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Der Wind pfiff durch das Schutzdach. Sie hielt Lakos Hand, und sie beteten gemeinsam - nicht um ihre eigene Sicherheit, sondern um die Gesundheit ihres Freundes Nate.

Mr. Stafford ließ sich sein Frühstück aus Getreideflocken und Obst am Schreibtisch servieren. Er war nicht bereit, das Büro zu verlassen. Als er erklärte, er werde den ganzen Tag dableiben, machten sich seine beiden Sekretärinnen eilends daran, sechs Termine zu verlegen. Um zehn aß er ein Brötchen, gleichfalls am Schreibtisch. Er rief Senhor Ruiz an und erfuhr, dass er nicht in der Kanzlei sei, sondern irgendwo in der Stadt einen Termin wahrnähme. Valdir hatte ein Mobiltelefon. Warum hatte er nicht angerufen?

Ein Mitarbeiter legte ihm eine zweiseitige Zusammenfassung über Denguefieber vor, die er aus dem Internet gefischt hatte. Er teilte ihm mit, dass er einen Termin bei Gericht habe, und wollte wissen, ob Mr. Stafford noch mehr medizinische Aufgaben für ihn habe. Mr. Stafford fand das nicht lustig.

Josh las die Zusammenfassung, während er sein Brötchen aß. Darin hieß es, dass es sich bei Denguefieber um eine Virusinfektion handelt, die sich in allen tropischen Gebieten der Erde findet. Sie wird von einer Mücke der Gattung Ae'des übertragen, die vorwiegend tagsüber sticht. Das erste Anzeichen der Krankheit ist Abgeschla-genheit, darauf folgen rasch starke Kopfschmerzen hinter den Augen sowie leichtes Fieber, das sich bald verstärkt und von Schweißausbrüchen, Übelkeit und Erbrechen begleitet wird. Während das Fieber steigt, beginnen die Waden- und Rückenmuskeln zu schmerzen. Volkstümlich wird die Krankheit wegen der entsetzlichen Muskel- und Gelenkschmerzen auch als »Knochenbrecherfieber« bezeichnet. Nachdem alle anderen Symptome aufgetreten sind, zeigt sich ein Hautausschlag. Das Fieber kann durchaus etwa einen Tag außetzen, kehrt aber gewöhnlich verstärkt zurück. Nach etwa einer Woche klingen die Symptome ab, und die Gefahr ist vorüber. Es gibt weder ein Heilmittel noch einen Impfstoff. Nach einmonatiger Bettruhe und reichlich Flüssigkeitsaufnahme kann der Patient als wiederhergestellt gelten.

So verläuft die Krankheit in einem minder schweren Fall, doch kann sie auch als hämorrhagisches Denguefieber oder Dengue-Schocksyndrom auftreten. In dieser Form verläuft sie bisweilen tödlich, besonders bei Kindern.

Josh war bereit, Mr. Phelans Privatjet mit einem Arzt, einer Schwester und allem anderen, was nötig wäre, nach Corumb a zu schicken.

»Mr. Ruiz«, sagte eine Sekretärin durch die Gegensprechanlage. Keine anderen Anrufe wurden durchgestellt. Valdir rief aus dem Krankenhaus an. »Ich war gerade bei Mr. O'Riley«, sagte er langsam und deutlich. »Es geht ihm gut, aber er ist nicht vollständig bei Bewusstsein.«

»Kann er sprechen?« fragte Josh.

»Nein. Noch nicht. Er bekommt Mittel gegen seine Schmerzen.«

»Hat er einen guten Arzt?«

»Den besten. Es ist ein Bekannter von mir. Er ist gerade bei ihm.«

»Fragen Sie ihn, wann Mr. O'Riley nach Hause fliegen kann. Ich schicke ein privates Düsenflugzeug mit einem Arzt nach Corumba.«

Man hörte, wie im Hintergrund gesprochen wurde. »Nicht so bald«, berichtete Ruiz. »Er braucht Ruhe, wenn er aus dem Krankenhaus kommt.«

»Wann wird das sein?«

Wieder eine Unterhaltung. »Das kann er jetzt noch nicht sagen.«

Josh schüttelte den Kopf und warf die Reste seines Brötchens in den Papierkorb. »Haben Sie Mr. O'Riley etwas gesagt?« knurrte er ins Telefon.

»Nein«, sagte Ruiz. »Ich glaube, er schläft.«

»Hören Sie, es ist sehr wichtig, dass ich so bald wie möglich mit ihm rede. Ist das klar?«

»Das verstehe ich. Aber Sie müssen Geduld haben.«

»Ich bin kein geduldiger Mensch.«

»Das verstehe ich. Aber Sie müssen es versuchen.«

»Rufen Sie mich heute Nachmittag noch einmal an.«

Josh knallte den Hörer auf die Gabel und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Es war nicht klug gewesen,

Nate in seinem anfälligen Zustand den Gefahren der Tropen auszusetzen. Diese Entscheidung war von reiner Bequemlichkeit diktiert worden. Man konnte ihn für einige Wochen aus dem Weg schaffen, ihn woanders beschäftigen, während die Kanzlei das von ihm hinterlassene Chaos ordnete. Es gab außer Nate noch vier von Josh handverlesene Juniorpartner in der Kanzlei, die er selbst eingestellt und angelernt hatte. Er hatte sie in einigen Fragen der Geschäftsführung um ihre Ansicht gebeten. Als einziger hatte sich Tip für Nate ausgesprochen. Die drei anderen wollten, dass er aus der Kanzlei ausschied.

Nates Sekretärin war einem anderen Anwalt zugeteilt worden. Ein aufstrebender Kollege hatte in jüngster Zeit Nates Büro belegt, und es hieß, er fühle sich dort ganz heimisch.

Für den Fall, dass das Denguefieber dem armen Nate nicht den Garaus machte, wartete bereits der IRS auf ihn.

Ohne dass jemand etwas davon merkte, lief der Tropf um die Mitte des Tages leer, und es kümmerte sich auch niemand darum. Mehrere Stunden später wurde Nate wach. Sein Kopf fühlte sich leicht an, er spürte weder Schmerzen noch Fieber. Seine Glieder waren steif, doch er schwitzte nicht. Er fühlte die dicke Binde über den Augen, ertastete das Heftpflaster, das sie hielt, und beschloss nach einigem Überlegen, einmal nachzusehen. Da die Kanüle des Infusionsschlauchs im linken Arm steckte, zupfte er mit den Fingern der rechten Hand am Pflaster. Er hörte Stimmen in einem anderen Zimmer und Schritte auf einem harten Boden. Im Gang gingen Menschen hin und her. Irgendwo in seiner Nähe stöhnte jemand leise vor Schmerzen.

Nach einer Weile gelang es ihm, das Heftpflaster von seinen Haaren und seiner Haut zu lösen, wobei er denjenigen verfluchte, der es angebracht hatte. Er klappte die Binde zur Seite, so dass sie ihm über das linke Ohr hing. Das erste, was er sah, war abblätternde Farbe, ein stumpfes, ausgebleichtes Gelb an der Wand unmittelbar über ihm. Das Licht war ausgeschaltet, durch ein Fenster drangen Sonnenstrahlen herein. Die Deckenfarbe wies ebenfalls Risse auf, unter großen schwarzen Lücken hingen Spinnweben. Ein klappriger Ventilator eierte unter der Zimmerdecke.

Zwei Füße erregten seine Aufmerksamkeit, zwei alte, knotige, mit Narben übersäte Füße, die von den Zehen bis zur Ferse mit Wunden und Schwielen bedeckt waren. Als er den Kopf ein wenig hob, sah er, dass sie einem verschrumpelten kleinen Mann gehörten, dessen Bett mit dem Fußende fast an seines stieß. Er schien tot zu sein. Das Stöhnen kam von der Wand neben dem Fenster. Der arme Kerl in dem Bett da drüben war ebenso klein und ebenso verschrumpelt. Er saß mit verschränkten Armen und Beinen fast wie zu einer Kugel zusammengerollt mitten im Bett, als wäre er bewusstlos.

Die Luft war schwer vom Geruch abgestandenen Urins, menschlicher Exkremente und antiseptischer Mittel. Krankenschwestern lachten auf dem Gang. Von allen Wänden blätterte die Farbe. Außer Nates Bett standen noch fünf weitere im Raum, alle auf Rollen, einfach ohne erkennbare Ordnung hier und da abgestellt.

Sein dritter Zimmergenosse lag in der Nähe der Tür. Mit Ausnahme einer durchnässten Windel war er nackt, und sein ganzer Leib war mit offenen roten Schwären bedeckt. Auch er schien tot zu sein, und Nate hoffte im Interesse des Mannes, dass es sich so verhielt.

Nirgendwo gab es Knöpfe, auf die man hätte drücken können, keine Schnur, an der man ziehen konnte, um jemanden herbeizuholen, keine Möglichkeit, Hilfe anzufordern, außer indem man laut schrie. Dann aber wurden möglicherweise die Toten wach, erhoben sich von ihren Betten und suchten ihn heim.

Er wollte davonlaufen, die Füße über den Bettrand schwingen, sich den Infusionsschlauch aus dem Arm reißen und in die Freiheit rennen. Er würde sein Glück auf der Straße versuchen. Dort gab es bestimmt nicht soviel Krankheit wie hier. Alles war besser als diese Leprastation.