Tag für Tag fuhren sie also in ihrer prächtigen Equipage stolz spazieren. Eine lärmende Menge begleitete sie mit spöttischen Hurrahs, denn jedermann kannte die Leute als Knicker, die sich weder in Great Salt Lake City noch in Calais Sympathie zu erwerben vermocht hatten, wie es in Chicago ja auch nicht anders der Fall war. Immerhin! Sie kümmerten sich darum nicht, und nichts hinderte sie, sich trotz allen Mißgeschickes für die großen Favoriten des Matches zu halten.
So zeigten sie sich – zu Wagen – in den Wards des Nordens, in den Vorstädten Lafayette, Jefferson und Carrolton, den eleganten Quartieren mit glänzenden Hôtels, Villen und Landhäusern, die unter dem grünen Dache von Orangenbäumen, Magnolias und anderen blühenden Bäumen halb verborgen lagen, und ebenso erschienen sie auf dem Lafayette-und dem Jacksonplatze.1
Ein andermal lustwandelten sie auf dem festen, fünfzig Toisen breiten Damm, der die Stadt gegen Ueberschwemmung schützt, auf den Quais, an denen große und kleine Dampfer, Schleppschiffe, Segelfahrzeuge und Küstenfahrer in vier Reihen lagen und von wo jährlich bis zu siebzehnhunderttausend Ballen Baumwolle ausgeführt werden. Wer sich über diese Menge wundert, bedenke, daß der Handelsumsatz von New Orleans sich auf zweihundert Millionen Dollars beläuft.
Brücke von Saint-Louis über den Mississippi.
Ebenso sah man das Ehepaar in den Vororten Algiers, Gretna und Mac Daroughville, wohin man mittelst Ueberfahrt nach dem linken Ufer gelangt und wo die meisten Fabriken, Werkstätten und Lagerhäuser liegen.
In ihrem pomphaften Wagen ließen sie sich ferner durch die langen, eleganten Straßen fahren, die jetzt Ziegel-und Werksteinbauten umsäumen, welche an Stelle durch wiederholte Feuersbrünste zerstörter hölzerner Häuser getreten sind, und mit Vorliebe rollten sie durch die Königs-und Saint-Louisstraße dahin, die das französische Viertel rechtwinkelig durchschneiden. Hier bewunderten sie die reizenden Wohnstätten mit grünen Persiennes, mit ihren von Springbrunnen belebten Höfen, die mit den herrlichsten Blumenbeeten geschmückt sind.
Dann beehrten sie mit ihrem Besuche wieder das Capitol an der Ecke der genannten Straßen, ein altes Gebäude, das im Bürgerkriege zum Parlamentspalaste umgestaltet wurde und worin die Senatoren und Deputierten tagen. Für das Hôtel Saint-Charles, eines der bedeutendsten der Stadt, hatten sie dagegen nur ein Gefühl von Verachtung, das ja bei Gästen des unvergleichlichen Excelsior Hotel ganz erklärlich erscheint.
Gelegentlich besichtigten sie den architektonisch hervorragenden Universitätspalast, die rein gothische Kathedrale, das Zollhaus und die sogenannte Rotunde mit ihrem ungeheueren Saale. Hier findet der Bücherfreund eine reiche Auswahl von Lesestoff, der Flaneur einen Promenadenweg unter den offenen Galerien, der Speculant in Werthobjecten und Staatspapieren eine immer belebte Börse, wo die Makler der Agenturen fieberhaft umherschwärmten und die so oft wechselnden Curse der Theilnehmer am Match Hypperbone mit gellender Stimme ausriefen.
Dazwischen unternahmen sie auf ihrer eleganten Dampfyacht Ausflüge auf dem stillen Gewässer des Ponchartrainsees und bis nach den Mündungen des Mississippi.
Endlich sahen sie die Liebhaber großer lyrischer Tonwerke in der ihnen überlassenen Loge sitzen, wo sie die jedem musikalischen Verständniß verschlossenen Ohren pflichtschuldigst dem Orchester zuwendeten.
So lebten sie wie in einem Traume – doch welches Erwachen mußte das geben, wenn sie wieder in die nüchterne Wirklichkeit zurückkehrten!
Uebrigens hatte sich inzwischen doch etwas merkwürdiges ereignet. Die Geizhälse, die Knicker, die Filze gewöhnten sich an diese neue Lebensweise, sie wurden durch ihre abnorme Lage gleichsam betäubt, berauschten sich, im physischen Sinne des Wortes, an der stets verschwenderisch besetzten Tafel, wo sie auf die Gefahr von Gastratgien und einer Magenerweiterung für ihre späteren Tage hin keinen Bissen übrig ließen. Freilich mußten für jeden von beiden an das Excelsior Hotel täglich hundert gute Dollars entrichtet werden.
So verlief die Zeit, obwohl sich die Titburys darüber nur sehr unvollkommen Rechenschaft ablegten. Da ihr Aufenthalt im Gasthause dem Anscheine nach nicht unterbrochen werden sollte, mußten sie vierzehnmal die Vornahme des Auswürfelns in Chicago abwarten, ehe sie wieder berechtigt waren, weiter zu reisen. Von achtundvierzig zu achtundvierzig Stunden wurde das Ergebniß der »Ziehung« in der Rotunde ebenso bekannt gegeben wie im Auditorium selbst.
Das Auswürfeln vom 8. Juni hatte den Commodore Hodge Urrican, wie wir wissen, nach Wisconsin versetzt, und ebenso wissen wir, daß der geheimnißvolle X. K. Z. am 10. nach Minnesota geschickt worden war.
Niemals war Louisiana als nächstes Ziel bestimmt worden, weder am 12., wo für Max Real, noch am 14., wo für Tom Trabbe gewürfelt wurde. Am 16., wo nun Hermann Titbury an der Reihe gewesen wäre, wenn das Schicksal ihn nicht in das neunzehnte Feld verbannt hätte, wurde damit ausgesetzt. Am 18. hatte Meister Tornbrock die Würfel für den vierten Partner, Harris T. Kymbale, über die Tafel im Auditorium rollen lassen.
Waren die Ehegatten also verurtheilt, die für sie ebenso angenehme wie für ihren Geldbeutel verderbliche Existenz die vollen sechs Wochen fortzuführen. die ihr gezwungener Aufenthalt in Louisiana dauerte?…
Und würde nicht obendrein die Partie, bevor sie daran wieder theilnehmen konnten. schon zu Ende, der Sieger nicht bereits im dreiundsechzigsten Felde angelangt sein?…
Das lag verborgen im Schoß der Zukunft. Inzwischen verstrichen die Tage, und wenn Herr und Frau Titbury, nach Abschluß des Matches, nichts übrig blieb, als nach Chicago zurückzukehren, nachdem sie, abgesehen von den früheren Ausgaben. die gepfefferte Rechnung des Excelsior Hotel berichtigt hatten… dann vergegenwärtige man sich nur, was ihnen die Thorheit, unter den »Sieben« des Match Hypperbone mit zu concurrieren, für eine Unsumme Geldes gekostet hatte!
Fußnoten
1 Dieser Platz trägt den Namen des tapferen Generals der Secessionisten, der 1863 aus Versehen von seinen eigenen Soldaten tödtlich verwundet wurde.
Zehntes Capitel.
Die Wanderfahrten Harris T. Kymbale’s.
Wenn sich das Titbury’sche Ehepaar und der Commodore Urrican nicht ohne Ursache über das Unglück beklagten, das sie hartnäckig verfolgte, so hätte auch der Hauptberichterstatter der »Tribune« das Recht gehabt, in gewisser Hinsicht unzufrieden zu sein. Der erste Würfelfall hatte ihn genöthigt, nach der Brücke des Niagara, im Staate New York, zu gehen, dort einen Einsatz zu zahlen und sich nachher nach Santa-Fé, der Hauptstadt von Neumexiko, zu begeben. Die neue Entscheidung der Würfel zwang ihn, zuerst Nebraska und sofort den Staat Washington, im äußersten Westen des Bundesgebietes, aufzusuchen.
In Charleston in Südcarolina, wo er einen so herrlichen Empfang gefunden hatte, war Harris T. Kymbale das ihn betreffende Telegramm vom 4. Juni zugegangen. Der Wurf von zehn, durch sechs und vier, und dieser doppelt zu nehmen, versetzte ihn aus dem zweiundzwanzigsten in das zweiundvierzigste Feld.
Das letztere aber entsprach Nebraska, das von dem Verstorbenen für das Labyrinth im Edlen Vereinigte Staatenspiele gewählt war. Noch schlimmer war es, daß der Partner, nachdem er sich dahin begeben und den doppelten Einsatz entrichtet hatte, nach dem dreißigsten Felde, dem Staate Washington, zurückgehen mußte. Freilich führte wenigstens der Weg von Südcarolina nach Washington durch den Staat Nebraska.