Es folgte die schon beschriebene Scene. Als die beiden Gefangenen an den Ästen hingen und die Krokodile herbeigeschossen kamen, langte der Vater Jaguar unwillkürlich nach seinem Rücken, auf welchem er sein Gewehr hängen hatte, zog die Hand aber wieder zurück und flüsterte in hörbar erleichtertem Tone:
»Gott sei Dank! Ich brauche nicht zu schießen. Man will sie einstweilen noch quälen. Man hat sie so hoch gehängt, daß sie von den Bestien nicht gefaßt werden können.«
»Welche Grausamkeit, Señor! Sehen Sie nur, wie die Tiere nach ihnen schnappen! Was raten Sie uns zu thun?«
»Jetzt noch nichts. Wir müssen noch warten.«
»Bis die Armen tot sind?!«
»Wir können unmöglich schon jetzt handeln. Warten wir, was noch geschieht! Die Lage der armen Teufel ist zwar schrecklich, aber keineswegs schon lebensgefährlich. Die um die Brust gelegten Riemen drücken ein wenig; das ist auszuhalten.«
»Ich möchte am liebsten mitten unter die Halunken hineinspringen!«
»Das würde nichts helfen, sondern nur uns mit denen verderben, welche wir retten wollen. Also Geduld!«
Sie machten sich diese Mitteilungen in ziemlich lautem Tone, da die Abipones ein Geheul wie die Teufel erhoben hatten. Dies verstummte nach und nach; eine kleine Weile verging, und dann sahen die beiden, daß die Abipones mit ihren weißen Verbündeten den Platz verließen und sich um die am Baume Hängenden nicht mehr zu kümmern schienen.
»Jetzt hin, Señor!« flüsterte Anciano dem Vater Jaguar zu. »Die Zeit zum Handeln ist da!«
Er wollte auf. Hammer drückte ihn nieder und antwortete in befehlendem Tone:
»Bleib! Willst du alles verderben?«
»Verderben? Es ist ja niemand mehr dort!«
»Siehst du denn, wo unsre Feinde sich befinden?«
»Nein; es ist ja dunkel; aber fort sind sie doch!«
»Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich; aber wenn wir uns übereilen, können wir alles verderben. Sie lassen die Gefangenen hängen, um sie so lange wie möglich zu quälen und erst später den Krokodilen zu überlassen.
Jetzt werden sie Material zusammentragen, um da draußen, wo sie lagern wollen, Feuer anzuzünden; sie sind also noch in der Nähe. Dann, wenn ihre Feuer brennen, können wir sie sehen, und dann ist die Gefahr für uns nicht so groß wie jetzt.«
»Sie werden Wächter bei dem Baume lassen!«
»Denen geben wir unsre Messer. Gerade ihre Grausamkeit, die Todesqual der Gefangenen zu verlängern, läßt vermuten, daß sie sich ganz sicher fühlen. Wir haben Zeit, das versichere ich dir.«
»Und ich möchte das Gegenteil behaupten, Señor. Sie müssen sich doch sagen, daß da, wo die Gefangenen sind, auch wir uns befinden!«
»Wäre dies der Fall, so hätten sie mit ihnen kurzen Prozeß gemacht. Wer weiß, was dieser Fritze ihnen gesagt hat. Wenn es sich um einen Wunsch seines Herrn handelt, kann er die größte Dummheit begehen; sonst aber ist er ein sehr pfiffiger Bursche, und ich glaube nicht, daß, als sie ihn ausfragten, es ihm eingefallen ist, ihnen die Wahrheit zu sagen.«
jetzt sah man draußen auf der Ebene ein Feuer nach dem andern aufleuchten. Das Lager wurde in ziemlicher Entfernung von dem Sumpfe aufgeschlagen, und der Vater Jaguar sah zu seiner Genugthuung, daß der Baum, an dem die Gefangenen hingen, gegen das Lager hin durch ein Gesträuch gedeckt war, welches die Rettung der mit dem Tode Bedrohten außerordentlich begünstigte.
Noch immer liefen Indianer hin und her, um Schilf und Holz nach den Feuern zu tragen. Dies mußte man vorüberlassen. Noch so lange zu warten, diese Aufgabe ging fast über die Kräfte des alten Anciano. Er gestand:
»Señor, wenn es nicht bald losgeht, so werde ich auch Dummheiten machen! Ich möchte diese Hunde alle erwürgen!«
»Sei still! In mir kocht es noch weit ärger als in dir. Du hast keine Ahnung von dem, was ich seit einer Viertelstunde empfinde. Ich muß mich noch viel mehr zwingen, als du, ruhig zu sein.«
»Aber wir könnten längst fertig sein! Es bedarf nur einiger Sprünge, so sind wir dort, machen die Gefangenen los und laufen mit ihnen in die Nacht hinein. Wer will uns da finden!«
»So! Das würde allerdings die Dummheit sein, von welcher du gesprochen hast! Wie willst du die beiden losmachen?«
»Losschneiden!«
»Kannst du sie mit dem Arme, mit dem Messer erlangen, da sie über dem Wasser, über den Krokodilen hängen?«
»Das ist wahr! Leider nein! Daran dachte ich nicht. Wir müssen auf den Baum, um sie emporzuziehen!«
»Da werden wir gesehen, oder die Äste brechen unter der doppelten Last, und wir stürzen unter die Krokodile, ganz abgesehen davon, daß es selbst für einen starken Mann nicht leicht ist, einen Menschen aus freier Hand so hoch emporzuziehen. Wir müssen sie in ganz andrer Weise losmachen, nämlich mit dem Lasso, und das geht nicht so schnell, wie du denkst. Und dann habe ich einen sehr triftigen Grund, diesen Gambusino nicht wissen zu lassen, daß die Gefangenen befreit worden sind; er soll vielmehr denken, daß sie von den Krokodilen heruntergerissen und verschlungen wurden.«
»Warum, Señor?«
»Davon später, denn ich glaube, daß wir nicht mehr lange zu warten brauchen. Wie ich sehe, wird Fleisch verteilt. Das zieht die Leute an und hält sie jedenfalls so lange von hier fern, bis wir fertig sind.«
Man sah, daß die Abipones sich alle an einem Punkte des Berges versammelten; auch diejenigen, welche noch mit Zutragen des Feuerungsmateriales beschäftigt waren, eilten dorthin. Der Rand des Sumpfes war von Beobachtern frei. Das Feuer, welches unter dem Baume brannte, hatte keine Nahrung erhalten und brannte nicht mehr hell genug, die Umgebung so zu erleuchten, daß sie vom Lager aus deutlich gesehen werden konnte. Der Vater Jaguar sprang auf und rannte auf den Baum zu; der alte Anciano folgte ihm augenblicklich. Die schon erwähnten Büsche standen zwischen ihnen und dem Lager. Nun galt es, schnell, aber auch besonnen zu handeln.
Der Vater Jaguar schlang sich seinen Lasso vom Gürtel, rollte ihn wurffertig zusammen und rief dabei den an dem Baume Hängenden mit gedämpfter Stimme zu:
»Die Hilfe ist da. Macht euch steif und unbeweglich, bis ihr den festen Boden erreicht!«
Er warf den Lasso, und zwar so geschickt, daß dasjenige Ende desselben, welches sich nicht in seiner Hand befand, sich um den Leib des Doktors schlang. Dann gebot er Anciano:
»Binde den Riemen los, an welchem er hängt, und halte ihn aber fest! Du lässest ihn in der Weise über den Ast laufen, in welcher ich den Doktor an meinem Lasso herüberziehe!«
Anciano that, wie ihm befohlen worden war. Er band den Lasso von dem Stamme los, hielt ihn aber fest, damit der Doktor nicht in das Wasser fiel; dann ließ er ihn laufen, während Hammer den zwischen Himmel und Erde Schwebenden aus der Luft und herüber an das Ufer zog. Ein Schnitt mit dem Messer, und die Arme des Geretteten waren frei. Er wollte sprechen und sich dabei den Lasso von der Brust entfernen; da aber gebot der Vater Jaguar:
»Stehen Sie still und sprechen Sie jetzt nicht. Der Lasso bleibt jetzt an Ihrem Leibe!«
Er meinte damit nicht den seinigen, den er schon losgebunden hatte, sondern denjenigen, an welchem der Doktor gehangen hatte. Jetzt wieder eine Schlinge legend, warf er sie dem Diener um den Leib, worauf Fritze in ganz derselben Weise herunter- und herübergeholt wurde. Darauf sagte er.
»Man muß denken, daß ihr von den Krokodilen herabgerissen und verzehrt worden seid; darum darf ich euch nicht losbinden und auch nicht losschneiden, sondern ich muß die Lassos so entzwei machen, daß es scheint, als ob sie abgerissen worden seien.«
Er sägte nahe an den Körpern der Geretteten die Riemen in der Weise auseinander, daß er sie mit der Messerschneide aufschabte und dann vollends zerriß. Dann wurden sie wieder an den Baumstamm befestigt, wie sie vorher an denselben gebunden gewesen waren. Die abgerissenen Enden hingen nun ganz in der Weise von den Ästen über dem Wasser herab, daß es genau so aussah, als ob diejenigen, welche daran gehangen hatten, von den Krokodilen herabgezerrt worden seien.