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Langsam löste er die Hände von ihrem Gesicht, legte sie sanft um ihre Schultern und zog sie zu sich heran. Sie wehrte sich und versuchte ihn wegzuschieben, aber er spürte, daß es ihr - trotz aller Kraft, die sie aufwandte - nicht ernst damit war, daß etwas in ihr nach dieser Berührung schrie.

»Bitte, Skar«, flehte sie. »Kein Mitleid. Jetzt nicht mehr.« Er schüttelte sanft den Kopf. »Kein Mitleid«, flüsterte er. Ihre Blicke trafen sich erneut. Zum ersten Mal - wirklich zum ersten Mal, wie er plötzlich begriff - sah er Gowenna so, wie sie war: eine Frau. Eine Frau, die trotz allem noch stolz auf ihren Körper und seine Schönheit war, aber die diese Tatsache vielleicht erst jetzt, jetzt, als es zu spät war, begriff. Sie hatte sich selbst ihr Leben lang verleugnet, und das, worauf es ihr ankam, das, was sie in Wirklichkeit sein wollte, nämlich nicht mehr als eine Frau, die lieben und geliebt werden konnte, die wie jeder Mensch ein Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Geborgenheit hatte, war ihr im gleichen Augenblick genommen worden, in dem sie es gefunden hatte. Skar verstand sie, verstand nur zu gut, wie sie die Frau, die ihr das alles angetan hatte, hassen mußte. Und er verstand auch den Ausdruck in ihrem Blick, diesen stummen Schrei nach Liebe und Zärtlichkeit. Und etwas in ihm antwortete darauf, etwas, das nicht neu, sondern die ganze Zeit über dagewesen war, vom ersten flüchtigen Blick an, den sie in RACHES WACHT in Ikne getauscht hatten.

Nein - es war kein Mitleid, und es war auch keine barmherzige Lüge, als er ihr Gesicht zwischen die Hände nahm und sie, zuerst behutsam, dann wild und so heftig, daß es sie schmerzen mußte, küßte.

6.

Während der nächsten vier Tage ritten sie weiter nach Süden, in einem flachen, sanft geschwungenen Bogen der Krümmung des Gebirges folgend, das von Zeit zu Zeit noch immer als mächtiger grauer Schatten im Westen sichtbar war. Skar schätzte die Strecke, die sie zurücklegten, auf etwas mehr als hundert Meilen - wenig, bedachte man die Zeit, die sie unterwegs waren, aber viel, setzte man ihren eigenen und den erschöpften Zustand der Pferde in Rechnung. Drei der Tiere starben; eines mußte getötet werden, als der trügerische Glasboden unter seinem Gewicht einbrach und es sich an den messerscharfen Kanten die Fesseln aufriß, die beiden anderen brachen einfach vor Entkräftung unter ihren Reitern zusammen, so daß ihnen nur noch ein Ersatzpferd blieb. Die beiden Sumpfmänner stiegen jetzt von Zeit zu Zeit ab und liefen neben den Tieren her, aber selbst ihre Kräfte ließen nun auch sichtlich nach.

Skar sprach kaum noch mit den anderen, weder mit Gowenna noch mit einem der Sumpfmänner. Irgendwann während des zweiten Tages verfiel er in einen Dämmerzustand zwischen Wachsein und Trance, in dem das Verstreichen der Zeit bedeutungslos wurde und selbst seine Gedanken nach und nach zu erlöschen schienen. Seine gebrochenen Rippen schmerzten kaum noch, und schon am zweiten Abend konnte er den Verband abnehmen und das erste Mal seit Tagen wieder frei durchatmen, ohne das Gefühl zu haben, einen Dolch in die Seite gerammt zu bekommen, und auch das Fieber ging von Nacht zu Nacht zurück. Als verlange das Schicksal einen Preis für das allmähliche Zurückkehren seiner körperlichen Kraft, verwirrten sich aber seine Gedanken mehr und mehr. Es fiel ihm schwer, an irgend etwas anderes als den Augenblick zu denken, und als er am fünften Abend, seit sie von Combat fortgeritten waren, aus dem Sattel stieg, waren seine Bewegungen so fahrig und unkoordiniert, daß er das Gleichgewicht verlor und stürzte, wobei er sich auf dem stahlharten Boden Tuans um ein Haar das Handgelenk gebrochen hätte.

El-tra kommentierte sein Mißgeschick mit einem stummen Kopfschütteln, aber danach blieb einer der Sumpfmänner stets in seiner unmittelbaren Nähe, so, wie der zweite nicht von Gowennas Seite wich.

Die Landschaft, durch die sie ritten, veränderte sich langsam, aber stetig. Als bewegten sie sich nicht nur räumlich, sondern auch in der Zeit zurück, war die Zerstörung, die sich ihren Blicken bot, weiter im Süden nicht mehr ganz so total. Sie ritten noch immer über Glas, das bei jedem Schritt die empfindlichen Fesseln der Pferde wie ein Hammerschlag treffen mußte, aber die Ruinen, zuerst nur einzeln und weit verstreut, nahmen nach und nach an Zahl und Größe zu, und hier und da gewahrten sie flache, geborstene Krater, auf deren Grund Sand und zusammengebackenes Erdreich, manchmal auch geschwärzte, verbogene Trümmer aus Stahl oder Bronze, lagen. Die Gewalt des Höllenfeuers, mit dem die Götter Combat geschlagen hatten, war hier nicht ganz so groß gewesen; der Ring der Vernichtung wurde dünner, je weiter sie nach Süden kamen.

Aber Skar war sich nicht sicher, ob er sich darüber freuen sollte. Sie lagerten weiter im Schutz der Ruinen, aber die niedergebrannten, geschmolzenen Räume waren jetzt nicht mehr leer - nicht immer zumindest -, sondern manchmal voll von schwarzen, geschmolzenen Dingen, deren ursprüngliche Form und Funktion sie nicht erraten konnten.

Combats Feuer schrumpfte jetzt mehr und mehr hinter ihnen zusammen, und manchmal, wenn der Schneesturm besonders heftig tobte, erlosch es ganz. Oder jedenfalls fast ganz.

Da war dieser Lichtpunkt. Ein winziger, flackernder Funke, wie ein Stern, der vom Himmel heruntergekommen war und sich auf ihre Spur gesetzt hatte. Weder El-tra noch sein Bruder oder Gowenna schienen ihn zu bemerken, und Skar erwähnte seine Beobachtung auch kaum. Aber er war trotzdem sicher, sich nicht zu täuschen. Er hatte es am ersten Tag, seit sie aus der brennenden Stadt geflohen waren, bemerkt, und er sah - spürte - es jetzt wieder. Irgend etwas folgte ihnen. Combat würde den Diebstahl seines Schatzes nicht ungesühnt lassen. Der Wächter hatte sich auf ihre Fährte gesetzt, und so wie Velas Staubdrachen eine Spur nie wieder losließ, bis er sein Opfer geschlagen hatte, würde auch er nicht von ihrer Fährte weichen, bis der Stein entweder wieder dort war, wo er seit Äonen geruht hatte oder die Diebe ihre Strafe erfahren hatten.

Gegen Abend des sechsten Tages tauchte ein Schatten vor ihnen am Horizont auf, ein dünner, flackernder grauer Strich, gezogen mit mathematischer Präzision und, obwohl noch unendlich weit entfernt und nicht deutlicher als ein Haar, das von Zeit zu Zeit hinter den wogenden Schneewirbeln auftauchte, gewaltig, groß. Sie wußten alle, was sie vor sich hatten, aber niemand sprach das Wort laut aus; es war die zweite Legende, auf die sie stießen und die sich als wahr herausstellte, und in jedem - auch in den Sumpfmänner - mochte die Angst sitzen, daß sich auch diesmal die Wirklichkeit als schlimmer und bedrohlicher als der Mythos herausstellte. Die Legende hatte gesagt, daß Combat existierte und von den Göttern verdammt worden war - und Combat hatte existiert und war überdies voller tödlicher Gefahren gewesen, beladen mit einem Fluch, der vier Männern das Leben gekostet hatte und auch noch auf ihnen lastete, sie vielleicht noch treffen würde. Die Legende sagte, daß es die Hellgor gab, eine Schlucht, die bis ins Herz der Erde hinabführte, einen Schacht zur Hölle, unüberwindlich und böse. Was, dachte Skar, wenn auch hier die Realität die Legende übertraf, wenn die Hellgor nicht einfach ein Riß in der Erde, sondern ein Hort der Dämonen, vielleicht der Kräfte, die Tuan dies alles angetan hatten, war?