»Nein, Señor, das werde ich nun doch nicht thun. Berichten Sie an den General; was dieser dann bestimmt, das wird geschehen. Zunächst könnten Sie weder die Gewehre noch die Munition verwerten; ich aber brauche sie höchst notwendig.«
»Wozu?«
»Um die Cambas zu bewaffnen und mit ihrer Hilfe die Feinde des Generals zu schlagen. Ich weiß nämlich mehr als Sie wissen, und werde es Ihnen mitteilen.«
Er erzählte ihm das bisher Erlebte. Als er das gethan hatte, war der zwar rohe und gewaltthätige, aber höchst patriotische Offizier mit Freuden bereit, auf seine Forderung zu verzichten. Er bat, sich der Schar anschließen zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde, doch unter der Bedingung, daß er sich dem Vater Jaguar unterzuordnen habe.
Als dies erledigt war, wollte Hammer die Heldenthat der beiden Jünglinge kennen lernen. Haukaropora weigerte sich in seiner Bescheidenheit, zu erzählen, folglich mußte Anton Engelhardt den Bericht erstatten.
Er that dies in der Weise, daß die Klugheit, die Umsicht und die Tapferkeit des Inka vollständig zur Geltung kamen. Er wurde nicht nur belobt, sondern sogar bewundert, doch bat ihn der Vater Jaguar, ein andres Mal erst ihn um Rat zu fragen. Der Offizier aber bekam einen Verweis dafür, daß er zwei Menschen ohne Not getötet hatte. Während man die Heldenthat der beiden jungen Freunde noch besprach, zog der alte Anciano seinen Zögling auf die Seite, umarmte ihn und sagte, unbedachtsamerweise in spanischer Sprache:
»Du bist ein Held und hast gezeigt, was du bist, el Hijo del Inka!«
Hammer stand nahe dabei, hörte diese Worte und sagte im stillen zu sich:
»Ah! Also hat meine Ahnung mich nicht getäuscht. Das Dunkel wird schon heller. Er ist ein Nachkomme der alten Herrscher von Peru - - el Hijo del Inka, der Sohn des Inka!«
Eine Urwaldschlacht
Nach dem nächtlichen Unwetter war ein heiterer Morgen angebrochen. Die Regenwasser hatten sich verlaufen; der Hochwald dampfte, und im Thale unten wogte zwischen dem Gesträuch das saftige Gras hoch wie ein Ährenfeld. Die Pferde wurden aus den Gebäuden gelassen, um sich an diesem Grün zu laben, denn von einem Aufbruche konnte jetzt noch keine Rede sein, da die Tiere sich nach dem nächtlichen Parforceritte ausruhen mußten und man jetzt auch noch gar nicht wußte, wohin man sich zu wenden hatte. Dieses letztere mußte erst noch besprochen werden.
Die Männer nahmen von den mitgebrachten Vorräten ein Frühstück, um sich nach demselben zur notwendigen Beratung zusammenzusetzen. Dabei war zu bemerken, daß Lieutenant Verano dem alten Anciano eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit schenkte. Seine Blicke kehrten wieder und immer wieder zu diesem zurück, so daß der Indianer, welcher dies gar wohl bemerkte, endlich fragte:
»Sie betrachten mich fortwährend, Señor. Hat dies einen besondern Grund?«
»Ja,« antwortete der Offizier.
»Darf ich erfahren, welchen? Komme ich Ihnen vielleicht bekannt vor? Hätten Sie mich schon einmal gesehen?«
»Sie wohl nicht. Meine Aufmerksamkeit gilt nur Ihrem langen, weißen Haare, welches mich an einen Skalp erinnert, den ich einmal gesehen habe.«
»Skalp? Was ist das?«
»Die Indianer Nordamerikas haben die Gewohnheit, ihren getöteten Feinden die Kopfhaut abzuziehen und als Zeichen des Sieges und der Tapferkeit aufzubewahren. Eine solche Haut wird Skalp genannt. Es ist ganz dasselbe, was wir spanisch sprechenden Leute mit Piel del cráneo bezeichnen.«
An welcher Beziehung stehe denn ich mit dieser Kopfhaut?«
»Es ist eine Ähnlichkeit. Der Skalp, von welchem ich spreche, hatte ein ebenso langes und dichtes weißes Haar, wie Sie tragen.«
Anciano horchte auf. Seine Züge nahmen den Ausdruck der Spannung an, als er fragte:
»Ein ebensolches Haar? Das wäre doch höchst merkwürdig! Ich glaube nicht, daß ein Weißer sein Haar in meiner Weise trägt.«
»Ich habe das allerdings auch noch nie gesehen. Übrigens hatte die Kopfhaut einem Indianer angehört.«
»Wohl einem nordamerikanischen?«
»Nein, sondern einem hiesigen.«
»Von welchem Stamme war er?«
»Das weiß ich nicht. Ich fragte zwar danach, doch gab mir der Besitzer des Skalpes keine genügende Antwort.«
»Wo sahen Sie die Haut?«
»In Buenos Ayres.«
»Bei wem?«
»Bei dem Stierkämpfer Antonio Perillo. Ich war einmal mit einem Freunde bei ihm. Er hatte sein Zimmer mit allerlei Trophäen ausgeschmückt, unter denen sich diese Haut befand.«
»Antonio Perillo, der Espada! Er ist es ja, mit dem wir wahrscheinlich zusammenstoßen werden! Man sagt, daß er wiederholt im Westen gewesen sei. Hat er Ihnen mitgeteilt, auf welche Weise er zu dieser Haut gekommen ist?«
»Ja. Er hat mit einem Indianer auf Leben und Tod gekämpft und ihn besiegt. Als Andenken an diesen schweren, lebensgefährlichen Kampf hat er den Skalp seines Feindes mitgenommen.«
»Wo hat dieser Kampf stattgefunden? Sagen Sie schnell, wo!« bat Anciano im Tone außerordentlicher Erregung.
»In der südlichen Pampa. Das war alles, was ich erfahren konnte.«
»Da unten? Da ist es freilich anders, als ich dachte.«
Er atmete bei diesen Worten hörbar und wie erleichtert auf. Sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck der Gleichgültigkeit an, veränderte sich aber sofort wieder, als der Lieutenant bemerkte:
»Das Haar war wirklich prächtig, schöner noch als das Ihrige. Es wurde von einer Spange zusammengehalten, und der, welcher es getragen hat, muß ein sehr alter und wohl auch armer Mann gewesen sein.«
»Von einer Spange?« rief Anciano aus, indem er eine Bewegung der Überraschung machte. »Wie sah diese Spange aus? Und warum glauben Sie, daß der Mann arm gewesen ist?«
»Weil sie von Eisen war, während ein wohlhabender Mann doch, wenn er sich solcher Zieraten bedient, solche von wertvollerem Metalle wählt. Die Spange hatte an ihrer vorderen Seite die Form einer Sonne mit zwölf Strahlen.«
»Zwölf Strahlen!« schrie Anciano förmlich, indem er aufsprang. »Señor, diese Spange war nicht aus Eisen, sondern vom reinsten Golde. Der Besitzer hatte sie aber künstlich geschwärzt, um nicht die Habsucht andrer zu erwecken.«
»Woher wissen Sie das? Haben Sie den Mann gekannt, welchem dieser Schmuck gehörte?«
»Ob ich ihn gekannt habe! Er war mein Gebieter, ein Herrscher über - -«
Er war im höchsten Grade erregt. Seine Augen blitzten; er hatte sein Messer aus dem Gürtel gerissen und machte mit demselben Bewegungen, als ob er einen vor ihm stehenden Feind erstechen wolle. Er hätte noch mehr gesagt, vielleicht sein ganzes Geheimnis verraten; aber Haukaropora war auch aufgesprungen, legte ihm die Hand auf den Arm und unterbrach ihn in warnendem Tone:
»Still, mein Vater! Der Mann war ein Indianer, weiter nichts; aber dennoch müssen wir erfahren, ob er in rechtlichem Kampfe getötet worden ist. Wenn nicht, dann wehe seinem Mörder! Er war trotz seines Alters so stark und tapfer, daß er niemals überwunden wurde. Soll ich da glauben, daß er von diesem Antonio Perillo besiegt worden ist? Nein und abermals nein! Er ist ermordet worden.«
»Ganz gewiß, ganz gewiß!« stimmte der Alte bei. »Wir brauchen nach dem Mörder nicht zu forschen; Perillo hat zugegeben, daß er selbst ihn getötet hat. Wir wissen, daß er hinter uns herkommt; er wird in meine Hände fallen, und dann soll er uns Rede und Antwort geben!«
»Ja, reden soll er, und die Antwort gebe ich ihm mit diesem da!«
Der Inka schwang seinen Streitkolben, auf den sich seine Worte bezogen, um den Kopf. Er war fast noch mehr erregt, als sein Anciano, beherrschte sich aber schnell, als er sah, daß die Anwesenden ihn erstaunt anblickten, nahm eine gleichgültige Miene an, setzte sich wieder nieder und legte den Kolben neben sich hin.
Aber nicht nur diese beiden waren von der Mitteilung des Lieutenants so tief berührt worden; es gab einen dritten, welcher ihr eine ebenso große, wenn auch ruhigere Aufmerksamkeit schenkte. Dieser dritte war der Vater Jaguar. Von da an, wo der Skalp erwähnt wurde, bis zum letzten Augenblicke hatte er die Reden mit der größten Spannung verfolgt. Er saß neben dem Inka und griff jetzt nach dem Streitkolben, um denselben zu betrachten. Die Waffe war schwarz, wie von einem dunkeln Firnis überzogen. Er besah sie sehr genau, legte sie dann wieder hin, ohne eine Miene zu verziehen, und sagte: