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»Ich dachte, du weißt nichts über dieses Land«, erwiderte Skar überrascht.

»Ich weiß auch nichts darüber«, antwortete Gowenna ruhig. »Eine Legende, mehr nicht. Das Praktische an Legenden ist, daß man sich immer die für wahr heraussuchen kann, die einem am dienlichsten erscheint.« Sie lachte, stockte für die Dauer eines Atemzugs und begann dann plötzlich und scheinbar ohne jeden Grund zuerst zu schluchzen, dann zu weinen. Ihre Schultern bebten.

Skar lenkte sein Tier näher an das Gowennas heran, streckte die Hand aus und berührte sie flüchtig an der Schulter. Gowenna fuhr auf, schlug seinen Arm beiseite und wandte sich mit einem Ruck ab.

»Laß mich, Satai!« stieß sie hervor. »Ich brauche dein Mitleid nicht! Deines am allerwenigsten!«

Skar erstarrte. »Das glaube ich dir gerne, Gowenna«, sagte er gepreßt. »Du hast genug davon in dir. Wer so viel Selbstmitleid hat wie du, braucht das anderer nicht mehr. Er hat auch kein Anrecht mehr darauf.«

Seine Worte trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht. Sie fuhr herum, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber nur ein schmerzhaftes Krächzen zustande. Ihr unverletzt gebliebenes Auge sprühte vor Zorn.

»Satai!« zischte sie, und diesmal klang es, wie es gemeint war: als Beschimpfung. »Ihr versteht nichts. Nichts. Ihr wißt ein Schwert zu führen, aber was wißt Ihr von einem Menschen?«

»Genug«, antwortete Skar so ruhig, wie er konnte. Die Kluft zwischen ihnen war wieder da, unüberbrückbar wie zuvor, und Skar begriff plötzlich, daß alles, was er bisher gefühlt - nicht einmal wirklich gefühlt, sondern nur zu fühlen geglaubt hatte - nur eine barmherzige Lüge gewesen war. Sie waren von einem Moment zum anderen von Feinden zu Verbündeten geworden, aber es war nur ein Burgfrieden, eine aus Not geschmiedete Gemeinschaft, und die alte Feindschaft war noch da und würde immer da sein, ganz egal, wie lange sie zusammen blieben. »Genug jedenfalls«, fuhr er fort, »um zu wissen, daß weder Selbstmitleid noch blinder Haß eine Lösung sind. Wenn du ein Ziel erreichen willst, dann nur durch Härte. Ich weiß, daß du stark wie ein Mann und stolz darauf bist, aber das ist es nicht, was ich meine.« Die Flamme brannte höher, griff gierig nach der Nahrung, die er ihr so lange vorenthalten hatte.

Er hatte Gowenna vom ersten Tag an zur Zielscheibe des Hasses gemacht, der Vela gebührt hätte. Ohne daß er sagen konnte warum, hatte es ihm stets ein Gefühl der Befriedigung bereitet, sie zu quälen, zu schlagen, wenn schon nicht mit Fäusten, so mit Worten, und trotz allem, was geschehen war, bereitete es ihm noch immer dasselbe boshafte Vergnügen, zu sehen, wie sie unter seinen Worten zusammenzuckte, obwohl auch jetzt in seinem Inneren eine Stimme war, die ihn anschrie, aufzuhören, sie nicht weiter zu peinigen.

»Du glaubst, Vela zu hassen«, fuhr er fort, »und nicht einmal das ist wahr. Der einzige Mensch auf der Welt, den du haßt, bist du selbst. Du haßt dich, weil du weißt, daß du nie wieder unter Menschen treten kannst, ohne daß man dir Blicke nachwirft und dir entweder Ekel oder Furcht entgegenbringen wird. Du haßt dich, weil du es nie wieder wagen wirst, in einen Spiegel zu schauen. Und du haßt dich, weil du versagt hast.«

»Ich habe -«

»Du hast versagt, Gowenna. Ich rede nicht von Combat. Du wußtest vorher, daß ich es sein würde, der den Stein holt. Ich rede davon, daß Vela dich betrogen hat. Dafür haßt du dich. Nicht sie. Was sie getan hat, ist ihre Sache, aber du wirst dir - dir selbst, Gowenna - niemals verzeihen, daß sie es tat. Deshalb habe ich dein Angebot abgelehnt, in deine Dienste zu treten. Du verachtest uns Satai« - er betonte das Wort auf die gleiche Weise wie sie zuvor, aber er sah an der Reaktion auf ihrem Gesicht, daß sie den Unterschied genau spürte - »aber du hast immer noch nicht begriffen, was wir wirklich sind. Sowenig«, fügte er, leiser und nach einer genau bemessenen Pause hinzu, »wie du jemals begreifen wirst, was eine Errish ist. Es gehört mehr dazu, eine Ehrwürdige Frau zu werden, als Krankheiten zu heilen und ein wenig Hokuspokus aufführen zu können, so wie mehr dazu gehört, als ein Schwert zu führen, um ein Satai zu sein. Härte, Gowenna. Vela konnte dich schlagen, weil sie hart ist, und ich werde sie besiegen, weil ich ebenso hart bin. Nicht Härte anderen gegenüber, sondern dir selbst gegenüber. Erst, wenn du begriffen hast, daß dein eigenes Leben nichts, absolut nichts wert ist, erst dann kannst du wirklich stark werden.«

»Und das bist du, ja?« fragte Gowenna spöttisch. Er hatte sie in die Enge getrieben, und sie flüchtete sich in Sarkasmus und Hohn. »Der große, tapfere Satai. Der Supermann. Warum hast du sie nicht getötet, Satai, wenn du so verdammt stark bist? Warum hast du sie nicht erschlagen? Du hast mehr Grund als ich, sie zu hassen, und einer dieser Gründe heißt Del. Sie hat dich dazu gebracht, einem Mann, den du als deinen Freund bezeichnest, in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüberzutreten. Warum hast du sie nicht getötet, wenn dir dein eigenes Leben so wenig gilt? Du kannst es nicht, Skar. Ein kleiner Liebeszauber, von dem du nichts gemerkt hast - ich hoffe, du verzeihst mir diesen kleinen Kunst - griff«, versuchte sie Velas Worte nachzuäffen. »Aber sag mir, Satai, wie kann man einen Mann behexen, der keine Gefühle kennt? Man kann es - jedenfalls bei dir. Sie hat es bei eurem zweiten Treffen in Ikne getan, und du hast es nicht einmal gespürt. Ich hätte es auch tun können, Skar. Ich kann alles, was sie kann. Hätte ich gewollt, würdest du mich abgöttisch lieben und im Staub kriechen, wenn ich nur mit den Fingern schnippe. Aber ich wollte, daß du mir freiwillig hilfst. Ich wollte keine Marionette, sondern einen Freund.«

Plötzlich kam Skar ihre Unterhaltung absurd vor, absurd und lächerlich. Sie waren beide mehr tot als lebendig, Gowenna verbrannt vom Säureatem des Drachen, er noch immer verseucht von dem Gift, das in seinen Adern pulsierte, und sie hatten nichts Besseres zu tun, als sich zu streiten. Er lachte.

Gowenna preßte die Lippen zusammen. »Verzeih mir, wenn ich etwas Dummes gesagt habe, Satai«, sagte sie. »Aber ich bin nur ein naives Mädchen, vergiß das nicht.«

Skar schüttelte den Kopf. »Das war es nicht, Gowenna. Ich habe mich nur für einen Moment gefragt, warum wir nicht aus den Sätteln steigen und uns mit Sand bewerfen.«

Gowenna starrte ihn verständnislos an, und sein Lächeln erlosch schlagartig. »Verzeih«, murmelte er. »Das war unfair. Ich ... ich wollte dir nicht weh tun.«

»Doch, Skar, das wolltest du. Und du hast es erreicht. Du wolltest mich verletzen, so wie ich dich vom ersten Tage an verletzen wollte.«

»Und jetzt?« fragte Skar. »Willst du es nicht mehr?«

Gowenna schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich ... versuche es nicht mehr zu wollen«, sagte sie stockend. »So, wie -«

»So, wie du versuchst, Vela zu hassen«, vollendete Skar den Satz. »Und du kannst beides nicht. Und das ist auch der Grund, aus dem du sie niemals besiegen wirst, Gowenna. Vielleicht wirst du deine Worte wahr machen und sie bis ans Ende der Welt jagen und töten. Aber besiegen wirst du sie nie.«

Er sah an ihrem Blick, daß sie etwas darauf erwidern wollte, aber bevor sie Gelegenheit dazu bekam, zwang er sein Pferd herum und ritt schnell zu El-tra an die Spitze der Kolonne.

3.

Wieder träumte er, aber diesmal konnte er sich hinterher an den Traum erinnern. Er lief über eine gewaltige schwarze Ebene, die mit Trümmern und formlosen, brennenden Dingen übersät war. Tuan und nicht Tuan, oder wenn doch, dann ein Tuan, das er niemals wirklich gesehen hatte, ein Totes Land, wie es vielleicht ausgesehen hatte, als es noch nicht tot oder gerade im Sterben begriffen war. Feuer fiel vom Himmel, und im ersten Moment glaubte er, wieder in Combat zu sein, aber alles um ihn herum war schwarz und geduckt, und der Boden zuckte und bebte unter seinen Füßen wie ein gewaltiges lebendes Wesen, das sich in Krampten wand. Vor ihm war etwas Schwarzes und Monströses, das sich seinen Blicken beständig entzog, aber trotzdem auch immer da war, egal, wohin er sah. Er hätte Angst davor haben müssen, aber er empfand im Grunde gar nichts. Plötzlich war er wirklich in Combat, wieder in dem kleinen Raum unter der Kuppel des Tempels, aber er wußte mit einem Mal, daß es kein Tempel war, sondern das Zentrum eines unsagbar fremden Etwas, das er niemals begreifen würde, Herz einer... Magie(?), die vor hunderttausend Jahren untergegangen war, zusammen mit den Wesen, die sie geschaffen hatten, und vor ihm stand der weiße, aus schimmerndem Glas gewachsene Gral des Steines, bewacht von einem gewaltigen schwarzen Granitwolf. Aber als er danach greifen wollte, schmolz er zusammen und wurde zum höhnisch grinsenden Kopf des Staubdrachen, und aus dem Wolf wurde ein hühnenhafter schwarz gepanzerter Krieger. Die dunklen Augen hinter dem geschlitzten Visier erschienen ihm seltsam vertraut, aber er wußte nicht, wem er gerade gegenüberstand, Del oder seinem Dunklen Bruder, vielleicht auch beiden. Der Traum endete an dieser Stelle, aber Skar wachte nicht auf, sondern trieb noch eine Weile haltlos durch den grauen Nebel, der zwischen Schlaf und Erwachen liegt. Das Geräusch des Windes drang schwach an sein Bewußtsein, doch der Laut erschien ihm plötzlich wie ein langgezogenes, klagendes Heulen, das Heulen des steinernen Wolfes von Combat, der den Verlust seines Schatzes beklagte. Noch einmal glitt er - für Sekunden, wie es ihm schien - hinüber in den Schlaf, und als wäre sein Traum noch nicht zu Ende gewesen, setzte er sich fort. Plötzlich war er nicht mehr in Combat, sondern in Urcôun, der Stadt am Rand der Nonakesh-Würste. Wieder sah er den schwarzen Riesen, aber dann wuchsen aus seinem Kopf und seinen Schultern lange, dornige Stacheln, und als er die Hand hob und das Gesichtsvisier zur Seite schob, da war es nicht Dels Gesicht oder sein eigenes, sondern eine schwarze, brodelnde, formlose Masse.