten Felde, nach Richmond City in Virginien.

Zwischen Chicago und Richmond liegt ein sehr verzweigtes Netz von Bahnen, die die Strecke von der einen Stadt zur anderen binnen vierundzwanzig Stunden bequem zu durchmessen gestatten. Da Max Real jetzt vierzehn Tage – vom 29. Mai bis zum 12. Juni – zur Verfügung hatte, konnte er diese nach Belieben hinbringen, und es erschien ihm angezeigt, wenigstens eine Woche im Mutterhause der Ruhe zu pflegen.

Von Cheyenne am Nachmittage abgereist, war er achtundvierzig Stunden später in Omaha und den Tag darauf in Chicago ebenso in vollem Wohlsein eingetroffen, wie der für die Sclaverei schwärmende Tommy, der sich als freier Bürger des freien Amerika noch immer ebenso unbehaglich fühlte, wie ein armer Teufel in Kleidern, die ihm viel zu weit sind.

Während seines Aufenthaltes wollte Max Real zwei unterwegs angefangene Bilder vollenden, das eine die Stadt Kansas nahe dem Fort Riley, das andere die Wasserfälle des Fire Hole im Nationalpark darstellend. In der Ueberzeugung, die beiden Gemälde zu anständigem Preise zu verkaufen, sollte ihn das schadlos halten, wenn ein ungünstiges Geschick ihn etwa verurtheilte, im weiteren Verlaufe seiner Fahrten wiederholt Einsätze zu entrichten.

Entzückt, den geliebten Sohn einige Tage bei sich zu haben, stimmte Frau Real dessen Absichten nach allen Seiten zu und drückte ihn nochmals stürmisch aus Herz.

Nun plauderten die beiden, erzählten allerlei und verzehrten ein gutes Frühstück, das zwischen Mutter und Sohn getheilt ja um so besser schmeckte und den jungen Mann für die Restaurants in Kansas und Wyoming reichlich entschädigte. Obgleich er mehrmals an Frau Real geschrieben hatte, mußte er doch über seine Reise vom ersten Anfang an noch einmal berichten, die verschiedenen Zwischenfälle schildern, das Abenteuer mit den Tausenden durch die Ebenen von Kansas irrenden Pferden beschreiben und seine Begegnung mit dem Titbury’schen Ehepaare in Cheyenne haarklein erzählen. Daraufhin erfuhr er durch seine Mutter erst die Unannehmlichkeiten, die das Ehepaar im Staate Maine in Calais erlebt hatte, daß Titbury auf Grund des Gesetzes bezüglich alkoholischer Getränke verurtheilt und verhaftet worden sei und welch schlimme pecuniäre Folgen das noch für ihn gehabt habe.

»Und wie steht es jetzt im Ganzen mit der Partie?« fragte Max Real.

Um ihn darüber leichter aufzuklären, führte Frau Real den jungen Mann in ihr Zimmer und wies auf eine auf dem Tische ausgebreitete Landkarte hin, die mit kleinen, verschieden gefärbten Flaggen besteckt war.

Bei seinen Fahrten durch das weite Land hatte sich Max Real nur wenig um seine Mitspieler bekümmert und in den Hôtels und Bahnhöfen die aufliegenden Zeitungen kaum angesehen. Jetzt brauchte er nur diese Karte zu besichtigen, um sofort, wenn er die Farben eines jeden der Sieben kannte, auf dem Laufenden zu sein. Seine Mutter hatte übrigens die Wechselfälle des Match Hypperbone von Anfang an gewissenhaft verfolgt.

»Wer ist nun, fragte er zuerst, diese blaue Flagge, die sich an der Spitze befindet?

– Das ist die Tom Crabbe’s, mein Sohn, den das gestrige Auswürfeln, das vom 31. Mai, nach dem siebenundvierzigsten Felde, dem Staate Pennsylvanien, verwiesen hat.

– Ei, Mutterherz, da wird sein Traineur John Milner aber jubeln! Wenn aber der dumme Boxer, dieser Fabrikant von Faustschlägen, davon das Geringste begreift, soll sich der Ocker auf meiner Palette gleich in Scharlach verwandeln!… Und die rothe Flagge?

– Die des X. K. Z., die sich auf dem sechsundvierzigsten Felde, dem des Districts von Columbia, befindet.«

Dank der vorgeschriebenen Verdoppelung von zehn, also durch zwanzig Augen, hatte der Mann mit der Maske in der That einen Sprung über zwanzig Felder, von Milwaukee in Wisconsin bis nach Washington, dem Sitze der Regierung der Vereinigten Staaten, machen können, der ihm durch das engmaschige Bahnennetz in den betreffenden Landestheilen wesentlich erleichtert worden war.

»Man hat noch immer keine Ahnung, wer der Unbekannte ist? fragte Max Real.

– Nicht die geringste, liebes Kind.

– Ich bin überzeugt, Mutter, daß er in den Agenturen eine wichtige Rolle spielt und daß viele hohe Wetten auf ihn eingegangen werden.

– Ja, viele Leute glauben an seine Gewinnaussichten, und ich gestehe, auch mir flößt er gewisse Befürchtungen ein.

– Da sieht man, was es bedeutet, eine geheimnißvolle Persönlichkeit zu sein!« erklärte Max Real.

Auf die Frage, ob sich jener X. K. Z. augenblicklich in Chicago befinde oder bereits nach dem District Columbia abgereist sei, hätte kein Mensch antworten können. Und doch verdient es Washington, wenn es auch nur der Mittelpunkt der Bundesverwaltung und ohne Industrie und Handelsverkehr ist, ganz gewiß, ihm wenigstens einige Tage zu opfern.

In freundlicher Lage, unsern der Vereinigung des Potamac und der Anacostia, sowie durch die Chesapeakebai mit dem Ocean verbunden, zählt die Bundeshauptstadt, selbst außer der Zeit, wo die Tagung des Congresses ihre Bevölkerung fast verdoppelt, nicht weniger als zweihundertfünfzigtausend Einwohner. Zugegeben, daß der Bundesbezirk so beschränkt ist, daß er die letzte Stelle unter den Staaten der amerikanischen Republik einnimmt, so entspricht die Stadt nichtsdestoweniger ihrer hohen Bestimmung. Zuerst bestand sie eigentlich nur aus ihren größten Bauwerken, die auf den Gebieten der Tuscazoras und der Monacans errichtet worden waren; jetzt aber hat sie sich schon über mehrere benachbarte Orte hin ausgedehnt.

Der siebente Partner hätte, wenn er damit noch nicht bekannt war, die herrliche Architektur ihres Capitols auf seinem nach den Potamac zu abfallenden Hügel, die drei Gebäudetheile bewundern können, die für den Senat, die Deputiertenkammer und den Congreß bestimmt sind, worin sich also die gesammte Vertretung des Volkes vereinigt, und darüber die hohe eiserne Kuppel mit der sie krönenden Figur der Amerika, ihre Säulenringe und doppelte Colonnade mit den Basreliefs, die sie schmücken, und den Statuen, die sie beleben.