Anciano zögerte zu antworten, darum fügte der Vater Jaguar hinzu:
»Ich frage in einer bestimmten Absicht und nicht etwa aus müßiger Neugierde. Eine Antwort würde für dich wahrscheinlich von Vorteil sein.«
»Wollte ich antworten, so müßte ich Ihnen eben unser Geheimnis mitteilen.«
»Es würde euch nichts schaden, wenn du das thätest; doch wenn du das Schweigen für besser hältst, so habe ich nichts dagegen. Sage mir wenigstens, wo der Betreffende den Tod gefunden hat.«
»Ich kenne den Ort nicht genau.«
»Auch nicht die Gegend im allgemeinen?«
»Die weiß ich allerdings; sie wird Ihnen aber unbekannt sein.«
»Was das betrifft, so bin ich weiter herumgekommen, als du denkst.«
»So sagen Sie, ist Ihnen ein Ort bekannt, welchen man die Barranca del Homicidio Mordschlucht. nennt?«
»Nicht nur bekannt, sondern ich bin zweimal dort gewesen. Ich stieg von der Salina del Condor hinauf.«
»Ja, von der Salina del Condor. Sie liegt nicht weit davon, und ich war viele, viele Male dort.«
»Und du bist überzeugt, daß dein Bekannter seinen Tod dort gefunden hat?«
»Ja.«
»Welchen Grund hast du dazu?«
»Ich begleitete ihn bis in die Nähe und mußte zurückbleiben, um auf ihn zu warten; er wollte das so; er befahl es mir.«
»Ah, er befahl es dir? Wer befiehlt, ist der Herr, und wer gehorcht, ist der Untergebene, der Diener. Du wartetest wohl vergeblich auf seine Wiederkehr?«
»Ja. Ich wartete zwei volle Tage lang. Dann wurde es mir angst um ihn. Ich ging ihm nach bis an den Ort, den er hatte aufsuchen wollen. Ich sah ihn nicht und fand ihn nicht. Ich suchte in allen Thälern und Schluchten, auf allen Bergen und Höhen. Ich ging heim und holte meine Freunde, damit sie mir helfen sollten, nachzuforschen; es war alles vergeblich. Wir suchten wochenlang und mondenlang, ohne das kleinste Zeichen von ihm zu entdecken. Er mußte verunglückt sein. Heute früh habe ich die erste Spur gefunden. Er soll im Kampfe gefallen sein; aber ich bin überzeugt, daß er ermordet worden ist.«
»Glaubst du nur deshalb an einen Mord, weil du ihn für unüberwindlich gehalten hast? Oder wüßtest du noch einen weiteren Grund?«
»Ja, ich habe einen.«
»Welchen?«
»Er hatte Gegenstände bei sich, welche geeignet waren, die Habsucht anzulocken.«
»Welcher Art Gegenstände waren das?«
»Das darf ich nicht sagen.«
»Du hast es nicht nötig, denn ich weiß es doch. Es war Gold.«
»Señor!« fuhr Anciano auf. »Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?«
»Es ist keine Vermutung, sondern die festeste Überzeugung. Der Mann trug Gegenstände bei sich, welche aus der Zeit der Inkas stammten und aus Gold oder Silber gefertigt waren.«
»Wie könnten Sie das wissen?«
»Das will ich dir sagen. Ich will aufrichtiger mit dir sein, als du gegen mich bist.«
Er wollte weiter sprechen, da aber bemerkte Haukaropora, welcher bis jetzt geschwiegen hatte, in eifriger Weise:
»Anciano, du beleidigst den Señor. Er ist unser Freund und verdient es nicht, daß wir ihm Mißtrauen zeigen.
Wenn wir ihm alles sagen, wird er keinem Menschen etwas davon mitteilen.«
»Du hast recht. Von mir wird niemand etwas erfahren,« antwortete Hammer. »Aber was ihr mir mitteilen könntet, das habe ich schon beinahe erraten. Ich will euch etwas zeigen.«
Er öffnete sein Lederkoller und zog einen kleinen, goldglänzenden Gegenstand hervor, den er an einer Schnur am Halse hängen hatte. Er band ihn los und reichte ihn Anciano hin. Es war eine kleine, außerordentlich kunstvoll gearbeitete Schale, welche einen Durchmesser von höchstens drei Zoll besaß.
»Ein Taubecher!« rief Anciano betroffen aus. »In dieser Schale wurde der Morgentau aus den Kelchen der Tempelblumen gesammelt und der Sonne, damit sie ihn trinken möge, zum Opfer gebracht.«
»Das wußte ich nicht. Der Zweck dieser Schale war mir unbekannt,« antwortete der Vater Jaguar.
»Señor, es ist ein heiliges, ein sehr heiliges Gefäß l«
»Das weißt du so bestimmt? Damit beweisest du, daß deine Vorfahren Peruaner waren.«
»Ja, das waren sie,« gestand der Alte.
»Die meinigen waren die Herrscher des Volkes,« fügte Haukaropora hinzu. »Ich bin der einzige Nachkomme von ihnen, und nur sehr wenige treue Menschen wissen davon.«
»Ich dachte es. Du besitzest die verborgenen Schätze deiner Ahnen?«
»Warum fragen Sie so?«
»Diese Opferschale sagt es mir.«
»Woher haben Sie dieselbe?« fragte Anciano. »Wie sind Sie in den Besitz derselben gelangt?«
»Ich habe sie gefunden.«
»Wo?«
»Zwischen der Salina del Condor und der Barranca del Homicidio.«
»Dort, also dort! Welch eine Entdeckung! Wann ist das gewesen?«
»Vor fünf Jahren.«
»In welcher Mondeszeit? Können Sie sich darauf besinnen?«
»Ganz genau. Es war am Tage nach dem Vollmonde.«
»Das ist richtig, wie es gar nicht richtiger sein kann. Nur in der Nacht des Vollmondes pflegte dein Vater in die Schlucht hinabzusteigen.«
Diese letzteren Worte waren an den Inka gerichtet. Dieser hatte sich die Schale geben lassen, betrachtete sie, küßte sie und sagte dann, indem sein Auge in feuchtem Glanze schimmerte:
»Also diese Schale hat mein Vater, der vorletzte Inka, in den letzten Stunden seines Lebens bei sich getragen! Señor, Sie bekommen sie nicht wieder; Sie müssen sie mir lassen. Ich werde Ihnen etwas viel Größeres und Wertvolleres dafür geben!«
»Behalte sie! Ich mag nichts dafür, denn sie hat in dir ihren rechtmäßigen Eigentümer gefunden.«
»Ich danke Ihnen! Aber haben Sie nur diese Schale gefunden? Nichts weiter, gar nichts weiter?«
»Noch viel, viel mehr! Aber es war nichts Erfreuliches, sondern im Gegenteile etwas Schreckliches.«
»Was?«
»Soll ich es wirklich sagen, so mache dich auch darauf gefaßt, Schlimmes zu hören!«
»Sprechen Sie, Señor! Ich bin stark und immer gewöhnt, an den Tod meines Vaters zu denken. War es noch etwas von ihm, was Sie fanden?«
»Nein, sondern er selbst war es.«
»Er selbst? Also seine Leiche?«
»Ja.«
Der Inka sah lange Zeit vor sich nieder auf den Sattel. Keine Muskel seines Gesichtes bewegte sich; aber er war bleich, sehr bleich geworden. Der alte Anciano fuhr sich mit den Händen einigemal über die Augen und schwieg auch. So ritten die drei eine ganze Weile nebeneinander hin, bis der Alte endlich das Schweigen brach und den Vater Jaguar mit bebender Stimme fragte:
»War er tot? Gab es keine Spur von Leben mehr in ihm?«
»Er war tot!«
»Und wie war er gestorben? Konnten Sie das sehen? Konnten Sie entscheiden, ob ein Mord vorlag oder ob ein ehrlicher Kampf stattgefunden hatte?«
»Es hatte keinen Kampf gegeben, weder einen ehrlichen noch einen unehrlichen. Ich hätte die Spuren desselben auch am Boden sehen müssen, da dieser von den Füßen zerstampft und aufgewühlt gewesen wäre.
Es lag ein Mord vor, ein heimtückischer Meuchelmord. Der Tote hatte von hinten eine Kugel in die Brust bekommen.«
»und das Haar, das Haar, sein schönes, herrliches Haar, welches viel länger war als das meinige?«
»Es war weg, war fort. Der Ermordete war skalpiert worden.«
Keiner von beiden, weder der Inka noch Anciano, sprach eine Klage aus. Sie schwiegen jetzt wie vorhin, um Herr ihrer Gefühle zu werden. Dann begann der Alte wieder:
»Erzählen Sie uns, wie das gekommen ist! Wir müssen alles, alles erfahren, selbst die geringste Kleinigkeit!«
»Es ist da nicht viel zu erzählen. Weshalb ich in jene Gegend kam, und was ich da wollte, das wird euch gleichgültig sein. Ich kam nach der Salina del Condor, um mich und mein Maultier da auszuruhen, denn ich war fast die ganze helle Vollmondsnacht hindurch geritten. Während mein Maultier von dem spärlichen Grase naschte und ich, an der Erde sitzend, ein Stück Fleisch verzehrte, hörte ich Hufschlag hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen Reiter, welcher, von der Höhe herabkommend, um eine Felsenecke bog. Als er mich erblickte, stutzte er für einen Augenblick; dann gab er seinem Tiere die Sporen und jagte weiter, an mir vorüber.«