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»Etwas in der Art. Eher ein Zauberheiler. In der Welt der Indianer gibt es viele Geister, und die shalyun vermitteln angeblich im Umgang mit ihnen. Auf jeden Fall sind diese Männer meine natürlichen Feinde, denn ich bedrohe ihre Stellung. Daher suchen sie fortwährend nach Möglichkeiten, mir eins auszuwischen. Sie belästigen Angehörige ihres Stammes, die sich zum Christentum bekennen. Vor allem Neubekehrten setzen sie zu. Sie wollen, dass ich von hier verschwinde, und liegen den Häuptlingen unaufhörlich in den Ohren, sie sollten mich fortschicken. Es ist Tag für Tag ein neuer Kampf. Im letzten Dorf unten am Fluss hatte ich eine kleine Schule, in der ich den Leuten Lesen und Schreiben beigebracht habe. Wenn sie auch in erster Linie für Gläubige gedacht war, so stand sie doch allen anderen offen. Als nun vor einem Jahr in jenem Dorf drei Menschen an Malaria gestorben sind, hat der dortige shalyun dem Häuptling eingeredet, diese Krankheit sei eine Strafe für meine

Schule. Jetzt ist sie geschlossen.«

Nate hörte ihr zu, ohne selbst etwas zu sagen. Seine Bewunderung für ihren Mut war grenzenlos. Die Hitze und der träge Lebensrhythmus hatten ihn zu der Annahme verleitet, dass die Ipicas ein friedliches Leben führten. Kein Besucher hätte vermutet, dass ein Kampf um ihre Seelen tobte.

»Die Eltern Ayeshs, des Mädchens, das am Schlangenbiss gestorben ist, sind überzeugte Christen. Der shalyun hat überall herumerzählt, es wäre ihm ohne weiteres möglich gewesen, die Kleine zu retten, aber ihre Eltern hätten ihn nicht gerufen. Natürlich wollten sie, dass ich mich um die Kleine kümmerte. Die bima ist hier schon immer heimisch, und die shalyun brauen ihre eigenen Mittel gegen das Gift dieser Schlange. Ich habe kein einziges Mal erlebt, dass sie damit Erfolg gehabt hätten. Gestern nun hat der shalyun nach meinem Weggang einige Geister beschworen und in der Mitte des Dorfes eine Zeremonie gehalten, bei der er mir die Schuld am Tod des Mädchens gab. Mir und Gott.«

Ihre Worte kamen rasch, sie sprach schneller als sonst, als habe sie es eilig, noch einmal ihre Muttersprache zu benutzen.

»Während der Beisetzungsfeier heute haben er und einige Unruhestifter angefangen, ganz in der Nähe ihre Gesänge anzustimmen und ihre Tänze aufzuführen. Die bekümmerten Eltern sind vor Scham vergangen. Es war mir unmö glich, die Feier zu beenden.« Ihre Stimme war ein wenig unsicher, sie biss sich auf die Lippe.

Nate legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. » Es ist schon gut. Es ist vorbei.«

Vor den Indianern konnte sie nicht weinen. Sie musste stark und unerschütterlich sein, unter allen Umständen ihren Glauben und ihren Mut beweisen. Aber vor Nate konnte sie weinen, er würde es verstehen. Er fand nichts dabei.

Sie wischte sich die Augen und sammelte sich wieder. »Es tut mir leid«, sagte sie.

»Ach was«, sagte Nate. Er war gern bereit, ihr zu helfen. Vor Frauentränen schmolz jede gespielte Selbstsicherheit dahin, ganz gleich ob in einer Kneipe oder am Ufer eines Flusses im Urwald.

Vom Dorf herüber ertönten laute Rufe. Das Ringen hatte begonnen. Nate dachte kurz an Jevy. Bestimmt war er nicht der Versuchung erlegen, mit den Männern herumzutollen.

»Sie sollten jetzt abreisen«, brach sie mit einem Mal das Schweigen. Sie hatte ihre Gefühle wieder unter Kontrolle, ihre Stimme klang wie immer.

»Was?«

»Ja, jetzt. So schnell wie möglich.«

»Nichts lieber als das. Aber warum plötzlich diese Eile? In drei Stunden ist es dunkel.«

»Es gibt Gründe zur Besorgnis.«

»Ich höre.«

»Ich vermute, dass ich heute im anderen Dorf einen Fall von Malaria gesehen habe. Die Moskitos verbreiten die Krankheit sehr schnell.«

Nate kratzte sich sogleich und wäre am liebsten sofort ins Boot gesprungen. Dann fielen ihm seine Tabletten ein. »Mir kann nichts passieren. Ich nehme irgendwas, das mit Chloro anfängt.«

»Chloroquine?«

»Genau.«

»Wann haben Sie damit angefangen?«

»Zwei Tage bevor ich aus den USA abgeflogen bia.«

»Und wo haben Sie die Tabletten jetzt?«

»Auf dem großen Boot.«

Missbilligend schüttelte sie den Kopf. »Sie müssen sie ohne Unterbrechung einnehmen, vor, während und nach der Reise.« Jetzt sprach sie im Ton einer strengen Ärztin, als stehe sein Tod kurz bevor.

»Und was ist mit Jevy?« fragte sie. »Nimmt er die auch?«

»Er war Soldat. Dem passiert bestimmt nichts.«

»Ich will nicht mit Ihnen streiten, Nate. Ich habe bereits mit dem Häuptling gesprochen. Er hat heute morgen vor Sonnenaufgang zwei Fischer zur Erkundung ausgeschickt. Wegen der Überschwemmung sind die Gewässer hier auf den ersten zwei Stunden der Strecke schwierig, dann wird es einfacher. Er wird Ihnen drei Führer in zwei Kanus zur Verfügung stellen, und ich gebe Ihnen Eako mit, damit Sie keine Schwierigkeiten wegen der Sprache haben. Sobald Sie den Xeco erreicht haben, geht es immer geradeaus zum Paraguay.«

»Wie weit ist das?«

»Der Xeco liegt etwa vier Stunden entfernt, und bis zum Paraguay sind es sechs. Außerdem fahren Sie mit der Strömung.«

»Wenn Sie das für richtig halten. Sie scheinen ja alles geplant zu haben.«

»Vertrauen Sie mir, Nate. Ich hatte schon zweimal Malaria. Das ist alles andere als angenehm. Beim zweiten Mal hätte es mich fast das Leben gekostet.«

Nate hatte noch nie an die Möglichkeit gedacht, dass Rachel sterben könnte. Die Regelung des Phelan-Nachlasses dürfte chaotisch genug sein, solange sie sich im Urwald versteckte und nicht bereit war, die Papiere zu unterschreiben. Sofern sie starb, würde es Jahre dauern, Ordnung in den Wirrwarr zu bringen, der dadurch entstünde.

Außerdem bewunderte er sie im hohen Maße. Sie war alles, was er nicht war - stark und tapfer, unerschütterlich

im Glauben, zufrieden mit einem einfachen Leben, sicher in ihrer Gewissheit, wohin sie auf der Erde wie im Jenseits gehörte. » Sterben Sie nicht Rachel«, sagte er.

»Der Tod macht mir keine angst. Für uns Christen ist er eine Belohnung. Aber beten Sie für mich, Nate.«

»Ich verspreche, dass ich künftig mehr beten will.«

»Sie sind ein guter Mensch. Sie brauchen nur ein wenig Hilfe.«

»Ich weiß. Ich bin nicht besonders stark.«

Er hatte die Papiere in einem zusammengefalteten Umschlag in der Tasche. Jetzt nahm er sie heraus. »Können wir wenigstens darüber sprechen?«

»Ja, aber nur, weil ich Ihnen einen Gefallen tun möchte. Wenn Sie schon den ganzen Weg hierher gemacht haben, kann ich mit Ihnen zumindest über die juristischen Fragen reden.«

»Danke.« Er gab ihr das erste Blatt, eine Kopie der einen Seite, aus der Troys Testament bestand. Sie las es bedächtig und hatte an einigen Stellen Schwierigkeiten, die Handschrift zu entziffern. Zum Schluß fragte sie: »Erfüllt dies Testament denn die gesetzlichen Anforderungen?«

»Eigentlich schon.«

»Aber es kommt mir irgendwie behelfsmäßig vor.«

»Ein eigenhändiges Testament ist gültig. So will es das Gesetz.«

Sie las es erneut. Nate sah, dass die Schatten am Waldrand länger wurden. Seit einiger Zeit hatte er Angst vor der Dunkelheit, sowohl zu Lande wie auf dem Wasser. Er wollte möglichst bald fort.

»Troy hat für seine anderen Nachkommen wohl nicht besonders viel empfunden, was?« fragte sie belustigt.

»Das würde Ihnen genauso gehen. Allerdings war er ihnen wohl auch kein besonders guter Vater.«

»Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem mir meine Adoptivmutter von ihm erzählt hat. Da war ich siebzehn.

Es war im Spätsommer. Ihr Mann war gerade an Krebs gestorben, und das Leben sah ziemlich trist aus. Troy hatte mich irgendwie aufgestöbert und wollte uns unbedingt besuchen. Sie hat mir gesagt, wer meine wirklichen Eltern waren, und es hat mir nichts bedeutet. Mir waren diese Menschen gleichgültig. Ich hatte sie nie gekannt und empfand nicht das Bedürfnis, sie kennenzulernen. Später habe ich erfahren, dass meine Mutter Selbstmord begangen hatte. Wie finden Sie das, Nate? Meine biologischen Eltern haben sich beide das Leben genommen.