»Ja. Er hat zugleich ein großes Gasthaus, verleiht Pferde und Maultiere und treibt noch zehn oder zwanzig andre Geschäfte.«
»Den kenne ich allerdings. Wenn er dein Freund ist, brauchen wir freilich nicht bange zu sein.«
»Ich sage ja, er wird mir geben, was ich brauche. Jetzt laß uns aufsteigen. Wir haben in dieser Nacht einen weiten Ritt.«
Sie schwangen sich auf die Pferde und galoppierten fort, in der Richtung nach ihren erschossenen Pferden, um sich die Sättel derselben zu holen.
Später kamen zwei Cambas nach dem Eingange, um den Doppelposten abzulösen. Als sie die beiden untreuen Wächter nicht sahen, nahmen sie zwar deren Stelle ein, kamen aber nicht auf den Gedanken, dem Vater Jaguar zu melden, daß das Felsenthor eine ganze Zeit lang unbeaufsichtigt gewesen sei. Als er dann später kam, den Posten zu inspizieren, fand er alles in Ordnung und ahnte nicht, daß etwas geschehen war, wodurch seine ganze Berechnung zu nichte gemacht werden mußte. Man entdeckte nicht einmal, daß zwei Pferde fehlten, da dieselben den Abipones gehört hatten und also von den Cambas nicht vermißt wurden.
Die letzteren blieben bis weit über Mitternacht munter. Die Freude, einem so grauenhaften Überfalle entgangen zu sein, ließ sie nicht schlafen. Und die Weißen, denen sie ihre Rettung zu verdanken hatten, mußten mit ihnen munter bleiben.
Von den letzteren war niemand so grämlicher Laune als Doktor Morgenstern und sein Fritze. Sie saßen abseits im Dunkeln und sprachen, nur mit ihrem Ärger beschäftigt, nur selten ein Wort miteinander. Warum?
Das konnte man eben jetzt hören, als Fritze seinem Herrn zuraunte:
»Inwiefern könnte es denn eine so jroße Dummheit jewesen sind?«
»Weiß ich's?« antwortete Morgenstern. »In Jüterbogk im Gesangvereine werde ich anders anerkannt.«
»Dat mag die Möglichkeit sind; aber hier im Gran Chaco wird mehr verlangt als nur eine jute, wohljefällige Baritonstimme. Da muß man vor allem Haare auf die Zähne haben und ein jehörijes Quantum Tapferkeit besitzen.«
»Sind wir denn nicht tapfer gewesen?«
»Nein.«
»Nicht? Wir haben uns doch nicht nur in die vorderste Reihe gestellt, sondern sind sogar auf den Felsen gestiegen, um den Feind aus erster Hand zu haben. Ist das nicht tapfer?«
»Hm! Soll ik aufrichtig sind?«
»Natürlich!«
»Jut! lk denke foljendermaßen: Ik mag mich's nach rechts oder nach links überlejen, so kommt es mich jetzt vor, als ob wir nicht tapfer, sondern voreilig gewesen wären.«
»Voreilig, lateinisch praeproperus genannt? Wieso denn, mein Lieber?«
»Weil wir so rasch nach vorn jeeilt sind; dat ist doch voreilig, zumal wir keine Erlaubnis dazu hatten.«
»Erlaubnis brauche ich nicht. Ich bin ein freier Mann!«
»Ik auch. Dennoch aber habe ik mir herbeijelassen, Ihr Diener zu sind und Ihre Befehle zu erfüllen. Es kommt auf jewisse Verhältnisse an. Im Gran Chaco muß man sich anders benehmen als in Stralau am Rummelsburjer See. Dort bin ik dem Vater Jaguar über; hier aber ist er mich über, und darum finde ik es jeraten, mir nach seine Weisung zu verhalten.«
»Aber du bist es ja doch gewesen, welcher den Vorschlag gemacht hat, von den Pferden fort und in das Thal zu gehen!«
»Es fällt mir jar nicht ein, dies fälschlicherweise zu leugnen. Meine Absichten sind die besten und tapfersten jewesen. Ik wollte mir hervorthun und auch Sie Jelegenheit jeben, Ihnen Ruhm und Ehre zu erwerben. Aber konnte ik wissen, daß der Felsen hier so locker und so mürbe ist wie ein Eierkuchen? Konnte ik ahnen, daß er mir so verräterisch hinunterschicken würde, bis jerade vor die Fußzehen dieses Jambusino? Wäre dat nicht jewesen, so wäre er nicht aufmerksam jeworden, sondern in dat Thal jekommen, und jefangen jenommen worden. Da muß ik dem Vater Jaguar vollständig recht jeben.«
»Wenn du die Sache so darstellst, kann ich dir nicht widersprechen. Wir sind wirklich blamiert!«
»Ja, wir sind blamiert, trotz die schönen Knüppels, welche wir uns abjeschnitten hatten. Sie sind eben liejen jeblieben, während wir hinunterjekollert sind. Umjekehrt wärs besser jewesen. Wir konnten oben bleiben und die Prügel hinunterschicken. Aber da es jeschehen, ist's nicht mehr zu ändern.«
»Zu ändern freilich nicht. Aber es geht mir doch zu Herzen. Könnten wir die Blamage nicht von uns abwaschen? Könnten wir es nicht wieder gut oder wett machen? Könnten wir nicht eine tapfere That begehen, welche unsre befleckte Ehre, lateinisch Dignitas oder Honor geheißen, wieder zu reinigen vermag?
Ich schäme mich beinahe vor den andern.«
»Und ik schäme mir vor mir selber, die andern jehen mir nichts an. Also Ihre Ehre wollen Sie reinigen?
Womit? Mit eine tapfere That? Wollen Sie eine Prüjelei mit dem Monde anfangen?«
»Scherze nicht in dieser Weise! Es ist mir vollständig ernst. Man hat ein Vorurteil gegen die Gelehrten. Man behauptet, sie seien zwar in ihren Büchern, aber nicht im Leben zu Hause. Durch mein Pech habe ich Veranlassung gegeben, zu glauben, daß dieses Vor- ein richtiges und begründetes Urteil sei. Darum möchte ich beweisen, daß ich gar wohl in das Leben und sogar in den gefährlichen Gran Chaco passe. Nenne mir eine kühne That, Fritze, und ich führe sie sofort aus!«
»Und ik helfe Sie dabei. Aber es wäre unnötig, darüber nachzudenken; wir würden doch nichts Passendes finden. Hier in diese Jejend fliejen die Thaten in der Luft herum; sie kommen von selbst. Nehmen wir die erste beste, die wir treffen, fest, um sie aus- und durchzuführen! Dann wird man wieder Respekt vor uns haben.«
»Gut, ich bin dabei. Also die erste kühne That, welche uns in den Weg kommt, wird ausgeführt. Hier ist meine Hand. Schlage ein, Fritze!«
»Ja, ik schlage ein; sie wird ausjeführt und sollten wir dabei eine Gigantochelonia versäumen.«
»Nein,« fiel Morgenstern schnell ein. »So weit würde ich mich von meiner Tapferkeit doch nicht hinreißen lassen. Ein vorweltliches Riesentier geht mir über alles.«
»Selbst über die heutige Blamage?«
»Ja, selbst über diese. Übrigens werden wir bald zu einem solchen freudigen Ziele gelangen. Du weißt doch, daß der Häuptling mir ein Riesentier versprochen hat.«
»Ob er es halten wird?«
»Jedenfalls. Wo nicht, so würde ich ihn zum Kampfe auf Leben und Tod herausfordern, und dies würde zugleich die tapfere That sein, mit welcher ich meine verwundete Ehre herstellen könnte.«
»Wenn ik an Ihre Stelle wäre, würde ik den Häuptling noch einmal fragen, zumal er soeben hier vorüberjehen wird.«
Es paßte wirklich so, daß der »harte Schädel« jetzt auf die beiden zugeschritten kam. Sie standen auf, und Morgenstern fragte ihn, ob er sich seines Versprechens noch erinnere.
»Ja,« antwortete er. »Ich habe noch nie einem Freunde eine Lüge gesagt.«
»So gibt es also wirklich ein solches Riesentier?«
»Ja. Es liegt einen Tagesritt hinter dem Dorfe des klaren Baches. Ich schwöre es Ihnen zu.«
»Und Sie wollen es mir verkaufen?«
»Nicht verkaufen, sondern schenken, Señor. Ihre Kameraden haben uns einen großen Dienst erwiesen und vielen von uns das Leben und das Eigentum gerettet. Wie könnte ich da Bezahlung für die Knochen verlangen. Der Transport derselben wird Ihnen so schon ein großes und vieles Geld kosten.«
»Und wann werden Sie mir das Tier zeigen, Señor?«
»Morgen noch nicht, weil es da noch viel zu ordnen gibt; aber übermorgen bin ich gern bereit, mit Ihnen nach der Stelle zu reiten.«
»Was ist's für ein Tier? Ein Glyptodon, ein Megatherium oder vielleicht ein Mastodon?«
»Darauf kann ich nicht antworten, denn ich habe diese Namen noch nie vernommen. Sie werden es sehen und dann wissen, wie Sie es zu nennen haben.«
Nach diesen Worten entfernte er sich, um sich bei dem Vater Jaguar niederzusetzen. Dieser fragte ihn, was er mit dem kleinen Manne verhandelt habe, und als er es erfuhr, sagte er, indem ein unternehmendes Lächeln über sein Gesicht glitt: