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»Aber jetzt wissen Sie es?«

»Ja. Ich habe ihn wiedererkannt. Ich habe ihn nicht nur heute mit dem Auge, sondern schon vorher mit dem Ohre erkannt. Ich kenne nicht nur seine Gestalt, sondern auch seine Stimme. Als wir uns zuerst da unten am Rio Salado trafen und eine Stunde später die beiden, die wir heute vom Tode errettet haben, aus der Hand der Abipones befreiten, da hörte ich eine laute, befehlende Stimme. Ihr Klang machte, daß ich mitten in der größten Eile halten blieb; aber wir hatten Wald zur Rechten und zur Linken, wodurch die Stimme eine andre Klangfarbe erhielt. Dennoch war es mir dann immer, als ob derjenige, dem sie gehörte, der Mann sei, den ich so lange vergeblich gesucht habe. Es war der Gambusino, und heute, da ich ihn gesehen habe, weiß ich genau, daß mein damaliger Gedanke begründet war.«

»Er ist ein Feind von Ihnen?«

»Mein größter Feind, aber ich bin auch der seinige. Ich habe eine Rechnung mit ihm auszugleichen, und die Quittung wird mit Blut geschrieben - - morgen schon, wie ich hoffe!«

»Es ist also Blut gegen Blut?«

»Ja. Er hat meinen Bruder ermordet droben im Norden. Wie das geschehen ist, das will ich jetzt nicht erzählen. Es war entsetzlich, so entsetzlich, daß mir das Haar darüber weiß geworden ist. Ich verfolgte ihn; ich erfuhr, daß er sich nach Südamerika gewendet hatte. Argentinien war seine Heimat. Ich kam hierher, um ihn zu suchen. Ich durchritt das Land; ich befuhr alle Flüsse; ich überkletterte alle Berge, ohne ihn zu treffen, heute aber habe ich ihn und nun soll er mir nicht wieder aus dem Auge kommen, als bis ich fertig mit ihm geworden bin.«

»So nehmen Sie den einen und ich nehme den andern!«

»Wen?«

»Den Stierkämpfer. Ich werde ihn nach dem Skalpe fragen, den er dem Lieutenant Verano gezeigt hat.

Meinen Sie, Señor, daß die beiden morgen in unsre Hände geraten?«

»Ich bin überzeugt davon. Laß mir jetzt meine Gedanken! Wenn man an solche vergangene Stunden denkt, läßt man sich nicht gern von der Gegenwart stören.«

Sonderbarerweise waren jetzt, zu derselben Stunde, die beiden, von denen hier gesprochen wurde, mit ihren Gedanken bei demjenigen, der soeben in seinem Innern das Todesurteil über den Gambusino gefällt hatte.

Dort am Sumpfe waren die Feuer ausgegangen; die Roten und die Weißen schliefen, weil morgen mit dem Frühesten aufgebrochen werden sollte. Ein Wächter stand bei den Pferden; aber er war es doch nicht allein, welcher wachte, sondern es gab außer ihm noch drei, welche von dem Schlafe nichts wissen wollten, nämlich der Gambusino, der Stierfechter und der Kapitän Pellejo.

Dieser letztere stand zu den beiden andern in ganz demselben Verhältnisse, in welchem sich der Lieutenant Verano dem Vater Jaguar gegenüber fühlte: er war Offizier; die beiden andern waren nicht Militärs, und so glaubte er höher zu stehen als sie, wenigstens in Beziehung auf die Angelegenheit, in welcher sie sich jetzt im Gran Chaco befanden. Er war während der letzten Zeit oft mit ihnen in Streit geraten und hatte immer nachgeben müssen, weil der Einfluß des Gambusino auf die Abipones größer als der seinige war. Das hatte ihn tief verdrossen und mißtrauisch gemacht. Er begann, die beiden, welche nachgerade Gehorsam von ihm verlangten, zu beobachten, und da bemerkte er denn verschiedenes, was ihm auffiel. Er verglich dieses mit jenem, eins ihrer Worte mit dem andern und kam schließlich zu dem Verdachte, daß sie es nicht ehrlich mit dem gegenwärtigen Unternehmen meinten. Er zog sich von ihnen zurück; sie bemerkten das und vergalten ihm seinen Verdacht mit dem ihrigen. Sie hörten auf, ihn bei ihren Beratungen zu fragen; sie wichen seinen Ansichten und Vorschlägen aus und hatten immer miteinander heimlich zu thun, wobei er bemerkte, daß ihre Augen auf ihm ruhten. Darum begann er sich unsicher zu fühlen und beschloß endlich, ein klares, offenes Wort mit ihnen zu reden.

Heute, als die beiden Gefangenen von dem Baume verschwunden waren, und man den Lagerplatz wieder aufgesucht hatte, saß er bei den Soldaten, welche sich am Palmensee zusammengefunden hatten und für deren Anführer er sich hielt. Sie waren alle beritten. Da trat der Gambusino mit Perillo zu ihnen und sagte:

»Señor Kapitän, wir werden morgen das große Dorf der Cambas erreichen und sofort angreifen; ich werde Ihnen jetzt Ihre Instruktion erteilen.«

»Meine Instruktion?« fragte Pellejo verwundert. »Eine Instruktion hat man doch nur von dem Vorgesetzten entgegenzunehmen!«

»Sie meinen nicht, daß ich der Ihrige bin?«

»Nein.«

»Wer hat da wohl den Befehl über die Krieger, welche wir bei uns haben, zu führen?«

»Eigentlich ich, da ich unter den Anwesenden den höchsten militärischen Rang bekleide.«

»Ich wußte, daß dies Ihre Ansicht ist, und habe bis jetzt geschwiegen. Nun es aber morgen zum Kampfe kommt, muß ich Sie aufklären. Ich bitte Sie, zu lesen!«

Er zog eine kleine Blechkapsel aus der Tasche, öffnete sie, nahm ein zusammengefaltetes Papier aus derselben, schlug es auseinander und gab es dem Kapitän. Dieser las es beim Scheine des Feuers, an welchem er saß, wurde bleich im Gesicht und gab es ihm wieder zurück.

»Nun,« fragte der Gambusino, »wer ist der Kommandierende?«

»Ich habe mich überzeugt, daß ich Ihnen zu gehorchen habe.«

»Nicht nur Sie allein, sondern auch alle Ihre Untergebenen. Sagen Sie es ihnen! Nachdem Sie mich anerkannt haben, werde ich von meiner Autorität den ersten Gebrauch machen, indem ich Sie für einstweilen Ihrer Verpflichtungen enthebe. Sie begleiten uns weiter, werden sich aber, bis ich etwas andres befehle, in allem vollständig passiv verhalten.«

»Señor!« fuhr der Kapitän auf. »Von wem ist Ihnen ein solches Verhalten vorgeschrieben?«

»Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Sie haben zu gehorchen. Thun Sie das nicht, so wissen Sie, was geschieht. Wir befinden uns auf dem Kriegsfuße!«

»Schön, Señor! Ich werde kein Wort verlieren, sondern gehorchen,« rief der Hauptmann, indem er aufstand und, kaum im stande, seinen Zorn zu beherrschen, das Feuer verließ.

Er schritt ein Stück in die Nacht hinein und überlegte. Woher so plötzlich dieses Verhalten des Gambusino?

Hatte es einen allgemeinen oder heute einen besondern Grund? So fragte er sich, ohne daß er im stande war, sich eine Antwort zu erteilen. Als er später zurückkehrte, war das Feuer erloschen. Dennoch bemerkte er, daß der Gambusino und der Stierkämpfer sich nicht an ihren Plätzen befanden. Er legte sich neben seinem Korporal nieder und fragte diesen, als er bemerkte, daß er noch nicht eingeschlafen war, leise:

»Wo ist der neue Oberst oder gar General?«

»Er ging nach dem Sumpfe und wird dort mit Perillo sitzen, um ungestört Pläne machen zu können.«

»Was geschah, als ich fort war?«

»Nichts weiter, als daß er auch uns seine Vollmacht zeigte.«

»Sie ist echt.«

»Ja, sie ist vom Vizepräsidenten der Konföderation unterschrieben und besiegelt. Wir müssen ihm gehorchen.«

»Und ich habe euch nichts mehr zu befehlen?«

»Señor Kapitän, ich sagte, daß wir gehorchen müssen. Wir sind Soldaten, und der Ungehorsam würde uns den Kopf kosten.«

»Das ist Treue! Wer hätte gedacht, daß es so komme!«

Er hüllte sich in seine Decke und versuchte zu schlafen. Er hatte ganz vergessen, daß er jetzt selbst Empörer, Aufrührer war und also gar kein Recht besaß, auf seinen Untergebenen zornig zu sein. Er hatte hier eine Rolle spielen wollen, um später schnell zu avancieren, und war nun so plötzlich kalt gestellt worden. Das ließ ihn nicht ruhen. Er dachte an den Gambusino und an Perillo. Diese beiden hatten jedenfalls etwas gegen ihn vor. Ob es möglich war, dies zu erfahren? Warum nicht? Vielleicht zeigte sich der Zufall günstig. Er hob den Kopf, um zu lauschen. Alle schliefen; auch sein Nachbar, der Korporal, war jetzt eingeschlafen. Er wickelte sich aus der Decke und kroch fort, langsam und unhörbar, nach dem Sumpfe hin. Es dauerte lange, ehe er die Bäume des Ufers im Mondenscheine stehen sah. Er erreichte sie, ohne die Gesuchten zu bemerken, und kroch auf gut Glück weiter, am Rande hin, immer möglichst im Schutze der Sträucher und des Schilfes. Nach einiger Zeit hörte er leise Stimmen. Noch einige Ellen weiter, und er sah sie sitzen, eng nebeneinander, auf einem trockenen Grasplätzchen. Ein Wisch hohen Schilfes erhob sich ganz in ihrer Nähe.