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»Das brauchst du nicht«, sagte Skar leise. Er lächelte bitter. »Du hättest mich nicht einmal niederzuschlagen brauchen, weißt du das eigentlich?«

»Ich mußte es«, murmelte Titch. »Ich... konnte nicht anders. Ennart ist... sie sind ...«

»Die Alten«, unterbrach ihn Skar. Titchs Augen weiteten sich erschrocken, und Skar fuhr mit leiser, kraftlos klingender Stimme fort: »Ich weiß es, Titch. Du bist deinem Gott begegnet, als er den Helm abnahm. Ich hätte nicht anders gehandelt, an deiner Stelle. Niemand hätte das.« Und trotzdem tat es weh, in dem Moment, in dem er es aussprach, zehnmal mehr als zuvor. Titch hatte nicht anders gekonnt. Sein Verrat war kein Verrat gewesen. Aber Skar hatte trotzdem das Gefühl, den letzten Freund verloren zu haben, der ihm noch geblieben war.

»Du ... weißt?« murmelte Titch überrascht.

»Schon seit langer Zeit«, antwortete Skar. »Dein Vater... Trash... er hat es mir gesagt, ehe er starb. Ich habe nur nicht verstanden, was er gemeint hat. Vielleicht wollte ich es auch nicht verstehen.«

»Er hat es... gewußt?« murmelte Titch fassungslos.

»Ja. Ich... glaube es wenigstens. Ich habe nicht verstanden, was er gemeint hat, aber jetzt...« Er stand auf, blickte einen Moment lang an Titch vorbei auf die spiegelnde Wand aus Metall und schüttelte müde den Kopf. »Sie sind wieder da«, murmelte er. »Das waren seine letzten Worte.«

Titch starrte ihn an. Vielleicht spürte er, daß Skar nicht die Wahrheit sprach, daß es da noch etwas gab, was er ihm verschwieg. Trash hatte noch etwas gesagt. Aber er sprach ihn nicht darauf an, und Skar seinerseits fühlte, daß jetzt nicht der Moment war, dem Quorrl auch den Rest zu erzählen. Vielleicht hatte er den einzig möglichen Augenblick dafür längst verpaßt.

Er sah sich suchend um und entdeckte seine Kleider auf einem Schemel neben dem Bett, sauber gewaschen und zusammengefaltet. Ohne ein weiteres Wort zog er sich an. Dabei fiel ihm ein breites, silbernes Band aus einem anschmiegsamen Material auf, das sich um sein linkes Handgelenk spannte und bisher unter der Fessel verborgen gewesen war, so daß er es gar nicht bemerkt hatte. Er fühlte es nicht, und als er die Muskeln anspannte, machte es die Bewegung mit wie eine zweite, silberne Haut. Er streckte die Hand danach aus und zog sie wieder zurück, ohne es zu berühren. Irgend etwas sagte ihm, daß es sinnlos war, es abreißen zu wollen. Achselzuckend griff er nach seinem Umhang und streifte ihn ganz gewohnheitsmäßig über, obwohl es hier drinnen behaglich warm war.

»Was geschieht jetzt?« fragte er.

Titch starrte ihn an. Skar wartete darauf, daß der Quorrl ihn nun fragte, was er damit gemeint hatte, ihn auf Trashs letzte Worte ansprach, aber er tat es nicht, sondern senkte nach ein paar Augenblicken den Blick und fuhr fort, an seiner Rüstung herumzuzerren. »Er will dich sehen. Mit dir reden.«

»Worüber?«

»Es ist vorbei, Skar«, sagte Titch gequält. Er hob die Hände, breitete sie in einer hilflosen Geste vor dem Körper aus und trat einen halben Schritt auf Skar zu. Seine Augen waren weit und dunkel vor Furcht. »Du kannst nicht gegen Götter kämpfen.«

»Es sind nicht meine Götter«, antwortete Skar. Etwas leiser und in fast beschwörendem Ton fügte er hinzu: »Und auch nicht deine, Titch. Sie sind sterbliche Wesen wie du und ich. Er hat geblutet, als ich ihn verletzt habe«, erinnerte er. Aber er spürte auch schon, während er diese Worte aussprach, wie sinnlos sie waren. Titch mochte vielleicht sogar wissen, daß er recht hatte, aber das nutzte nichts. Der Quorrl war ein hochintelligentes und sehr empfindsames Wesen trotz seines raubtierhaften Äußeren, aber er blieb ein Quorrl. Ein Quorrl, der seinem Gott ins Gesicht geblickt hatte, als Ennart den Helm abnahm. Skar wußte, daß er ihn verloren hatte.

»Bring mich zu ihm.«

»Warte.« Titch hob die Hand, als Skar an ihm vorbeigehen wollte. »Da sind... ein paar Dinge, die du wissen solltest, ehe du ihm gegenübertrittst.«

»So?« Skar schluckte die scharfe Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge lag. Für ihn war Ennart kein Gott und würde es nie sein, sondern eher das Gegenteil. Aber er gewann nichts, wenn er Titch quälte.

»Der Zauberpriester«, fuhr der Quorrl fort, noch immer, ohne ihn direkt anzusehen, »der mit dir gesprochen hat...«

»Ian.«

»Ian, ja. Er hat dich nicht belogen. Sie wollen dir helfen. Sie haben dich gesucht, nicht um dich zu töten, sondern weil du... krank bist. Weil du sterben wirst, wenn nichts geschieht.« Skar glaubte ihm sogar, wie er auch Ian am vergangenen Abend geglaubt hatte. Sie brauchten ihn, aus welchem Grund auch immer. Skar war nicht so unrealistisch, sich im Ernst einzubilden, er hätte all die Zeit gegen eine Macht bestehen können, die sich nichts weniger vorgenommen hatte, als eine ganze Welt zu erobern. Nicht, wenn sie nicht aus irgendeinem Grunde Rücksicht auf sein Leben nehmen mußte.

»Sicher«, antwortete er. »Und weiter?« Sein Ton wurde verletzend, ohne daß er es wollte. »Willst du mir vielleicht als nächstes erzählen, daß alles nur ein Mißverständnis war? Daß sie in Wirklichkeit gar nicht unsere Feinde sind?« Er schnitt Titch mit einer ärgerlichen Handbewegung das Wort ab, als der antworten wollte, und deutete abermals zur Tür. Diesmal versuchte der Quorrl nicht, ihn zurückzuhalten.

2.

Der Korridor, auf den sie hinaustraten, war auf seine Weise genauso gespenstisch wie das leere Zimmer, in dem er erwacht war. Auch seine Wände bestanden aus schwarzem spiegelndem Stahl, und auch hier herrschte das gleiche grelle Licht, das aus dem Nichts zu kommen schien, aber überall war, so daß es keine Schatten gab. Es war warm, aber wie bei seinem Erwachen spürte Skar einen raschen, eisigen Lufthauch, als wäre irgendwo ein Fenster geöffnet worden. Dabei gab es, so weit er sehen konnte, weder Fenster noch Türen. Der Gang war einfach ein rechteckiger Schacht aus schwarzem Metall, der endlos zu sein schien. Titch machte eine Geste nach links, und sie gingen los. Ihre Umgebung kam Skar mit jedem Schritt unheimlicher vor. Der metallene Boden unter seinen Füßen zitterte, aber es war kein regelmäßiges Beben, sondern ein dumpfes, arhythmisches Pochen, das ihn auf unheimliche Weise an das Schlagen eines gewaltigen Herzens erinnerte. In das monotone Klacken ihrer Schritte mischten sich Geräusche, die direkt aus den Wänden zu kommen schienen und für Skar allesamt fremd und unidentifizierbar blieben. Er hatte das sehr sichere Gefühl, beobachtet zu werden, obwohl sie allein waren.

Nach vielleicht zwei Dutzend Schritten blieb Titch stehen und berührte eine Stelle an der Wand vor sich. In dem scheinbar massiven Metall erschien ein Spalt, der sich rasch zu einer Tür erweiterte, die völlig lautlos vor ihnen aufglitt. Dahinter lag eine winzige, kaum zwei Schritte im Quadrat messende Kammer. Skar sah Titch fragend an. Titch machte eine knappe Handbewegung auf die Tür. Als er nicht reagierte, zuckte er mit den Schultern und trat mit einem einzigen Schritt hindurch. Skar folgte ihm zögernd.

Die Tür schloß sich so lautlos hinter ihm, wie sie aufgegangen war. Skar hörte ein leises, sehr helles Zischen, und plötzlich hatte er das Gefühl, sich zu bewegen. Mehr neugierig als erschrocken sah er sich um und berührte schließlich mit spitzen Fingern die Wand. Sie war kalt wie Eis und so hart, wie ihr Anblick vermuten ließ. Wenn sie sich bewegten, dachte er verwirrt, dann mußte es dieses ganze Zimmer sein, das nach oben glitt.

Seine Vermutung wurde wenige Augenblicke später zur Gewißheit, als sich die Tür abermals öffnete und Titch ihn mit einer Geste aufforderte, die Kammer zu verlassen. Sie befanden sich nicht mehr in dem Gang, in dem sie das kleine Zimmer betreten hatten. Dieser hier war breiter, und es gab zahlreiche, wenn auch ausnahmslos geschlossene Türen an beiden Seiten. Durch eine Öffnung am Ende des Korridors fiel Tageslicht herein, das gegen den grellen weißen Glanz der Luft trüb und fast armselig wirkte. Trotzdem atmete Skar fast erleichtert auf, als sie nach einigen Augenblicken ein großes, an drei Seiten von Fenstern gesäumtes Zimmer betraten, das nicht von dem unheimlichen kalten Schein, sondern von normalem Sonnenlicht erhellt wurde. Der Raum war leer. Unter einem der großen Fenster stand ein gewaltiger Tisch aus dem gleichen, mattschwarzen Metall, aus dem dieses ganze Gebäude zu bestehen schien, aber die Stühle davor waren ganz normale Stühle aus Holz, schon ein wenig abgewetzt und schäbig, und an den Wänden hingen Bilder und kleine bunte Stickereien, die offensichtlich alle von derselben Hand gefertigt waren. Es gab ein hölzernes Regal neben der Tür, auf dem Krüge aus Ton und ein paar Zinnbecher standen, und auf dem Tisch lag sogar ein kleines Deckchen. Jemand hatte versucht, dem Raum etwas von seiner gespenstischen Kälte zu nehmen, und wenn es ihm auch nicht ganz gelungen war, so erleichterte Skar doch allein der Gedanke, daß er es versucht hatte.