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Wolfgang Hohlbein - Die Enwor Saga 3

Das tote Land

Umschlag: Der Graph, Wien

Illustrationen: Christian Mogg

Ungekürzte und genehmigte Lizenzausgabe für Tosa Verlag, Wien

© der Originalausgabe 1984 by Wilhelm Goldmann Verlag GmbH, München

© der vorliegenden Ausgabe 1995 by Tosa Verlag, Wien

Gesamtherstellung: Der Graph, Wien

Printed in Austria

Coverrückseite

Alle Mühen waren umsonst gewesen: Skar hatte Unsägliches auf sich genommen, um den ›Stein der Macht‹ aus der brennenden Stadt Combat zu holen - da war er ihm von Vela in einem Handstreich wieder entrissen worden. Mit den Gefährten nimmt Skar die Verfolgung Velas auf. So ziehen sie über die gläsernen Ebenen von Tuan - das ›tote Land‹ - und treffen schließlich auf die Hexe und Ehrwürdige Frau. Die letzte Schlacht scheint unmittelbar bevorzustehen. Da greift der ›steinerne Wolf‹, der Wächter des Steins aus Combat, in das Geschehen ein ...

1.

Gegen Morgen kam das Fieber, kamen das Fieber und die Träume. Skar hatte den größten Teil der Nacht neben Gowennas Lager zugebracht, stumm wie sie und von Schmerzen und Schwäche, am meisten aber von dem Gefühl der Hilflosigkeit gepeinigt, das von ihm Besitz ergriffen hatte. Es war eine sinnlose Wache, denn er konnte ihr nicht helfen, nicht einmal Trost zusprechen. Er wollte es auch nicht. Jedes Wort, das er hätte sagen können, wäre ihm in ihrer Situation wie grausamer Spott vorgekommen. Sie hatten nicht mehr miteinander geredet; die wenigen Worte, die sie zu ihm gesprochen hatte, schienen ihre gesamten Kraftreserven aufgebraucht zu haben, und sie war in einen unruhigen, von Krämpfen und Schüttelfrost heimgesuchten Zustand irgendwo zwischen Bewußtlosigkeit und Schlaf verfallen. Die Nacht breitete einen barmherzigen Schleier aus Dunkelheit über ihr zerstörtes Gesicht, und erst gegen Morgen wurde ihr Schlaf ein wenig ruhiger, keine Agonie mehr, sondern das tiefe, erschöpfte Ruhen eines Körpers, der bis über die Grenzen des Erträglichen hinaus belastet worden war. Dafür begann Skars Krise, als hätte das Schicksal nur gewartet, um ihm einen kurzen Blick in seine eigene Zukunft zu gewähren. Zu Anfang war es lediglich ein dumpfer, kaum wahrnehmbarer Druck hinter seiner Stirn, nur ein Schmerz unter unzähligen anderen, die seinen zerschundenen Körper quälten, der jedoch rasch stärker und nach einer Weile zur Qual wurde; ein Schmerz aber, der sich mehr auf geistiger als auf körperlicher Ebene auszubreiten begann und dem er sich nicht wie gewohnt entgegenzustellen und ihn zu bekämpfen vermochte. Er hatte gewußt, daß er kommen würde, so wie in den Nächten zuvor, und doch war es anders. Seine Hand glitt in einer Bewegung, die schon zum Reflex geworden war und die er wie das Luftholen oder Blinzeln schon nicht mehr bewußt wahrnahm, an seinen Hals und suchte den kleinen Lederbeutel, aber diesmal war nichts mehr da, sein Vorrat an Leben und geliehener Stärke war verschwunden, und das Brennen in ihm wurde stärker. Er stand auf und ging mühsam und schleppend und mit hängenden Schultern wie ein alter Mann zum entgegengesetzten Rand des Kraters hinüber, wie ein Tier, das das nahende Ende spürt und sich von der Herde absondert, um in Ruhe zu sterben. Es war seltsam - jetzt, wo er wußte, daß ihn die Droge nicht töten würde, schämte er sich vor den anderen. Er wollte nicht, daß sie sahen, wie er litt, wie er sich herumwerfen und nach dem Gift schreien würde, das in seinen Adern pulsierte.

Er war noch immer stark genug, trotzdem einzuschlafen, einfach, weil er es wollte, aber er wachte immer wieder auf, schweratmend und in Schweiß gebadet und mit klopfendem Herzen, bitteren Blutgeschmack im Mund und mit der Erinnerung an die Bilder, die irgendwo hinter seinen Gedanken lauerten, ohne sich zu zeigen. Er konnte sich - anders als zuvor - nicht an die Träume erinnern, aber irgendwie erschien es ihm, als ob sie immer gleich wären, gleich und doch verschieden: so, als sähe er jedesmal eine neue Version ein und derselben Szene. Die Sonne ging auf und ließ den brodelnden Feuerbaldachin Combats verblassen, und es wurde wärmer, zumindest hier, am Grunde des Kraters, dessen steil aufragende Wände sie vor dem eisigen Wind schützten. Skars Bewußtsein begann sich zu verschleiern, zuerst nur zum Teil, als wären seine Gedanken entlang einer gezackten Rißlinie gespalten, aber die Grenze, hinter der er noch klar denken konnte, verschob sich, wurde mit jeder Handbreit, die die Sonne am Himmel emporstieg, kleiner, bis er schließlich ganz in einem Sumpf aus Fieberphantasien und Qual versank.

Als er erwachte, war wieder Nacht.

Es war ein Erwachen, ganz anders als sonst; nicht das plötzliche, abrupte Heraufsteigen aus einem langen, stärkenden Schlaf, sondern ein bizarrer, in Etappen stattfindender, furchteinflößender Prozeß: langsam und mühevoll, als wäre sein Geist in einen tiefen, unendlich tiefen Abgrund in seiner eigenen Seele gestürzt, aus dem er sich nur mit äußerster Mühe emporarbeiten konnte. Das erste, was er spürte, war Kälte. Er lag nicht mehr auf dem nackten Boden, auf den er sich gelegt hatte, sondern auf einem Lager aus Kleidern und Stoffetzen, und jemand hatte ihn mit einem Mantel zugedeckt. Seine Hände und Ellbogen waren zerschrammt und bluteten; wahrscheinlich hatte er um sich geschlagen und sich die Haut an scharfkantigem Lavagestein aufgeschürft. Seine gebrochenen Rippen schmerzten unerträglich, aber der Druck hinter seiner Stirn war verschwunden.

War es so leicht? dachte er erschrocken. Hatte er deshalb all die Tage und Wochen der Angst durchgestanden - wegen einer Nacht Fieber und Alpträume? Aber noch während er diesen Gedanken dachte, spürte er bereits, wie das Gift schon wieder mit dünnen, knochigen Fingern bei ihm anklopfte. Es war noch lange nicht vorbei, hatte vielleicht noch nicht einmal richtig begonnen. Alles, was er gewonnen hatte, war eine kurze Erholungspause, ein Moment der Ruhe, nach dem das Gift neu und vielleicht stärker zuschlagen würde.

Er setzte sich auf, sah sich um und stemmte sich umständlich auf Hände und Knie hoch. Der Schlaf hatte ihn nicht erfrischt, sondern ihn im Gegenteil Kraft gekostet; er spürte es, als er vollends aufstand. Seine Hände zitterten, und seine Beine schienen das Gewicht seines Körpers kaum tragen zu können. Sekundenlang blieb er reglos stehen, hielt sich mit beiden Händen am rissigen schwarzen Glas der Kraterwand fest und wartete, bis das Schwindelgefühl schwächer wurde.

Trotzdem liefen seine Gedanken mit seltener Klarheit ab. Er sah alles um sich herum wie auf einem Bild, auf dem ein geschickter Maler die wichtigen Details hervorgehoben und alles andere nur mit knappen Strichen angedeutet hatte, ohne daß der Unterschied bewußt ins Auge fiel. Der Krater war von flachen schwarzen Schatten erfüllt, dazwischen Grau und glänzendes schwarzes Glas in allen nur denkbaren Schattierungen, durchwoben mit dem flackernden blutigen Feuerschein der brennenden Stadt. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, verzog das Gesicht, als er mit einer ungeschickten Bewegung sein gebrochenes Nasenbein berührte und ein scharfer Schmerz wie die Klinge eines schmalen Silberdolches zwischen seine Augen fuhr, und ging unsicher zu den beiden Sumpfmännern hinüber. Sie hatten sich nicht gerührt, die ganze Zeit nicht, seit er aufgewacht war, und vielleicht standen sie schon seit Stunden so da: reglos, zwei kleine, graugekleidete Statuen, die Schattengesichter einander zugewandt, als würden sie miteinander reden. Irgendwo wieherte ein Pferd, es war ein Laut, der seltsam verloren klang und die Leblosigkeit der Ebene, die sie umgab, betonte, und für einen kurzen Moment drang der Geruch von gebratenem Fleisch durch den Nebel aus Schwäche und Übelkeit, der Skars Sinne umgab.

Einer der beiden El-tra wandte den Kopf, als Skar näher kam. »Du bist wach.« Frage, Feststellung, aber auch Ausdruck von Besorgnis, alles schien in diesen drei Worten enthalten zu sein. Die Schattenmänner sprachen selten, und wenn, dann drückten sie selbst dieses wenige mit sparsamen, knappen Worten aus. Und doch vermochten sie mit einem Satz mehr zu sagen, als so mancher, den Skar kannte, in einer stundenlangen Rede.