Den Abipones aber fehlen die Pferde. Ihre Mannschaften werden aus Kavallerie und Fußtruppen bestehen; darum brauchen sie wenigstens vier Tage bis hierher. Wir haben also den Feind frühestens in vier Tagen, von heute an gerechnet, zu erwarten. Das ist Zeit genug, um unsre Vorbereitungen in einer Weise zu treffen, welche uns den Kampf erleichtert und den Sieg sichert.«
»Aber es ist keine Erleichterung des Kampfes und keine Sicherung des Sieges, sondern das gerade Gegenteil, wenn wir den Feind hier zu uns hereinlassen!«
»Aber, Señor, sehen Sie denn nicht ein, daß dies eine Falle sein soll?«
»Eine Falle?« fragte Verano erstaunt. »Dann wird es eine, in welcher wir uns selbst fangen.«
Der Vater Jaguar wollte antworten, da aber fiel ihm der Doktor Morgenstern in die Rede:
»Nehmen Sie es mir nicht übel, Señor Verano! Sie sind Offizier und begreifen dennoch nicht, was der Vater Jaguar meint? Das könnte scheinen, als ob Sie im Begriffe ständen, sich der Absicht zuzuneigen, diejenige Thätigkeit Ihres Geistes, welche man berechtigt ist, das Denken zu nennen, etwas weniger anzustrengen, als es nach den gegenwärtigen Verhältnissen als geboten erscheint. Die Falle oder der Fallstrick, um den es sich handelt, lateinisch Lagneus genannt, ist sehr leicht zu begreifen.«
»So! Begreifen Sie ihn etwa?« fragte der Offizier zornig.
»Allerdings.«
»So haben Sie doch die Güte, ihn mir zu erklären.«
»Sehr gern, Señor. Ich setze den Fall, wir verstecken uns da rundum im Walde, hinter den Bäumen, lassen den Feind herein und besetzen dann den Ein- und Ausgang des Thales, so befindet er sich in unsrer Mitte und ist verloren, da er uns, die wir geschützt stehen, nicht anzugreifen vermag, während er, der keine Deckung hat, allen unsern Kugeln ausgesetzt ist. Ich hoffe, das ist Ihnen nun deutlich, lateinisch perspicuus, geworden.«
Der Lieutenant war wütend. Daß der kleine, deutsche, lächerliche Kerl es wagte, ihn zu belehren, das war viel schlimmer als alles Vorhergehende. Er rief entrüstet aus:
»Was reden Sie zu mir? Habe ich Sie um Rat gefragt?«
»Allerdings. Sie haben mich aufgefordert, es Ihnen zu erklären.«
»Das habe ich ganz anders gemeint. Bleiben Sie mir in Zukunft mit Ihren Erklärungen vom Leibe. Ich weiß genau, was ich zu thun habe!«
»Nein, das scheinen Sie nicht zu wissen,« nahm der Vater Jaguar jetzt wieder das Wort. »Ich habe keine Lust, mich mit jemand zu streiten, und da es nicht notwendig ist, uns über den Gegenstand unsres Gespräches gleich jetzt weiter und erschöpfend zu äußern, so schlage ich vor, weiterzureiten. Wir haben vor allen Dingen danach zu trachten, noch vor Einbruch der Nacht unser Ziel, den ›klaren Bach‹, zu erreichen.«
Diesen Worten zufolge wurde aufgebrochen. Der Lieutenant hielt sich schmollend hinterher. Es ärgerte ihn gewaltig, daß er, der Beauftragte des Generals Mitre, eine solche Schlappe erlitten hatte.
Der Berg, welcher, von vorn gesehen, die Gestalt eines Kegels zu haben geschienen hatte, besaß nach rückwärts eine längere Ausdehnung. Er hatte die Form eines Komma, dessen in einen langen Schwanz auslaufender Teil von dem schon erwähnten Bache durchflossen wurde. Dieser Bach entsprang auf der höchsten Stelle. Dann senkte sich das Terrain wieder abwärts und ging endlich in die Ebene über.
Man hatte bisher zu beiden Seiten immer Wald gehabt, welcher auch jetzt noch nicht aufhörte, sondern sich weit in die Ebene hinein erstreckte. Er stand aber nicht mehr so dicht wie vorher, so daß man zwischen den Bäumen hindurchreiten konnte, während vorher die Ufer des Baches den Weg gebildet hatten. Das dann folgende Feld war grasig. Hier konnten die Pferde mehr ausgreifen als bisher, und so flogen sie jetzt im Galopp über den Campo hin.
War dem kleinen Gelehrten früher das Reiten schwer geworden, so hatte er sich jetzt ganz hübsch eingerichtet und saß sehr fest im Sattel. Er ritt neben Fritze Kiesewetter, seinem treuen Diener, welcher sich wo möglich stets an seiner Seite hielt.
»Wie steht es mit dem Anzuge?« fragte er ihn. »Er ist jedenfalls noch naß, und du kannst dir leicht eine Erkältung zuziehen.«
»Dat ist nicht!« antwortete Fritze. »Es ist allens schon vollständig trocken, und von eine Verkältung kann keine Rede sind. Als Sie den Lieutenant so schön trocken stellten, ist das Habit vor Freude auch gleich mit trocken jeworden.«
»Aber ich hatte doch recht!«
»Natürlich! Der Mensch scheint von seinem Fache oft und manchmal nichts zu verstehen!«
»Aber er wird nun zornig auf mich sein!«
»Dat ist er allerdings; ik habe es jesehen, aber wir machen uns nichts draus. Jroße Jeister, die sich nur mit Riesentieren abjeben, bekümmern sich nicht um so kleine Menschen.«
Der Doktor blickte nachdenklich vor sich nieder und sagte dann:
»Fritze, ich werde doch wohl einen Fehler gemacht haben!«
»Mit dem Lieutenant?«
»Nein, sondern mit dem Riesentiere, mit den Knochen, welche wir da hinten an dem Sumpfe gefunden haben.«
»Wieso?«
»Ich hätte sie nicht liegen lassen, sondern mitnehmen sollen.«
»Warum?«
»Weil sie mir in Verlust geraten werden. Du hast gehört, daß die Abipones hinter uns herkommen. Sie halten jedenfalls auch an dem Sumpfe an, und dann ist's jedenfalls um die schönen Knochen geschehen.«
»Dat ist mich unwahrscheinlich. Wat wollen die Abipones mit die Knochen machen?«
»Diese nicht, aber die Weißen, welche bei ihnen sind.«
»Hm! Meinen Sie?«
»Ja. Die Soldaten wissen, daß solche Knochen für die Wissenschaft einen großen Wert besitzen, und werden sie mitnehmen.«
»Nein, dat werden sie nicht; da kann ik Ihnen trösten. Selbst wenn sie die Absicht hätten, sie mitzunehmen, würden sie sie doch einstweilen liejen lassen, um sie dann erst auf dem Rückwege aufzuklauben.«
»Das ist ganz dasselbe.«
»Nein, denn wir besiegen ihnen ja!«
»Ob sie als Sieger oder als Besiegte zurückkehren, das ist gleich; sie werden sie mitnehmen. Ich bin überzeugt davon.«
»Wenn Sie so sagen, dann muß ik Ihnen allerdings recht jeben. Aber es ist nicht zu ändern.«
»O doch.«
»Wie?«
»Wenn wir beide zurückritten, um die Knochen zu holen.«
»Dat jeht nicht.«
»Warum?«
»Weil wir den Feinden in die Hände fallen würden.«
»Gewiß nicht! Der Vater Jaguar sagte ja, daß sie nicht eher als in vier Tagen hier sein würden. So lange hätten wir also Zeit.«
»Jut; aber es jeht doch nicht, denn der Vater Jaguar würde es nicht erlauben.«
»Das ist gar nicht nötig. Ich werde mich hüten, ihn um die Erlaubnis zu fragen.«
»Also nicht? ja, dat wäre eine andre Sache.«
»Fritze, würdest du mitreiten?«
»Hm! Es kommt mich doch ein wenig unheimlich vor.«
»Ich denke, du bist mir treu!«
»Herr, treu bin ik; darauf können Sie Ihnen verlassen!«
»Aber keinen Mut hast du?«
»Keinen Mut? Wat? lk als Stralauer Kind am Rummelsburger See soll keinen Mut haben? Dat hat noch kein Mensch mich zu sagen jewagt!«
»Warum ist es dir da mit einemmal so unheimlich geworden?«
»Nicht aus Furcht, sondern von wejen des bösen Jewissens. Es kommt mich wie ein Unrecht vor, so etwas zu unternehmen, ohne vorher den Vater Jaguar zu fragen.«
»Sind wir an ihn gebunden? Ist er unser Vorgesetzter?«
»Nein. Aber unter die jejenwärtige Verhältnisse halte ik es für sehr richtig, nichts ohne sein Vorwissen zu unternehmen.«