»Mit dem Kanu?«
»So reisen wir hier. Ich hatte früher ein Motorboot. Aber es war alt und irgendwann nicht mehr zu gebrauchen.« »Wie lange dauert es mit einem Motorboot?«
»Ungefähr fünf Stunden. Allerdings verfährt man sich jetzt während der Regenzeit leicht.«
»Das habe ich schon gemerkt.«
»Die Flüsse gehen ineinander über. Sie müssen einen unserer Fischer mitnehmen, wenn Sie abreisen. Ohne Führer kann man den Paraguay nicht finden.«
»Und Sie fahren einmal im Jahr nach Corumba?«
»Ja, aber in der Trockenzeit, im August. Dann ist es kühler, und es gibt nicht so viele Moskitos.«
»Fahren Sie allein?«
»Nein. Lako, ein guter Freund aus dem Stamm, bringt mich zum Paraguay. Außerhalb der Hochwasserzeit dauert es mit dem Kanu etwa sechs Stunden. Am Paraguay warte ich, bis ein Boot vorbeikommt, das mich nach Corumba mitnimmt. Dort bleibe ich einige Tage, erledige meine Angelegenheiten und kehre mit einem Boot zurück.«
Nate dachte daran, wie wenige Boote er auf dem Paraguay gesehen hatte. »Irgendeins?«
»Gewöhnlich ist es ein Viehtransporter. Die Bootsführer nehmen gern Fahrgäste mit.«
Sie fährt mit dem Kanu, weil ihr altes Motorboot den Geist aufgegeben hat. Sie läßt sich auf Viehtransportern mitnehmen, um nach Corumba zu reisen, ihrem einzigen Kontakt mit der zivilisierten Welt. Welche Veränderungen wird das Geld wohl bewirken? fragte sich Nate. Es war ihm unmöglich, eine Antwort darauf zu finden. Einzelheiten würde er ihr am folgenden Tag sagen, wenn der Tag jung und er selbst ausgeruht war, gegessen hatte und Stunden vor ihnen lagen, um alles zu besprechen. Männer näherten sich von der Ansiedlung her.
»Da kommen sie ja«, sagte sie. »Hier essen die Menschen unmittelbar vor Anbruch der Dunkelheit und legen sich dann schlafen.«
»Vermutlich gibt es danach auch nichts zu tun.«
»Nichts, worüber wir reden können«, sagte sie rasch. Es war lustig.
Jevy kam mit einer Gruppe Indianer, von denen einer Rachel ein kleines viereckiges Körbchen gab. Sie reichte es an Nate weiter, und dieser entnahm ihm einen kleinen, harten Brotlaib.
»Das ist aus Maniokmehl gebacken«, sagte sie. »Unser Hauptnahrungsmittel.«
Wahrscheinlich auch ihr einziges. Jedenfalls bei jener Mahlzeit. Nate hatte gerade den zweiten Laib herausgenommen, als Indianer aus dem ersten Dorf zu ihnen stießen. Sie brachten das Zelt, das Moskitonetz, Decken und Wasserflaschen vom Boot.
»Wir bleiben heute nacht hier«, sagte Nate zu Jevy.
»Wer sagt das?«
»Es ist die beste Stelle«, erklärte ihm Rachel. »Ich würde Sie gern im Dorf unterbringen, aber der Anführer muss einen Besuch von Weißen erst genehmigen.«
»Das wäre ich«, sagte Nate.
»Ja.«
»Und er nicht?« Er nickte zu Jevy hinüber.
»Er war zum Essen dort, nicht zum Schlafen. Die Vorschriften sind kompliziert.«
Das erschien Nate amüsant - primitive Eingeborene, die splitternackt herumliefen, aber nach einem komplizierten System von Vorschriften lebten.
»Ich würde morgen gern gegen Mittag zurückfahren«, sagte Nate.
»Auch das muss der Anführer entscheiden.«
»Wollen Sie damit sagen, dass wir nicht aufbrechen können, wann wir wollen?« »Sie fahren, wenn er sagt, dass Sie fahren können. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Verstehen Sie sich gut mit dem Häuptling?«
»Wir kommen miteinander aus.«
Sie schickte die Männer ins Dorf zurück. Die Sonne war hinter den Bergen verschwunden. Die Schatten des Waldes umschlossen sie.
Einige Minuten lang sah Rachel zu, wie sich Jevy und Nate mit dem Zelt abmühten. Es sah in seiner Hülle ziemlich klein aus und wurde auch nicht viel größer, als sie die Stäbe zusammensteckten. Nate war nicht sicher, ob Jevy hineinpasste, von ihnen beiden zusammen ganz zu schweigen. Vollständig aufgestellt war es hüfthoch, sehr steil und wirkte für zwei erwachsene Männer ausgesprochen winzig.
»Ich gehe jetzt«, erklärte sie. »Ihnen wird hier nichts geschehen.«
»Versprochen?« fragte Nate. Es war ihm ernst damit.
»Ich kann zwei Männer herüberschicken, die Wache halten, wenn Sie das wollen.«
»Es geht schon«, sagte Jevy.
»Um wie viel Uhr steht man denn hier in der Gegend so auf?« fragte Nate.
»Eine Stunde vor Sonnenaufgang.«
» Bestimmt sind wir dann auch wach «, sagte er mit einem Blick auf das Zelt. »Können wir uns am frühen Morgen treffen? Wir müssen viel miteinander besprechen.«
»Ja. Ich werde Ihnen bei Tagesanbruch etwas zu essen schicken. Dann können wir miteinander reden.«
»Das wäre schön.«
»Vergessen Sie nicht zu beten, Mr. O'Riley.«
»Ich denke dran.«
Sie trat in die Dunkelheit und ging davon. Eine Weile konnte Nate sie noch auf dem Pfad erkennen, dann war sie verschwunden. Das Dorf lag unsichtbar in der Schwärze der Nacht.
Sie saßen stundenlang auf der Bank, warteten darauf, dass die Luft abkühlte und schraken vor dem Augenblick zurück, in dem sie genötigt waren, in das Zelt zu kriechen und verschwitzt und übelriechend Rücken an Rücken darin zu schlafen. Eine andere Möglichkeit hatten sie nicht. So winzig das Zelt war, es würde sie vor Moskitos und anderen Insekten schützen und auch sonstiges Getier fernhalten, das über den Boden kroch.
Sie sprachen über das Dorf. Jevy erzählte Indianergeschichten, bei denen immer jemand umkam. Schließlich fragte er: »Haben Sie ihr von dem Geld erzählt?«
»Nein, das mache ich morgen.«
»Was glauben Sie, wie sie sich dazu stellt? Sie kennen sie ja jetzt ja schon ein bißchen.«
»Keine Ahnung. Sie ist hier glücklich. Es kommt mir grausam vor, sie aus der Bahn zu werfen.«
»Dann geben Sie doch mir das Geld! Mich wirft es nicht aus der Bahn.«
Wie es ihm nach der Hackordnung zukam, kroch Nate zuerst ins Zelt. Da er die Nacht zuvor damit zugebracht hatte, vom Boden des Bootes aus den Sternenhimmel zu betrachten, war er entsetzlich müde.
Als er Nate schnarchen hörte, öffnete Jevy vorsichtig den Reißverschluss des Eingangs und schob ihn behutsam ein wenig hin und her, bis er Platz hatte. Nate merkte nichts davon.
ACHTUNDZWANZIG
Nach neun Stunden Schlaf erhoben sich die Ipicas vor Morgengrauen, um ihren Tag zu beginnen. Die Frauen machten vor den Hütten kleine Feuer zum Kochen, gingen dann mit den Kindern zum Fluss, um Wasser zu holen und zu baden. Gewöhnlich warteten sie das Tageslicht ab, bevor sie die Pfade betraten. Es war besser, man sah, was vor einem lag.
Die an den Gewässern im Süden Brasiliens sehr häufige Schlange, deren Biss oft tödlich ist und die auf portugiesisch urutu heißt, wurde von den Indianern bima genannt. Ayesh, ein siebenjähriges Mädchen, bei dessen Geburt die Missionarin Hilfe geleistet hatte, ging vor ihrer Mutter, statt, wie es üblich war, hinter ihr. Mit einem Mal spürte sie, wie sich unter ihrem nackten Fuß die bima wand.
Das Tier biss Ayesh unterhalb des Fußknöchels, und das Mädchen schrie laut auf. Bis der Vater bei ihr war, befand sie sich im Schock, und ihr rechter Fuß war auf doppelte Dicke angeschwollen. Ein fünfzehnjähriger Junge, der schnellste Läufer des Stammes, wurde ausgesandt, um Rachel zu holen.
An den beiden Wasserläufen, die sehr nahe der Stelle zusammenflössen, an der Jevy und Nate angelegt hatten, lagen insgesamt vier kleine Ipica-Siedlungen, und in jeder von ihnen lebte eine Sippe unabhängig von den anderen. Doch sie alle gehörten demselben Volk an, hatten dieselbe Sprache, dieselbe Kultur und dieselben Bräuche. Sie verkehrten miteinander und heirateten untereinander. Von der Flussgabelung bis zur letzten Hütte der Ipicas waren es höchstens acht Kilometer.
Ayesh gehörte zur dritten Siedlung hinter der Gabelung, und Rachel lebte in der zweiten, der größten. Der Läufer fand sie in ihrer kleinen Hütte, in der sie seit elf Jahren lebte. Sie las gerade in der Bibel. Rasch packte sie ihre kleine Arzttasche.