»Das ist nichts, gar nichts für diese Halunken! Dieser Mensch, welcher vorgibt, ein Deutscher zu sein, ist meiner Kugel entgangen; dann gelang es ihm, aus unsrer Gefangenschaft zu entrinnen. Er hat uns also schon zweimal um das Schauspiel, ihn sterben zu sehen, betrogen, und dafür soff er uns heute entschädigen. Wenn wir ihn wirklich und regelrecht hängen, so ist er in einigen Augenblicken tot. Was nützt es da, wenn ihn dann die Krokodile fressen? Die Kerls müssen viel, viel länger in Todesangst schweben!«
»Was willst du denn da vorschlagen?« fragte der Gambusino.
»Wir hängen sie auf, ja; aber nicht am Halse, sondern unter den Armen, und lassen sie so tief herab, daß sie von den Krokodilen beinahe erreicht werden, nicht ganz, sondern beinahe. Welche Lust, wie sie zappeln werden, wenn die Bestien nach ihnen schnappen!«
»Aber wenn sie dabei noch zu hoch hängen, werden sie doch nicht zerrissen!«
»Einstweilen, einstweilen nur,« lachte der Stierkämpfer. »Erst stehen sie die Angst des Todes aus, und dann, wenn wir ein Ende machen wollen, lassen wir sie an den Riemen tiefer herunter.«
Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall, und man schickte sich an, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.
»Gräßlich!« flüsterte der Doktor seinem Diener zu. »Sind das Menschen? Da wollte ich doch lieber, sie würfen uns den Krokodilen sofort vor!«
»Nein,« antwortete Fritze, »denn da wäre es sogleich um uns jeschehen; so aber jewinnen wir Zeit. Nur Mut, Herr Doktor, nur Mut! Ik bin überzeugt, daß der Vater Jaguar uns nicht im Stiche lassen wird. Jrad diese ausjesuchte Jrausamkeit wird unsre Rettung sind. Darauf können Sie Ihnen verlassen!«
Es war mittlerweile dunkel geworden, und das lodernde Feuer warf flackernde Schatten auf die Büsche und das Geschilf und blutrote Lichter auf die Fläche des sumpfigen Wassers, aus welchem man die Köpfe oder Schnauzen der Krokodile hervorragen sah. Man holte vier Lassos, von denen je zwei fest zusammengebunden wurden. Dann kletterten zwei Indianer auf den Baum, jeder auf einen andern starken Ast, um die Lassos da so anzubringen, daß sie sich in einer Astgabel wie auf einer laufenden Rolle bewegten.
Dann kamen sie, die Enden der Lassos festhaltend, wieder herunter.
Hierauf wurden die Gefangenen von den Bäumen, an die man sie gefesselt hatte, losgemacht. Man band ihnen die Hände auf den Rücken und zog ihnen dann das eine, äußere Ende des Lassos unter den Armen durch, um es ihnen auf dem Rücken festzuknebeln. Dann wurden die andern Enden von mehreren kräftigen Männern angezogen und, als die Gefangenen in der Luft schwebten, an dem Stamme des Baumes festgeschlungen.
Da die beiden Äste über das Wasser ragten, so hingen die beiden Gefangenen natürlich auch über demselben.
Sie schwangen an den Lassos hin und her, und dadurch wurden die in der Nähe befindlichen Krokodile herbeigelockt, um mit lautem Zusammenschlagen der Kinnladen nach ihnen zu schnappen.
Man hatte, dem Vorschlage des Stierfechters gemäß, die Lassos soweit angezogen, daß die Tiere die Füße der Gefangenen nicht ganz erreichen' konnten; dennoch warfen die letzteren, so oft sich ein Rachen unter ihnen öffnete, die Beine krampfhaft empor, so daß sie nicht still hingen, sondern sich an den Riemen immer in schleudernder Bewegung befanden. Es konnte sich eins der Tiere doch einmal so hoch emporschnellen, daß es mit den Zähnen sein Ziel erreichte. Falls ein Lasso riß, so war der an demselben Hängende verloren; es war ihm gewiß, augenblicklich zerfleischt zu werden.
Die Stimmung, in welcher sich die beiden Deutschen, wenn in einer solchen Lage überhaupt von einer Stimmung die Rede sein kann, befanden, läßt sich natürlich nicht beschreiben. Ob sie still waren oder schrieen, das konnte man nicht sagen, denn die Indianer stießen ein Freudengeheul aus, welches jeden andern Ton oder Laut unhörbar machte, und die Weißen stimmten in dasselbe ein. Wollte dieses Heulen je einmal aufhören, so fing es, wenn ein Krokodil zuschnappte, immer wieder von neuem an. Das währte wohl über eine halbe Stunde lang, bis die Kehlen doch ermüdeten und nun einige verlangten, daß ein Ende gemacht werden solle. Dagegen aber stimmte der Stierfechter, indem er rief:
»Nein, jetzt noch nicht, noch lange nicht! Sie müssen die Todesangst noch stundenlang empfinden.«
»Aber wir haben keine Zeit, uns hierher zu stellen,« warf ein andrer ein. »Wir müssen das Lager bereiten und essen.«
»Wer verlangt denn, daß wir uns hierherstellen? Diese Kerls hängen gut. Thun wir also unsre Arbeit. Wenn wir dann zurückkehren, kann das Theater von neuem beginnen.«
Man stimmte ihm bei. Nachdem noch einmal nachgesehen worden war, ob die Lassos auch wirklich fest am Stamme des Baumes hielten, entfernten sie sich alle, um ihren anderweiten Obliegenheiten einstweilen nachzukommen. Keiner blieb am Wasser. Dieser letztere Umstand war es, dem die so fürchterlich Gequälten ihre Rettung zu verdanken haben sollten.
Fritze hatte sich nämlich nicht geirrt, als er der Meinung gewesen war, den Vater Jaguar gesehen zu haben.
Dieser war, wie schon erzählt, mit dem Inka und dem Anciano von dem Arroyo claro fortgeritten, um die nahenden Abipones zu erkundschaften. Sein Weg hatte ihn nach dem Thale des ausgetrockneten Sees geführt. Er war überzeugt, daß der Marsch der Feinde nach diesem Orte gerichtet sein werde. Ritt er ihnen in gerader Richtung entgegen, so begab er sich in die Gefahr, auf dem ebenen und meist offenen Terrain von ihnen gesehen zu werden. Darum wich er von dieser Richtung nach links ab, um den Anzug der Abipones von dieser Seite her zu beobachten. Doktor Morgenstern war mit Fritze dieser abweichenden Spur gefolgt, infolgedessen beide den bereits erwähnten Umweg gemacht hatten.
Der Vater Jaguar war bis über die Grenze, welche das Gebiet der Cambas von demjenigen der Abipones trennte, zurückgekehrt und dann auf einen weiten, baum- und strauchlosen Campo gekommen, auf welchem er glaubte anhalten zu müssen.
»Wir dürfen nicht weiter,« sagte er zu seinen Begleitern. »Wenn meine Berechnung richtig ist, sind wir schon über den Punkt hinaus, an welchem die Abipones sich rechts von uns befinden müssen. Biegen wir jetzt nach dorthin ein, so steht zu erwarten, daß wir hinter sie gelangen und aus ihren Spuren zu ersehen vermögen, mit welcher Anzahl von Gegnern wir es zu thun haben.«
»Sie haben recht, Señor,« stimmte Anciano bei. »Biegen wir rechts ein! Die Gegend paßt sehr gut dazu, da wir hier etwaige Feinde sehen werden, sobald sie am Horizonte auftauchen.«
Man ritt also jetzt nach Süden, nicht allzu schnell, sondern in leichtem Trabe, um Zeit zur scharfen Beobachtung des Horizontes zu haben. Es war wohl zwei Stunden lang weder ein Mensch, noch die Spur von einem solchen zu sehen. Dann aber kamen die drei Reiter an eine ungemein breite Fährte, welche rechtwinklig quer über ihre Richtung lief.
»Das ist jedenfalls, was wir suchen,« sagte der Vaterjaguar, indem er sein Pferd anhielt und aus dem Sattel sprang. »Wollen diese Spur doch einmal genau betrachten.«
Anciano und der Inka folgten seinem Beispiele. Man sah, daß sowohl Reiter als auch Fußgänger hier vorübergekommen waren, aber wieviel es gewesen waren, das konnte höchstens geschätzt, nicht aber genau bestimmt werden, da die hintern die Eindrücke der vordersten ausgetreten hatten.
»Es sind die Abipones,« meinte Anciano. »Sie müssen sich sehr sicher fühlen, da sie so breit marschiert sind und eine so sehr unvorsichtige Fährte zurückgelassen haben. Ihre Zahl kann ich nicht sagen.«
»Und doch möchte ich dieselbe sehr gern wissen,« sagte der Vater Jaguar. »Wenn wir ihnen nachreiten, so finden wir vielleicht einige Zeichen, welche uns als Anhalt dienen können.«
»Um ihnen folgen zu können, müßten wir wissen, wie weit wir sie vor uns haben.«
»Das ist doch nicht schwer zu sagen. Ich sehe am Grase, daß wir sie wenigstens vier Reitstunden vor uns haben. Ihre Schnelligkeit kann die unsrige zwar nicht erreichen, aber wir müssen uns trotzdem sputen, da wir gezwungen sind, vor ihnen im Thale des ausgetrockneten Sees anzukommen.«