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Es roch nach frischer Farbe. Schreibtisch und Regale waren neu, die Holzarten paßten nicht zueinander. Kartons mit Akten und diesem und jenem stapelten sich an den Wänden. Snead musterte alles ausführlich. »Gerade eingezogen?« fragte er.

»Vor ein paar Wochen.«

Snead waren die Räumlichkeiten zuwider, und auch, was den Anwalt betraf, hatte er seine Bedenken. Er trug einen Anzug aus billigem Wollstoff, der viel weniger gekostet hatte als der Sneads.

»So so, dreißig Jahre«, sagte Hark, den Bogen Papier nach wie vor in der Hand.

»So ist es.«

»Waren Sie bei ihm, als er gesprungen ist?«

»Nein. Er ist allein gesprungen.«

Ein gekünsteltes Lachen, dann war das Lächeln wieder da. »Ich meine, waren Sie im Besprechungszimmer?«

»Ich hätte ihn fast noch erwischt.«

»Das muss schrecklich gewesen sein.«

»Stimmt, und das ist es immer noch.«

»Waren Sie Zeuge, als er das Testament unterschrieben hat, ich meine, das letzte?«

»Ja.«

»Haben Sie ihn das verdammte Ding auch schreiben sehen?«

Snead war zu jeder Lüge bereit. Die Wahrheit bedeutete ihm nichts, da ihn der Alte belogen hatte. Was hatte er schon zu verlieren?

»Ich habe eine ganze Menge gesehen«, sagte er, »und ich weiß noch viel mehr. Bei diesem Besuch hier geht es ausschließlich um Geld. Mr. Phelan hat mir versprochen, mich in seinem Testament zu berücksichtigen. Diese Zusage hat er nicht eingehalten.«

»Sie sitzen also im selben Boot wie mein Mandant«, sagte Hark.

»Das will ich nicht hoffen. Ich empfinde für ihn und seine elenden Geschwister nichts als Verachtung. Das möchte ich von Anfang an klarstellen.«

»Ich glaube, das haben Sie getan.«

»Kein Mensch war Troy Phelan näher als ich. Ich habe Dinge gesehen und gehört, über die sonst niemand Aussagen machen kann.«

»Sie wollen also als Zeuge auftreten?«

»Ich bin ein Zeuge, ein Sachverständiger. Außerdem bin ich sehr teuer.«

Einen Augenblick lang sahen sie einander in die Augen. Die Botschaft war angekommen.

»Dem Gesetz nach ist es zwar unzulässig, dass Laien ihre Meinung darüber äußern, in welchem Geisteszustand sich ein Erblasser bei der Abfassung seines Letzten Willens befunden hat, aber sicherlich können Sie etwas zu bestimmten Handlungsweisen und Vorgängen sagen, die auf eine Geistesgestörtheit hinweisen.«

»Das ist mir alles bekannt«, sagte Snead unhöflich.

»War er verrückt?« »Er war's, oder er war's nicht. Mir ist es egal. Ich kann beides belegen.«

Darüber musste Hark eine Weile nachdenken. Er kratzte sich die Wange und betrachtete aufmerksam die Wand. Snead beschloss, ihm zu helfen. »Ich sehe das so: Der Junge, den Sie vertreten, ist ebenso reingelegt worden wie seine Geschwister. Jeder von ihnen hat zum einundzwanzigsten Geburtstag fünf Millionen gekriegt, und wir wissen, was sie mit dem Geld gemacht haben. Weil sie alle bis über die Halskrause verschuldet sind, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als das Testament anzufechten. Aber keine Jury wird Mitleid mit ihnen haben. Sie sind ein Haufen habgieriger Verlierer. Obwohl sich der Fall nicht ohne weiteres gewinnen läßt, werden Sie und die anderen Rechtsverdreher gegen das Testament vorgehen, und die Massenblätter werden haarklein darüber berichten. Immerhin geht es um elf Milliarden. Weil Sie aber so recht nichts in der Hand haben, hoffen Sie auf eine Einigung, bevor es zum Prozess kommt.«

»Sie begreifen rasch.«

»Nein. Ich habe Mr. Phelan dreißig Jahre lang aufmerksam zugesehen. Auf jeden Fall hängt es von mir ab, wie viel bei einer solchen Einigung rausspringt. Wenn ich mich genau an Einzelheiten erinnern kann, kann es sein, dass mein früherer Arbeitgeber bei der Abfassung seines Testaments nicht testierfähig war.«

»Das heißt, Ihr Erinnerungsvermögen kommt und geht.«

»Es ist so, wie ich es haben möchte. Da kann mir niemand reinreden.«

»Was wollen Sie?«

»Geld.«

»Wie viel?«

»Fünf Millionen.«

»Das ist ne ganze Menge.«

»Es ist so gut wie nichts. Ich nehme es von Ihnen oder von der Gegenseite. Mir ist das egal.«

» Und wie soll ich Ihnen die fünf Millionen zukommen lassen ?«

»Keine Ahnung. Ich bin kein Anwalt. Bestimmt können Sie und Ihre Kumpel das irgendwie einfädeln.«

Eine lange Pause entstand, während Hark in Gedanken mit dem Einfädeln begann. Er hatte viele Fragen, vermutete aber, dass er nicht viele Antworten bekommen würde. Jedenfalls nicht jetzt.

»Gibt es weitere Zeugen?« fragte er.

»Noch eine Frau, Nicolette. Sie war Mr. Phelans letzte Sekretärin.«

»Wie viel weiß sie?«

»Kommt drauf an. Man kann sie kaufen.«

»Sie haben also schon mit ihr gesprochen?«

»Das tu ich jeden Tag. Uns gibt es nur im Zweierpack.«

»Wie viel will sie?«

»Die fünf Millionen sind für uns beide.«

»Das ist ja das reinste Schnäppchen. Sonst noch jemand?«

»Niemand von Bedeutung.«

Hark schloss die Augen und massierte seine Schläfen. »Gegen Ihre fünf Millionen habe ich nichts einzuwenden«, sagte er und zwickte sich in die Nase. »Mir ist nur noch nicht klar, wie wir Ihnen das Geld rüberschieben sollen.«

»Da fällt Ihnen bestimmt noch was ein.«

»Ich muss darüber nachdenken. Lassen Sie mir etwas Zeit. Einverstanden?«

»Ich hab's nicht eilig. Ich gebe Ihnen eine Woche. Wenn Sie nein sagen, geh ich zur Gegenseite.«

»Es gibt keine Gegenseite.«

»Da war ich mir nicht so sicher.«

»Wissen Sie was über Rachel Lane?«

»Ich weiß alles«, sagte Snead und verließ das Büro.

SECHSUNDZWANZIG

Das erste Dämmerlicht des neuen Tages brachte keine Überraschungen mit sich. Sie hatten ihr Boot nahe dem Ufer eines kleinen Flusses angebunden, der sich nicht im geringsten von den anderen unterschied, die sie bisher gesehen hatten. Wieder hingen die Wolken tief, das Tageslicht kam nur zögernd.

Zum Frühstück gab es eine kleine Schachtel Kekse - der Rest der Vorräte, die Welly für sie eingepackt hatte.

Nate aß bedächtig und fragte sich bei jedem Bissen, wann er wieder etwas bekommen würde.

Die Strömung war stark, und so ließen sie sich mit ihr treiben, als die Sonne aufgegangen war. Außer dem Geräusch des Wassers war nichts zu hören. Sie sparten Benzin und zögerten den Augenblick hinaus, da Jevy gezwungen sein würde, den Motor wieder anzuwerfen.

Sie trieben an eine Stelle, an der drei Wasserläufe aufeinander stießen und wegen der Überschwemmung eine gewaltige Wasserfläche bildeten. Einen Augenblick lang verharrten sie schweigend.

»Vermutlich wissen wir nicht, wo wir sind«, sagte Nate.

»Ich weiß genau, wo wir sind.«

»Wo?«

»Im Pantanal. Von da aus fließen alle Flüsse zum Paraguay.«

»Irgendwann.«

»Ja, irgendwann.« Jevy entfernte die Motorabdeckung und wischte den Vergaser trocken. Er stellte den Choke ein, prüfte den Ölstand und versuchte dann, den Motor anzuwerfen. Beim fünften Zug am Knebel sprang er an, stotterte und ging aus.

Hier werde ich sterben, sagte Nate zu sich. Entweder ich ertrinke, verhungere oder werde gefressen, aber jedenfalls werde ich in diesem riesigen Sumpf meinen letzten Atemzug tun.

Zu ihrer Überraschung hörten sie einen Ruf. Offenbar hatte das Knattern des Motors Aufmerksamkeit erregt. Die Stimme war hoch, wie die eines jungen Mädchens, und kam aus dem Röhricht am Ufer eines der Wasserläufe. Jevy rief etwas, und einige Sekunden später ertönte die Stimme erneut.

Ein höchstens fünfzehn Jahre alter Junge kam in einem kleinen Kanu, einem ausgehöhlten Stück Baumstamm, durch die Wasserpflanzen herbei. Mit Hilfe eines selbstgemachten Paddels durchschnitt er das Wasser verblüffend leicht und schnell. »Born dia«, sagte er mit breitem Lächeln. Sein kleines Gesicht war braun und quadratisch und vermutlich das schönste, das Nate seit Jahren gesehen hatte. Er warf ein Tauende herüber, um eine Verbindung zwischen den beiden Booten herzustellen.