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Wolfgang Hohlbein - Die Enwor Saga 9

Das vergessene Heer

Umschlag: Der Graph, Wien

Illustrationen: Christian Mogg

Ungekürzte und genehmigte Lizenzausgabe für Tosa Verlag, Wien

© der Originalausgabe 1988 by Wilhelm Goldmann Verlag GmbH, München

© der vorliegenden Ausgabe 1996 by Tosa Verlag, Wien

Coverrückseite

Der sagenhafte schwarze Turm ist Herberge des Ssirhaa Ennart, der versucht, die uralte Magie wieder zum Leben zu erwecken und sie für seine Zwecke zu mißbrauchen.

Als Skar ihn tötet, stürzt der riesige monolithische Turm ein. Schwer verwundet setzt Skar zusammen mit dem Quorrl Titch und Kiina seine Reise in den Norden fort. Er weiß, daß er nur dort Hilfe für ganz Enwor finden kann.

Doch auf dem Weg dorthin müssen sie durch Titchs Heimat, das unwirtliche Cant, das noch kein Mensch jemals lebend verlassen hat. Denn viele der Quorrl schätzen die Menschen - als Nahrung. Erst dort begreift Skar wirklich die Tragödie der Echsenwesen, die zugleich auch die Tragödie ganz Enwors ist...

1.

Es war kein körperlicher Schmerz, der das Erwachen begleitete und zu einer Qual machte, sein erster klarer Eindruck war vielmehr der einer tiefen Verbitterung und Leere, die aber fast schlimmer als körperliche Pein war.

Herr...

Er hatte es gewußt. Großer Gott, er hatte es gewußt, fast vom ersten Tag an, aber er hatte es einfach vergessen! Vergessen oder nicht wahrhaben wollen, weil das Eingeständnis dessen, was Trashs letzte Worte wirklich bedeutet hatten, zu entsetzlich gewesen wäre.

Sie sind wieder da, Satai! Sie sind wieder da!

Erst nach diesen Gedanken kamen die körperlichen Empfindungen, als wäre sein Geist ein wenig zu früh aus der Bewußtlosigkeit erwacht: die harte, kalte Unterlage, auf die man ihn gebettet hatte, ein Luftzug, der über seine nackte Brust strich und eine Spur zu kühl war, um angenehm zu sein, ein leichter, aber penetranter Schmerz in seiner linken Armbeuge. Stimmen, die gedämpft und in einer Sprache miteinander redeten, die er nicht verstand. Gerüche, allesamt fremdartig und beunruhigend.

Sie sind wieder da, Satai!

Ein goldenes Gesicht, das Quorrl und doch nicht Quorrl, Mensch und doch nicht Mensch, eine Mischung aus beidem und doch etwas völlig Fremdes, Unheimliches war, und...

Skar drängte die Bilder mit aller Macht beiseite und versuchte sich auf seine Umgebung zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. Seine Erinnerungen waren außer Rand und Band geraten und tobten wie eine Schar bissiger Ratten in seinem Kopf herum. Es fiel ihm schwer, zwischen Realität und Traum zu unterscheiden, die Bilder, die aus der Vergangenheit in seinem Kopf aufstiegen, von denen zu trennen, die er wirklich gesehen hatte. Sie sind wieder da.

Herr!

Beides waren Worte gewesen, die ein Quorrl gesprochen hatte, und er hatte ihre Bedeutung beide Male zu spät erkannt. Schritte näherten sich, und dann spürte er ganz deutlich, daß jemand neben ihm stand. Er versuchte erneut, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und Trashs Stimme und den Anblick des goldenen Gesichts dorthin zu verbannen, wo sie hergekommen waren, und diesmal gelang es ihm; vielleicht, weil er spürte, daß die Gestalt neben ihm sein Erwachen bemerkt hatte. Vorsichtig hob er die Lider und schloß sie sofort wieder, denn das Licht stach in seine Augen. Er konnte nicht sagen, wer neben ihn getreten war; nur, daß es kein Mensch war. Der Schatten war zu groß und zu breitschultrig dafür. Aber etwas anderes hatte er erkannt: sie waren nicht mehr in der Wüste. Er befand sich in einem großen, sehr hohen Raum mit schwarzen Wänden aus Metall oder Stein, und das grelle Licht war von einer Art, die er noch nie gesehen hatte: heller als das der Sonne, aber weiß und kalt und irgendwie falsch. Wie lange war er bewußtlos gewesen? Nicht sehr lange, flüsterten seine Gedanken. Die Erinnerungen kamen allmählich wieder. Er war nach einer Stunde erwacht, aber nur kurz, und nicht völlig, so daß er seine Umgebung nur wie in einem Fiebertraum wahrgenommen hatte. Sie hatten nicht zugelassen, daß er wirklich wach wurde, sondern ihn in einen tiefen, zum ersten Mal seit Wochen traumlosen Schlaf versetzt. Aber er spürte, daß nicht sehr viel Zeit vergangen war. Wenige Stunden, eine Nacht im Höchstfall. Zu dem Stechen und Brennen in seiner Armbeuge gesellte sich ein dumpfes Pochen in seinem Nacken, das bald schmerzhaft und dann quälend werden würde, um dann in unerträgliche Kopfschmerzen überzugehen. Skar war oft genug niedergeschlagen worden, um Erfahrung in dieser Art des Erwachens zu haben. Er begriff, daß er sein Leben nur purem Glück und seiner überdurchschnittlichen Konstitution zu verdanken hatte. Er war zäh. Einen normalen Mann hätte Titchs Schlag getötet.

»Ich weiß, daß du wach bist.«

Skar öffnete ein zweites Mal die Augen und blickte in Titchs Gesicht. Der Quorrl trug wieder die wuchtige goldene Rüstung, die ihn größer und vor allem schwerfälliger erscheinen ließ, als er war. Er lächelte, aber seine Augen waren hart und kalt wie polierter Stahl. Angst stand darin und noch etwas, das Skar nicht richtig einordnen konnte, das aber tiefer ging als bloße Furcht. Unendlich viel tiefer.

»Was willst du?« fragte Skar. Das Sprechen fiel ihm schwer. Auf seiner Zunge lag ein bitterer, fremdartiger Geschmack. Sie fühlte sich taub an. Er versuchte sich auf seinem Lager in die Höhe zu stemmen und bemerkte erst nach zwei vergeblichen Anläufen, daß er es nicht konnte: er war an Händen und Füßen gebunden; mit weichen, aber sehr widerstandsfähigen Fesseln aus Leder, die ihm nur wenige Zoll Bewegungsfreiheit gewährten. Titch beugte sich vor und riß die Bänder kurzerhand entzwei; ohne sichtliche Anstrengung und mit beiden Händen. Skar bemerkte, daß die Wunde in seiner Rechten aufgehört hatte zu bluten. Fragend sah er den Quorrl an.

»Sie verstehen viel davon, Wunden zu heilen«, sagte Titch, der seinen Blick bemerkt und richtig gedeutet hatte.

»Und noch mehr davon, sie zuzufügen.«

Titch erstarrte für einen Moment mitten in der Bewegung. Sein Blick wirkte gequält. Dann drehte er sich abrupt um, beugte sich über Skars Beine und zerriß auch die Bänder, die seine Fußgelenke hielten. Unsicher stemmte Skar sich auf dem Rand der Liege hoch, stützte die Ellbogen auf den Knien auf und verbarg das Gesicht zwischen den Händen. Er wartete darauf, daß ihm übel oder schwindelig wurde, wie so oft in letzter Zeit, aber keines von beidem geschah. Das verzehrende Feuer in seinem Inneren war erloschen.

Nur das Flüstern war noch da; und das furchtbare Wissen, die Wahrheit die ganze Zeit über gewußt zu haben. Sie sind wieder da, Satai!

»Ich hielt es nicht für eine gute Idee«, sagte Titch unvermittelt. »Aber Ennart bestand darauf.«

»Worauf?« Skar nahm die Hände herunter. Die Wand hinter dem Quorrl war schwarz, und sie bestand tatsächlich aus Metall, wie er im ersten Moment angenommen hatte. Titchs Bewegungen spiegelten sich darin wider wie in einem riesigen, matten Spiegel, als der Quorrl die Hand hob und eine zugleich erklärende wie unwillige Geste machte.

»Bei dir zu sein, wenn du erwachst. Du mußt... mich hassen.« Was für Unsinn, dachte Skar. Er verstand Titchs Beweggründe vielleicht besser als der Quorrl selbst. Wäre Titch ein Mensch gewesen, dann wäre er jetzt vielleicht aufgestanden und hätte ihm einfach die Hand auf die Schulter gelegt, in einer einfachen, aber erklärenden Geste. Aber Titch war kein Mensch, und so blieb er einfach sitzen und sah schweigend zu dem Quorrl hoch. »Er... er glaubt, es wäre besser, wenn ich dir alles erkläre«, fuhr der Quorrl fort, stockend, ohne Skars Blick standhalten zu können, und mit einer Stimme, die seine Qual deutlich machte. Seine Hände spielten nervös an den Schuppen seiner goldenen Rüstung.