»Ihr Gewehr ist leider nicht zu erlangen. Der Häuptling hat dasselbe zu sich in die Ponchos gewickelt.«
»Unsinn! Ich werde es mir nehmen, ohne ihn darum zu bitten.«
Er eilte davon, ehe es möglich war, ihn zurückzuhalten. Ja, dieser Mann mußte, wie der Häuptling gesagt hatte, sich in der Wildnis bewegt haben! Er glitt unhörbar und doch blitzschnell über den Platz hinüber. Man sah, wie er sich auf den Häuptling warf und daß er eine Minute lang auf ihm liegen blieb. Kein Laut war zu hören. Dann erhob er sich wieder und steckte etwas ein. Hierauf kam er ebenso gewandt herüber, sein Gewehr in der Linken und ein bluttriefendes Messer in der Rechten.
»Ich habe alles wieder, was er mir abgenommen hat!« sagte er grimmig. »Die Büchse, das Messer, die Uhr, die Munition, alles, alles; dieser Mann tritt keinem Offizier wieder mit den Füßen gegen den Leib. Aber nun weiter! Wo geht es jetzt hin?«
Der Inka schritt ihnen voran, unter die Bäume hinein bis zu Anton, welcher alles mit angesehen hatte. Der niedergeschmetterte Abipone hatte sich noch nicht geregt. Man ließ ihn natürlich liegen. Von hier aus wendete man sich den Weg zurück, den Hauka und Anton gekommen waren, bis man die Glocke der Madrina hörte. Da blieb der Inka stehen und sagte:
»Wartet hier, bis ich den andern Wächter unschädlich gemacht habe!«
»Nicht du! Das ist meine Sache,« entgegnete der »Harte Schädel«.
»Nein, sondern die meinige!« fiel der Offizier ein. »Diese Hunde wollten mich morgen im See ersäufen. Nun können sie die Leiche ihres Häuptlings hineinwerfen, und den Posten da bei den Pferden will ich ihnen auch noch liefern.«
Hauka wollte das nicht gelten lassen; aber der grimmige Mensch war bei dem letzten Worte auch schon fort.
Die andern warteten und lauschten in die Nacht hinein. Es war nichts zu hören, aber nach höchstens zwei Minuten tauchte er wieder vor ihnen auf und berichtete:
»Es ist gut; der Bursche hat kein Wort dazu gesagt. Nun wollen wir uns Pferde nehmen, für jeden eins.«
»Nein,« antwortete der Inka. »Wir nehmen alle.«
»Alle? Wie ist das zu machen?«
»Es ist doch eine Madrina dabei, welcher sie folgen werden.«
»Qué pensamiento! Das ist wahr! Dieser Knabe ist kein dummer Kerl; das können wir machen. Also jenseits des Sees lagert der Vater Jaguar? Werdet ihr ihn finden?«
»Ja,« antwortete der Inka.
»So steigst du auf die Madrina, um voranzureiten, und wir andern treiben die ganze Herde hinterdrein.«
Er hatte etwas Rauhes, Befehlendes, was leicht verletzen konnte, in seiner Ausdrucksweise und seinem Tone. Hauka nahm dies schweigend hin, suchte die Madrina auf, löste ihr den Riemen von den Vorderbeinen, stieg auf und ritt langsam voran. Als die andren Pferde bemerkten, daß ihre Führerin sich in Bewegung setzte, folgten sie ihr sofort. Der Offizier und die fünf Cambas sprangen auf die letzten Tiere, um die Tropa (Herde) zu treiben; Anton aber, welcher selbstverständlich auch ein Pferd bestiegen hatte, hielt sich vorn zu dem Inka. Der Offizier wollte ihm nicht gefallen. In dieser Ordnung ging es um den halben See, und zwar nicht ganz auf demselben Wege zurück, welchen die beiden Jünglinge vorwärts eingeschlagen hatten. Diese waren erst mühsam durch den dichten Wald gegangen; er war bei dieser Finsternis für die Pferde unwegsam, darum wurde er umritten, da man auf diese Weise das Lager auch erreichen konnte.
Dort war nicht alles so still geblieben, wie Hauka und Anton es verlassen hatten. Der Vater Jaguar ließ die Posten alle Stunden ablösen und besaß die Angewohnheit, falls er einmal erwachte, einmal nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. So auch heute. Das Zerspringen der Flaschen hatte ihn auf eine jähe Veränderung des Wetters aufmerksam gemacht, und als er sich schlafen legte, war der Himmel schon bewölkt. Die Sorge weckte ihn. Er sah, daß der Himmel ganz schwarz geworden war, und fühlte, daß sich ein eigentümlich scharfer und dabei doch hohler Wind erhoben hatte. Das deutete nach seiner Erfahrung auf einen Orkan, untermischt mit jenen Regenschauern des Gran Chaco, welche so schwer herabfallen, daß sie einen Menschen zu Boden schlagen können.
Was war da zu thun? Hier unter den Bäumen, welche den Blitz anziehen und im Sturme brechen konnten, zu bleiben, war nicht geraten. Aber das Unwetter draußen im offenen Campo oder der ebenso offenen Wüste abzuwarten, das hatte Bedenklichkeiten, welche wenigstens ebenso groß waren. Er rief also die Schläfer wach, um mit ihnen zu beraten, und ließ ein großes Feuer anzünden, damit man sich dabei sehen könne. Da stellte sich denn heraus, daß Anton und der Inka fehlten.
Man rief nach ihnen; aber sie kamen nicht und antworteten nicht. Anton war dem Vater Jaguar anvertraut worden; darum verstand es sich ganz von selbst, daß dieser über das unbegreifliche Verschwinden seines Schützlings in ungewöhnliche Besorgnis geriet. Man stellte allerlei Vermutungen auf, von denen keine sich als stichhaltig erwies, bis der Vater Jaguar auf den sehr natürlichen Gedanken kam, mit Hilfe eines Feuerbrandes nach den Spuren der Vermißten zu suchen. Man wußte ja die Stelle, an welcher sie gelegen hatten.
Ein harziger Ast diente als Fackel. Bei ihrem Scheine entdeckte man, daß die beiden Knaben sich heimlich in den Wald geschlichen hatten. Die Fackel verlöschte, und der Vater Jaguar, Geronimo und Anciano, welche diese Untersuchung vorgenommen hatten, standen im Dunkeln. Sie riefen wiederholt in den Wald hinein, doch ohne eine Antwort zu bekommen.
»Welch eine Unvorsichtigkeit!« meinte der Vater Jaguar fast zornig. »Ich habe bei unsrer Ankunft gesagt, daß es hier Jaguars geben kann. Wie nun, wenn sie einem solchen in die Klauen fallen! Sie haben ihre Gewehre zurückgelassen, können also gar nicht schießen.«
»Unvorsichtigkeit?« meinte Anciano. »Hauka ist nicht unvorsichtig. Er weiß stets, was er thut und warum er es thut. Und daß er seine Waffen nicht mitgenommen, beweist nur, daß er sie für überflüssig oder hinderlich gehalten hat.«
»Überflüssig sind sie in einer solchen Nacht niemals,« bemerkte Geronimo.
»Aber hinderlich,« fiel Anciano ein. »Hinderlich sind sie beim Gehen durch den Wald, bei einem heimlichen Schleichen an den Feind, bei ---«
»Beim Schleichen an den Feind?« unterbrach ihn der Vater Jaguar. »Das ist's, das ist's! Die verwegenen Knaben wollen ein Abenteuer haben, welches ihnen das Leben kosten kann. Wir müssen sofort aufbrechen, um das zu verhindern.«
»Das Leben kosten? Wieso? Vermuten Sie denn, wo sie sind?«
»Ich vermute es nicht nur, sondern ich weiß es sogar. Schaut einmal da rechts über den See hinüber! Da gibt es eine Art Dämmerschein. Da brennt ein Feuer. Das haben die Knaben gesehen, und in ihrer jugendlichen Unbedachtsamkeit sind sie hinüber, um einmal so zu thun, als ob sie Männer seien.«
»Ja, dort gibt's ein Feuer,« stimmte Anciano bei. »Es ist wirklich möglich, daß sie hinüber sind. Aber wenn dies der Fall ist, so brauchen wir uns nicht zu sorgen. Mein Hauka ist außerordentlich vorsichtig. Ich kann ihm vollständig vertrauen.«
»Das weiß ich freilich auch. Er ist erfahrener und vorsichtiger als mancher erwachsene Mann; heute aber hat er Anton mit, für dessen Wohlergehen ich zu haften habe, und - -«
Er hielt inne. Sie hatten während dieses Gedankenaustausches den Lagerplatz wieder erreicht, und soeben ließ sich unweit von demselben ein heftiges Pferdegetrappel vernehmen. Dann sah man zwei Gestalten, welche, aus dem Finstern tretend, sich dem Feuer mit raschen Schritten näherten. Es waren die beiden Vermißten.
»Sie suchen uns? Da sind wir,« rief Anton mit lachendem Gesichte dem Vater Jaguar entgegen, während der Inka still an die Seite seines Anciano trat, als ob es ihm gar nicht einfalle, sich für die Hauptperson des letzten Ereignisses zu halten.
»Ja, da seid ihr! Gott sei Dank, das sehe ich! Aber wo seid ihr denn gewesen?«