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Ohne auf Schilder und Ampeln zu achten, jagten sie durch die Stadt. Es gab nur wenig Verkehr. Die Straßencafes schlössen allmählich.

»Haben Sie die Frau gefunden?«

»Ja.«

»Wo?«

»In der Nähe des Gebirges. Ich vermute, dass das in Bolivien liegt. Einen Tag südlich von Porto Indio.«

»Ist das Dorf auf der Karte eingezeichnet?«

»Nein.«

»Und wie haben Sie sie dann gefunden?«

Kein Brasilianer würde je zugeben, dass er sich verirrt hatte, schon gar nicht ein erfahrener Führer wie Jevy. Das würde nicht nur seinem Selbstwertgefühl schaden, sondern unter Umständen auch dem Geschäft. »Wir waren in einem überschwemmten Gebiet, wo Karten überhaupt nichts nützen. Ich bin da auf einen Fischer gestoßen, der uns Auskunft gegeben hat. Wie geht es Welly?«

»Gut. Das Boot ist verloren.« Valdir machte sich weit größere Sorgen um das Boot als um dessen Matrosen.

»Ein solches Unwetter wie die drei, die wir mitgemacht haben, hab ich noch nie erlebt.«

»Was hat die Frau gesagt?«

»Ich weiß nicht. Ich habe gar nicht mit ihr gesprochen.«

»War sie überrascht, Sie zu sehen?«

»Eigentlich nicht. Sie hat ziemlich gelassen auf mich gewirkt. Ich glaube, sie kann unseren Freund dahinten gut leiden.«

»Was ist bei der Begegnung herausgekommen?«

»Fragen Sie ihn.«

Nate lag zusammengekrümmt auf dem Rücksitz und hörte nichts. Da Jevy wohl nichts wusste, drang Senhor Ruiz auch nicht weiter in ihn. Die Anwälte konnten später miteinander reden, sobald Nate dazu imstande war.

Ein Rollstuhl wartete auf dem Bürgersteig, als sie am Krankenhaus eintrafen. Sie setzten Nate hinein und folgten dem Pfleger. Die Luft war warm und feucht und noch sehr heiß. Auf den Eingangsstufen zum Krankenhaus rauchten ein Dutzend Schwestern und Helfer in weißer Tracht ihre Zigaretten und unterhielten sich leise miteinander. Das Krankenhaus hatte keine Klimaanlage.

Der mit Valdir befreundete Arzt war kurz angebunden und kam direkt zur Sache. Der Papierkram konnte bis zum nächsten Morgen warten. Sie schoben Nate durch die leere Vorhalle und mehrere Gänge in ein kleines Untersuchungszimmer, wo eine schläfrige Schwester ihn in Empfang nahm. Jevy und der Anwalt sahen aus einer Ecke zu, wie sie und der Arzt den Patienten entkleideten. Dann wusch sie ihn mit alkoholgetränkten weißen Tüchern. Aufmerksam sah sich der Arzt den Ausschlag an, der am Kinn begann und bis zur Hüfte reichte. Nates Haut war von Mückenstichen übersät, von denen er viele aufgekratzt hatte. Sie maßen seine Temperatur, seinen Blutdruck und seinen Puls.

»Sieht ganz nach Denguefieber aus«, sagte der Arzt nach zehn Minuten. Dann schnurrte er eine Reihe von Anweisungen für die Schwester herunter, die kaum zuhörte, weil sie Erfahrung mit solchen Fällen hatte. Sie machte sich daran, Nate die Haare zu waschen.

Nate murmelte etwas, doch es betraf keinen der Anwesenden. Seine geschwollenen Lider waren nach wie vor geschlossen. Er hatte sich seit einer Woche nicht rasiert und sah aus wie jemand, der in der Gosse vor einer Kneipe lebt.

» Er hat hohes Fieber und redet wirr «, sagte der Arzt. »Wir werden ihm intravenös Antibiotika und Schmerzmittel geben. Außerdem bekommt er viel Wasser und später vielleicht etwas zu essen.«

Die Schwester legte eine dicke Mullbinde auf Nates Augen, die sie dann mit Heftpflaster an den Ohren befestigte. Anschließend legte sie ihn an den Tropf, holte ein gelbes Flügelhemd aus einer Schublade und streifte es ihm über.

Der Arzt kontrollierte erneut Nates Temperatur. »Sie müsste bald zurückgehen«, sagte er zur Schwester. »Sollte das nicht der Fall sein, rufen Sie mich zu Hause an.« Er sah auf die Uhr.

»Danke«, sagte Valdir.

»Ich sehe morgen früh nach ihm«, sagte der Arzt und ging.

Jevy wohnte am Rande der Stadt, wo die Häuser klein und die Straßen ungepflastert waren. Während Senhor Ruiz ihn nach Haus fuhr, schlief er zweimal ein.

Mrs. Stafford war nach London gereist, um Antiquitäten zu erwerben. Das Telefon klingelte ein Dutzend Mal, bevor Josh abnahm. Auf der Uhr am Bett sah er, dass es kurz vor halb drei in der Nacht war.

»Hier spricht Valdir«, ertönte eine Stimme.

»Ach ja, Valdir.« Josh rieb sich die Haare und blinzelte. »Sie Sollten mir besser was Angenehmes mitzuteilen

haben.« »Ihr Mann ist zurück.« »Gott sei Dank.« »Allerdings ist er sehr krank.« »Was?! Was hat er denn?« »Denguefieber. Das ist so ähnlich wie Malaria. Es wird von Moskitos übertragen. Hier in der Gegend kommt das ziemlich oft vor.«

»Ich dachte, er hätte Mittel gegen alle Krankheiten dabei.« Inzwischen war Josh aus dem Bett gesprungen. »Gegen Denguefieber gibt es keine solchen Mittel.« »Er wird doch nicht sterben, oder?«

»Nein. Er ist im Krankenhaus. Ich habe einen guten Freund, der Arzt ist und der sich um ihn kümmert. Er sagt, dass er wieder auf die Beine kommt.«

»Wann kann ich mit ihm reden?«

»Vielleicht morgen. Er hat hohes Fieber und ist bewusstlos.« »Hat er die Frau gefunden?« »Ja.«

Gut gemacht, dachte Josh. Erleichtert stieß er die Luft aus und setzte sich auf die Bettkante. Sie war also tatsächlich da draußen. »Geben Sie mir seine Zimmernummer.«

»Die haben hier keine Telefone auf den Zimmern.« »Es ist aber doch ein Einzelzimmer, nicht wahr? Geld spielt in diesem Fall wirklich keine Rolle. Sagen Sie, kümmert man sich auch richtig um ihn?«

»Er ist in guten Händen. Aber das Krankenhaus ist ein wenig anders als bei Ihnen.«

»Meinen Sie, dass ich runterkommen sollte?« »Wenn Sie wollen. Nötig ist es nicht. Sie können das Krankenhaus nicht ändern. Er hat einen guten Arzt.« »Wie lange muss er dort bleiben?« »Ein paar Tage. Morgen früh wissen wir mehr.« »Rufen Sie mich so bald wie möglich an. Unbedingt. Ich muss schnellstens mit ihm reden.«

»Ja, das tue ich.«

Josh ging in die Küche, um sich Eiswasser zu holen. Dann schritt er in seinem Wohnzimmer auf und ab. Als er um drei merkte, dass er nicht wieder einschlafen würde, machte er sich eine Kanne starken Kaffee und suchte sein Arbeitszimmer im Keller auf.

Weil Nate ein reicher Amerikaner war, wurde an nichts gespart. Er bekam die besten Medikamente, die es in der Krankenhausapotheke gab. Das Fieber ging ein wenig zurück, die Schweißausbrüche hörten auf. Die Schmerzen verschwanden dank der Wirkung bester amerikanischer Arzneimittel. Als ihn die Schwester und ein Pfleger zwei Stunden nach seiner Ankunft im Krankenhaus in das für ihn vorgesehene Zimmer schoben, schnarchte er laut. Bis zum nächsten Morgen würde er sich ein Zimmer mit fünf anderen Patienten teilen müssen. Zum Glück hatte er eine Binde über den Augen und war nicht bei Bewusstsein. Er konnte die offenen Wunden nicht sehen, nicht das unkontrollierte Zittern des alten Mannes neben ihm und auch nicht die leblos wirkende verschrumpelte Ge s-talt auf der anderen Seite des Zimmers. Er konnte die Exkremente nicht riechen.

VIERUNDDREISSIG

Obwohl alles, was Rex Phelan besaß, auf den Namen seiner Frau eingetragen war und er den größten Teil seines Erwachsenenlebens finanziell am Gängelband gehalten worden war, konnte er mit Zahlen umgehen - eine der wenigen Begabungen, die er von seinem Vater geerbt hatte. Er war der einzige Phelan-Erbe, der das Beharrungsvermögen und die Fähigkeit besaß, alle sechs Anfechtungsklagen gegen Troys Testament von vorn bis hinten zu lesen. Als er damit fertig war, ging ihm auf, dass sechs Kanzleien im großen und ganzen dieselbe Arbeit leisteten. In manchen Fällen kam es ihm vor, als seien die juristischen Formulierungen aus der vorigen oder der vorvorigen Eingabe Wort für Wort abgeschrieben worden.