Bei ihrer Ermüdung und Bestürzung beachteten die beiden Titburys fast gar nicht den feierlichen Empfang, der ihnen vom Hôtelpersonal zutheil wurde. Ein Haushofmeister in schwarzer Kleidung führte sie nach ihrem Zimmer. Ganz geblendet, sahen sie jetzt gar nichts von der verschwenderischen Pracht, die sie umgab; erst am nächsten Morgen machten sie sich ernstere Gedanken über die ganz außerordentliche Einrichtung des Hôtels.
Nach ruhig verbrachter Nacht in dem mit vornehmer Bequemlichkeit ausgestatteten Zimmer, dessen Doppelfenster das Geräusch von der Straße ausschlossen, erwachten sie unter dem milden Schimmer einer elektrischen Glühlampe, die die ganze Nacht hindurch gebrannt hatte. Das durchsichtige Zifferblatt einer kostbaren Standuhr zeigte die achte Stunde.
Am Kopfende des breiten Bettes, worin sie traumselig geschlafen hatten, befand sich, für die Hand bequem erreichbar, eine Reihe von Tastern, die nur auf einen Fingerdruck warteten, um das Stubenmädchen oder den Zimmerkellner herbeizurufen. Durch andere Taster konnte man sich ein Bad, das erste Frühstück oder die Morgenzeitungen bestellen, und – was Reisende, die frühzeitig aufstehen mußten, vor allem bedurften – auch das Zimmer wieder dem Tageslicht öffnen lassen.
Auf den letzterwähnten Knopf drückte jetzt der krumme Zeigefinger der Frau Titbury.
Sofort wichen die dichten Stores der Fenster mechanisch auseinander, draußen hoben sich die Persiennes in die Höhe und die Strahlen der Morgensonne flutheten in das schöne Zimmer.
Herr und Frau Titbury starrten einander an. Sie wagten kein einziges Wort zu sprechen, und legten sich nur die stumme Frage vor, ob ihnen hier nicht jedes Wort eines gesprochenen Satzes schon einen Piaster kosten werde.
Der Luxus im Zimmer war ganz unerhört: Möbel, Tapeten, Teppiche, selbst die broschierten Seidenpolster an der Wand – alles von unvergleichlicher Pracht.
Das Ehepaar erhob sich und betrat ein angrenzendes Cabinet mit erstaunlichem Comfort; da fanden sich Waschtoiletten mit Hähnen für warmes, laues und kaltes Wasser, Pulverisateure, die seine, wohlriechende Tröpfchen zu sprühen bereit waren, verschiedenfarbige Seifen von köstlichstem Wohlgeruch, Schwämme von unvergleichlicher Weichheit und Handtücher von schneeiger Weiße.
Nachdem sie sich angekleidet hatten, wagten sich die beiden Leutchen durch die weiteren Räumlichkeiten – eine vollständige Wohnung. Dabei gelangten sie nach einem größern Speisezimmer, dessen Tisch mit Silber-und Porzellangeschirr beladen war. nach einem Empfangssalon mit unerhört luxuriösem Mobiliar, Kronleuchter, Gemälden von Meisterhand, kunstvollen Bronzen und Gardinen aus goldgestickter chinesischer Seide, ferner nach einem Damenzimmer mit Piano und großer Notenauswahl, der Tisch mit beliebten Romanen und Albums mit Photographien vieler Gegenden Louisianas bedeckt, daneben nach einem Herrenzimmer mit ganzen Stößen amerikanischer Revuen und den verbreitetsten Journalen der Union, Vorräthe von Briefpapier mit dem Namen des Hôtels am Kopfe und selbst eine kleine Schreibmaschine, deren Claviatur bereit war, unter dem Finger des Reisenden zu fungieren.
»Das ist die Höhle Ali Baba’s! rief Frau Titbury ganz bezaubert.
– Ja, und die vier Räuber sind nicht weit, setzte ihr Gatte hinzu, wenn’s nur nicht gar noch weit mehr werden!«
Gleichzeitig fiel sein Blick auf eine Art Placat in goldener Umrahmung, das über alles, was das Hôtel seinen Gästen bot, Aufschluß gab und auch die Stunden der Tafel für die bezeichnete, die es nicht vorzogen, auf dem eigenen Zimmer zu speisen.
Das dem dritten Partner angewiesene Zimmer war mit Nr. 1 und mit einer Tafel bezeichnet: »Reserviert für die Partner im Match Hypperbone von der Excelsior Hotel Company« – war, darauf zu lesen.
»Klingle einmal, Hermann,« sagte da Frau Titbury.
Kaum hatte dieser gehorsam auf den Knopf gedrückt, da erschien bereits ein Herr in schwarzem Anzug und mit blendend weißer Cravatte in der Thüre des Salons.
In gewählter Rede entbot er den beiden Gatten zunächst die Grüße und den Dank der Excelsior Hotel-Gesellschaft und ihres Directors für die Ehre, einen der liebenswürdigsten Theilnehmer an dem großen nationalen Spiele beherbergen zu dürfen. Da dieser nebst hochgeehrter Frau Gemahlin einige Zeit in Louisiana und speciell in New Orleans zu verweilen hätte, habe man sich bemüht, ihm den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu machen und für interessante Zerstreuung zu sorgen. Der gewohnten Hausordnung nach, wenn es ihnen gefiele, ihr zu folgen, würde der Morgenthee früh um acht serviert, das Frühstück um elf, der Lunch um vier, die Hauptmahlzeit um sieben und der Abendthee um zehn Uhr eingenommen. Dabei könne man zwischen englischer, französischer und amerikanischer Küche wählen. Der Keller berge nur ausländische Weine erster Güte. Den ganzen Tag über stehe dem großen Banquier von Chicago (sic!) eine Equipage zur Verfügung, und eine elegante Dampfyacht werde stets bereit gehalten, um zu Ausflügen bis nach der Mündung des Mississippi und auf dem Borque-oder dem Ponchartrainsee zu dienen. Außerdem sei für sie eine Loge im Opernhause reserviert, wo jetzt eine berühmte französische Truppe spiele.
»Und das kostet? fragte Herr Titbury barsch.
– Hundert Dollars.
– Für den Monat?…
– Nein, für den Tag.
– Und jedenfalls für die Person? setzte Frau Titbury in einem Tone hinzu, in dem Ironie und Zorn um den Vorrang stritten.
– Ganz recht, Madame; diese Preise sind auch nur so annehmbar festgestellt worden. weil die Zeitungen berichteten, daß der dritte Partner und Mistreß Titbury sich eine längere Zeit im Excelsior Hotel aufhalten würden.«
In diese Falle hatte das Mißgeschick also das unglückliche Ehepaar verlockt – anderswohin zu gehen, war ihm verwehrt – selbst Frau Titbury allein konnte sich nicht wohl nach einem einfacheren Gasthause begeben. Das war das von William I. Hypperbone erwählte Hôtel, und niemand wird sich darüber wundern, da er selbst ein Hauptactionär desselben war. Ja, zweihundert Dollars täglich für das Ehepaar, sechstausend Dollars für dreißig Tage, wenn die Gäste einen ganzen Monat in dieser Höhle wohnten.
Hier galt es aber, sich wohl oder übel zu unterwerfen. Das Excelsior Hotel aufgeben, hieß die Partie aufgeben, an deren Vorschriften nicht zu deuteln war. Es wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht auf jede Hoffnung, durch die mögliche Ererbung der Millionen des Heimgegangenen die bisherigen Unkosten ersetzt zu sehen.
Der Haushofmeister hatte sich eben mit weltmännischer Verbeugung zurückgezogen.
»Vorwärts! polterte Titbury heraus. Das Reisegepäck her und zurück nach Chicago! Hier bleib’ ich keine Minute länger… Die Stunde zu acht Dollars!…
– Seh’ mir einer!« antwortete die eigenwillige Matrone.
Die Stadt des Halbmondes – so nennt man die Hauptstadt Louisianas, die 1717 an einer Biegung des sie im Süden begrenzenden Stromes gegründet wurde, saugt sozusagen ganz Louisiana auf. Die anderen Gemeinwesen des Staates, Bâton-Rouge, Donadsonville und Shreveport zählen elf-bis zwölftausend Einwohner. Fünfzehnhundertvierundsiebzig Lieues (2237 Kilometer) von New York und fünfundvierzig (176 Kilometer) von der Mississippimündung gelegen, vereinigen sich hier neun Bahnlinien und fünfzehnhundert Dampfer vermitteln den Verkehr auf den Verzweigungen des Stromes. Da es die Stadt seit dem 18. April 1862 mit den Conföderierten hielt, wurde sie vom Admiral Farragut sechs Tage lang bombardiert und fiel darauf dem General Butler in die Hände.
In dieser Großstadt von zweihundertzweiundvierzigtausend Einwohnern vielfach gemischten Blutes, wo den Schwarzen zwar alle politischen Rechte gewährt sind, doch keine gesellschaftliche Gleichstellung zuerkannt ist, in diesem Rassengemisch von Franzosen, Spaniern, Engländern und Anglo-Amerikanern, in der Metropole eines Staates, der zweiunddreißig Senatoren und neunzig Deputierte zu wählen hat und im Congreß durch vier Mitglieder vertreten wird, hier, wo sich inmitten von Baptisten, Methodisten und Episkopalen ein katholischer Bischofssitz befindet, hier im Herzen von Louisiana sollte nun das aus seinem Hause in Chicago so unerwartet herausgerissene Titbury’sche Ehepaar ein Leben führen, von dem es sich früher auch nicht das geringste hatte träumen lassen. War es aber, da ein unseliges Geschick es einmal so wollte – abgesehen von der etwaigen Rückkehr nach Hause – nicht das Beste, für sein Geld nun auch etwas haben zu wollen? So dachte wenigstens der weibliche Theil des Paares.