Der Fluss, ganz gleich, wie er heißen mochte, sah in der Gegenrichtung völlig anders aus. Als sie sich der ersten Biegung näherten, warf Nate einen Blick über die Schulter und sah die Guatö, die nach wie vor im Wasser standen.
Es war fast vier Uhr nachmittags. Mit etwas Glück konnten sie die großen Seen vor Einbruch der Dunkelheit durchqueren und den Cabixa erreichen. Welly würde mit Bohnen und Reis auf sie warten. Während Nate diese Gedanken durch den Kopf gingen, spürte er die ersten Regentropfen.
Die Störungen am Motor rührten nicht von verschmutzten Zündkerzen her. Fünfzig Minuten nachdem sie die Rückfahrt angetreten hatten, gab er den Geist auf. Das Boot trieb mit der Strömung, während Jevy die Abdeckung abnahm und dem Vergaser mit einem Schraubenzieher zu Leibe rückte. Nate fragte, ob er helfen könne, und erfuhr, dass das nicht der Fall sei. Jedenfalls nicht, was den Motor betraf. Allerdings könne er einen Eimer nehmen und anfangen, das Regenwasser auszuschöpfen. Außerdem könne er mit Hilfe eines Paddels versuchen, das Boot in der Mitte des Flusses zu halten, wie auch immer er heißen mochte.
Er tat beides. Die Strömung trug sie flussabwärts, wenn auch weit langsamer, als es Nate lieb war. Es regnete immer wieder mit Pausen. Die Wassertiefe nahm stark ab, als sie sich einer scharfen Biegung näherten, doch war Jevy so in seine Arbeit vertieft, dass er nichts davon merkte. Das Boot nahm Fahrt auf und wurde von den Stromschnellen einem Dickicht entgegengeschoben.
»Ich brauche Hilfe«, sagte Nate.
Jevy nahm das andere Paddel zur Hand. Er drehte das Boot so, dass es mit dem Bug auflief und nicht kenterte. »Halten Sie sich fest«, sagte er, während sie mit voller Fahrt ins Dickicht rauschten. Ranken und Äste peitschten in Nates Gesicht, und er versuchte, sie mit dem Paddel abzuwehren.
Eine kleine Schlange fiel neben seiner Schulter ins Boot. Er sah sie nicht. Jevy schob sein Paddel darunter und schleuderte sie in den Fluss zurück. Es war am besten, den Zwischenfall nicht zu erwähnen.
Einige Minuten lang kämpften sie mit der Strömung und gegeneinander. Irgendwie schaffte Nate es, Wasser in alle möglichen falschen Richtungen zu schieben; seine Begeisterung für das Paddeln brachte das Boot immer wieder in unmittelbare Gefahr zu kentern.
Als das Boot wieder frei war, nahm Jevy beide Paddel an sich und erteilte Nate den Auftrag, sein Regencape auszubreiten und über den Motor zu halten, damit der Vergaser nicht nass wurde. So stand er wie eine Art
Schutzengel mit ausgebreiteten Armen da, einen Fuß auf einem Benzinkanister und den anderen auf dem Bootsrand, starr vor Angst.
Jetzt konnte sich Jevy wieder an die Reparatur machen. Volle zwanzig Minuten verstrichen quälend langsam, während sie steuerlos den schmalen Fluss hinabtrieben. Mit dem Phelan-Nachlaß hätte man jeden neuen Außenbordmotor in ganz Brasilien kaufen können, und da stand Nate und sah zu, wie ein Hobbymechaniker einen Motor zu reparieren versuchte, der älter war als er selbst.
Nachdem Jevy alles wieder zusammengeschraubt hatte, machte er sich eine Ewigkeit an der Drosselklappe zu schaffen. Nate entfuhr ein Stoßgebet, als Jevy am Anlasserzug riss. Beim vierten Mal geschah das Wunder. Der Motor lief, wenn auch nicht so rund wie zuvor. Es gab immer wieder Zündaussetzer, und Jevy verstellte die Bowdenzüge, ohne dass es viel genützt hätte.
»Wir müssen langsamer fahren«, sagte er, ohne Nate anzusehen.
»Von mir aus. Solange wir nur wissen, wo wir sind.« »Kein Problem.«
Das Gewitter schob sich über die Berge Boliviens heran und stürmte dann ins Pantanal hinab, ähnlich der Front, die sie im Flugzeug fast umgebracht hätte. Nate saß, tief ins Boot gedrückt, in der Sicherheit seines Regencapes und suchte den Fluss im Osten ab, bemüht, irgend etwas zu entdecken, das er schon einmal gesehen hatte. Dann erfasste der erste Windstoß das Boot, und der Regen begann erbarmungslos hernieder zuprasseln. Langsam drehte sich Nate um und blickte hinter sich. Jevy hatte bereits gesehen, was da heranzog, aber nichts gesagt.
Der Himmel war dunkelgrau, fast schwarz. Wolken schoben sich fast in Bodenhöhe heran, so dass man die Berge nicht mehr sehen konnte. Der Regen durchnässte sie immer mehr. Nate fühlte sich ausgeliefert und völlig hilflos.
Nirgendwo gab es einen Unterschlupf, keinen Hafen, in dem man anlegen und auf das Ende des Unwetters warten konnte. Kilometerweit um sie herum war in allen Richtungen nichts als Wasser zu sehen. Sie befanden sich inmitten einer gewaltigen Wasserfläche, lediglich die Spitzen von Buschwerk und Bäumen leiteten sie durch die Flüsse und Sümpfe. Sie hatten keine Wahl, als im Boot zu bleiben.
Eine Bö trieb das Boot voran, während ihnen der Regen auf den Rücken prasselte. Der Himmel wurde noch dunkler. Am liebsten hätte sich Nate unter der Aluminiumsitzbank zusammengerollt, das aufblasbare Kissen umklammert und sich unter seinem Regencape versteckt. Aber zu seinen Füssen stieg das Wasser bereits. Ihre Vorräte wurden nass. Er griff den Eimer und begann, Regenwasser aus dem Boot zu schöpfen.
Sie gelangten an eine Abzweigung, von der Nate überzeugt war, dass sie sie auf dem Hinweg nicht gesehen hatten, und schließlich an einen Zusammenfluss, den sie kaum erkennen konnten. Jevy nahm das Gas zurück und betrachtete prüfend die Wasserläufe, dann gab er wieder Gas und fuhr scharf nach rechts, als wisse er genau, wohin sein Weg führe. Nate war überzeugt, dass sie sich verfahren hatten.
Nach wenigen Minuten endete der Fluss in einer Ansammlung verrottender Baumstämme - ein eindrucksvolles Bild, das sie zuvor nicht gesehen hatten. Rasch wendete Jevy das Boot. Jetzt jagten sie dem Gewitter entgegen. Der schwarze Himmel bot einen fürchterlichen Anblick, und das Wasser des Flusses trug weiße Schaumkronen. Als sie die Abzweigung wieder erreicht hatten, berieten sie eine Weile miteinander, gegen Wind und Regen anbrüllend, und entschieden sich dann für einen anderen Fluss.
Unmittelbar vor Einbruch der Dunkelheit durchquerten sie eine große, überschwemmte Ebene, die aussah wie der See, an dessen Rand sie den Angler im Röhricht gesehen hatten. Er war nicht da.
Jevy fuhr in einen der Zuflüsse hinein, als sei ihm dieser Teil des Pantanal von tagtäglichen Fahrten vertraut.
Dann zuckten Blitze auf, und eine Zeitlang konnten sie fast sehen, wohin sie fuhren. Der Regen ließ nach. Allmählich zog das Gewitter ab.
Jevy stellte den Motor ab und musterte die Ufer.
»Was haben Sie vor?« fragte Nate. Während des Gewitters hatten sie sich kaum unterhalten. Es war klar, dass sie sich hoffnungslos verfahren hatten, aber Nate wollte Jevy nicht zwingen, das zuzugeben.
»Wir könnten ein Lager aufschlagen«, sagte Jevy. Es war eher ein Vorschlag als ein Plan.
»Warum?«
»Weil wir irgendwo schlafen müssen.«
»Das können wir doch abwechselnd hier im Boot tun«, regte Nate an. »Da ist es sicherer.« Er sagte das mit der Überzeugung eines erfahrenen Flusslotsen.
»Möglich. Trotzdem denke ich, dass wir hier anlegen sollten. Wenn wir im Dunkeln weiterfahren, könnten wir uns verirren.«
Wir haben uns schon vor drei Stunden verirrt, hätte Nate am liebsten gesagt.
Jevy steuerte auf ein mit Büschen bestandenes Ufer zu. Während das Boot stromab dahintrieb, suchten sie mit ihren Taschenlampen das flache Wasser ab. Zwei unmittelbar über der Wasseroberfläche glimmende kleine rote Punkte hätten bedeutet, dass auch ein Kaiman Wache hielt, aber zum Glück sahen sie keinen. Sie machten das Boot mit einem Seil an einem kräftigen Ast wenige Meter vom Ufer entfernt fest.
Zum Abendessen gab es halbtrockenes Salzgebäck, eingelegte kleine Fische aus der Dose, die Nate noch nicht kannte, Bananen und Käse.
Als der Wind aufhörte, kamen die Moskitos. Nate rieb sich Hals und Gesicht, ja sogar Augenlider und Haare, mit Insektenschutzmittel ein. Die winzigen Tiere waren flink und tückisch und zogen in kleinen schwarzen Wolken von einem Ende des Boots zum anderen. Obwohl es nicht mehr regnete, hatte keiner der beiden Männer sein