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»Nun geh, Liebling. Deiner ist schon wach, hörst du? er stampft mit den Füßen«, befahl die Mutter, die Augen schließend. Während Natalia langsam die Treppen emporstieg, dachte sie angewidert und beinahe feindselig:

»Er hat bei ihr geschlafen; den Kwas hat er getrunken! Ihr Hals ist fleckig, das sind keine Mückenstiche, das sind Kußspuren. Ich will Petja aber nichts davon sagen. Sie will in der Scheune schlafen. Und doch hat sie geschrien ...«

»Wo warst du?« fragte Pjotr, seiner Frau forschend ins Gesicht blickend. Sie senkte die Augen, da sie sich schuldig fühlte.

»Ich habe Johannisbeeren gepflückt und war dann bei der Mutter.«

»Nun, was ist mit ihr?«

»Es scheint nichts zu sein ...«

»So?« sagte Pjotr, sich am Ohr zupfend. »So!«

Er seufzte lächelnd und rieb sich das rothaarige Kinn:

»Die dumme Barskaja scheint wohl die Wahrheit gesagt zu haben: glaube weder ihrem Schreien, noch ihren Tränen ...«

Darauf fragte er streng:

»Hast du Nikita gesehen?«

»Nein.«

»Wieso denn nicht? Da ist er ja, er fängt im Garten Vögel.«

»Ach,« rief Natalia ängstlich, »und ich bin so, im bloßen Hemd, hinausgelaufen.«

»Das ist es ja eben ...«

»Wann schläft er eigentlich?«

Pjotr ächzte laut beim Stiefelanziehen. Seine Frau lächelte, ihn von der Seite anblickend, und sagte:

»Er ist zwar bucklig, hat aber doch was Angenehmes, mehr als Alexej ...«

Der junge Ehemann ächzte nochmals, aber leiser ... ... Jeden Morgen, beim Sonnenaufgang, wenn der Schäfer seine Herde sammelte und dabei schwermütig auf der langen Flöte aus Birkenrinde blies, begann jenseits des Flusses das Hämmern der Äxte, und die Städter, die ihre Kühe und Schafe auf die Straße hinaustrieben, sagten spöttisch zueinander:

»Kaum daß der Morgen graut, geht es schon los, hört ihr? Die Habgier ist der ärgste Feind der Ruhe.«

Manchmal kam es Ilja Artamonow so vor, als habe er die träge Feindseligkeit der Stadt schon überwunden; die Driomower zogen vor ihm ehrerbietig die Mützen und hörten aufmerksam seine Erzählungen von den Fürsten Ratski an, aber stets bemerkte dabei der eine oder der andere nicht ohne Stolz:

»Bei uns sind die Herrschaften einfacher, ärmer, aber strenger als bei euch!«

Des Abends und an den Feiertagen saß er im schönen, schattigen Garten der Schenke Barskis am Ufer der Oka und sagte zu den reichen und angesehenen Bürgern von Driomow:

»Mein Unternehmen wird für euch alle von Vorteil sein.«

»Das walte Gott!« erwiderte Pomialow mit einem kurzen, hündischen Auflachen, und man war sich nicht im klaren, ob er freundlich lecken oder beißen würde. Sein verschwommenes Gesicht war teilweise in einem hanfartigen Bart verborgen, die graue Nase schnüffelte mißtrauisch überall herum, und der Blick der eichelfarbenen Augen war tückisch.

»Das walte Gott!« wiederholte er. »Wir haben zwar auch ohne dich nicht schlecht gelebt, vielleicht werden wir aber auch mit dir irgendwie leben.«

Artamonow runzelte die Stirn:

»Du sprichst zweideutig und nicht freundschaftlich.«

Barski schreit lachend:

»Er ist nun einmal so!«

Barski hat an Stelle seines Gesichts spärliche, hochrote Fleischstücke, sein ungeheurer Kopf, der Hals, die Wangen und Hände, – alles an ihm ist dicht mit grobhaarigem Bärenfell bewachsen, die Ohren sind unsichtbar, die überflüssigen Augen sind in Fettpolstern verborgen.

»Meine ganze Kraft ist in Fett übergegangen«, sagt er lachend und öffnet weit den mit stumpfen Zähnen angefüllten Rachen.

Der Stellmacher Woroponow betrachtet Artamonow mit seinen sehr hellen Augen und belehrt ihn mit klangloser Stimme:

»Man muß seine eigenen Angelegenheiten besorgen, darf aber auch die göttlichen nicht vergessen. Es heißt: ›Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe; eins aber ist not!‹«

Seine hellen und gleichsam leeren Augen blickten so, als ahne Woroponow irgend etwas und als würde er sogleich durch ein ungewöhnliches Wort verblüffen. Manchmal schien er auch einen Anlauf dazu zu nehmen:

»Natürlich hat auch Christus Brot genossen, so daß Martha ...«

»Halt,« unterbrach ihn der Lederhändler und Kirchenälteste Shitejkin, »wo willst du hinaus?«

Woroponow verstummte und bewegte seine grauen Ohren. Ilja fragte den Lederhändler:

»Verstehst du etwas von meinem Unternehmen?«

»Wozu denn?« staunte Shitejkin aufrichtig. »Das ist doch deine Sache; da mußt du sie auch verstehen, du seltsamer Kauz! Du hast deine Sache und ich die meinige.«

Artamonow trank starkes Bier und blickte durch die Bäume auf den trüben Streifen der Oka und auf die links aus dem Tannenwald und aus den Sümpfen sich zierlich als grüne Schlange hervorwindende Watarakscha. Dort, auf der Landzunge, auf dem gelben Brokat des Sandes, leuchten ölig die Holzabfälle und Hobelspäne, schimmert rot der Backstein, und inmitten des niedergetretenen Weidengesträuchs breitet sich die langgestreckte, fleischfarbene Fabrik aus, die an einen Sarg ohne Deckel erinnert. In der Sonne funkelt der mit dunklem, noch ungestrichenem Eisenblech gedeckte Schuppen, und der gelbe Rohbau des zweistöckigen Hauses scheint mit seinen in den heißen Himmel emporragenden, straff gespannten, goldenen Dachstuhlsparren wie Wachs dahinzuschmelzen. – Alexej hatte treffend bemerkt, das Haus erinnere aus der Ferne an eine Harfe. Alexej lebt dort, in einiger Entfernung von den Burschen und Mädchen der Stadt; es ist schwer, mit ihm auszukommen, er ist zänkisch und jähzornig. Pjotr ist schwerfälliger als er, in ihm ist etwas Trübes; er begreift noch nicht, was alles ein kühner Mensch vollbringen kann.

Über Artamonows Gesicht gleitet ein Schatten, er blickt, unter den dichten Brauen lächelnd, auf die Städter. Dieses Volk ist nicht viel wert, sie bekunden in ihren Geschäften nur schwächliche Gier, echtes Draufgängertum fehlt ihnen aber.

Des Nachts, wenn die Stadt wie tot schläft, schleicht Artamonow, als wäre er ein Dieb, über das Flußufer und über Hinterhöfe in den Garten der Witwe Bajmakowa. In der warmen Luft summen die Mücken und scheinen über die Erde den appetitlichen Geruch von Gurken, Äpfeln und Dill zu verbreiten. Der Mond rollt inmitten grauer Wolken hin, der Fluß wird von Schatten liebkost, Artamonow steigt über die Hecke in den Garten und gelangt leise in den Hof. Jetzt ist er in der dunklen Scheune, aus einer Ecke empfängt ihn ängstliches Flüstern:

»Bist du unbemerkt hereingekommen?«

Er wirft die Kleider ab und brummt zornig:

»Es ist so ärgerlich, daß ich mich verstecken muß! Bin ich denn ein grüner Junge?«

»Dann mußt du dir eben keine Geliebte nehmen.«

»Ich wäre froh, wenn ich keine hätte, aber Gott hat mir eine gegeben.«

»Ach, was sprichst du, du Ketzer! Wir beide handeln gegen Gottes Willen ...«

»Nun gut! Das kommt später dran. Ach, Uljana, was für Menschen es hier bei euch gibt ...«

»Laß das, gräme dich nicht«, flüsterte die Frau und tröstete ihn lange und mit wilder Gier durch ihre Liebkosungen. Nachdem sie sich ausgeruht hatte, erzählte sie ihm eingehend von den Leuten: wer zu fürchten wäre, wer klug und wer ehrlos wäre, und wer übriges Geld hätte.

»Pomialow und Woroponow wissen, daß du viel Holz brauchst und wollen die Wälder in der Umgegend zusammenkaufen, um dich an die Wand zu drücken.«

»Sie kommen zu spät, der Fürst hat die Wälder mir verkauft.«

Um sie herum und über ihnen herrscht undurchdringlich, schwarzes Dunkel, sie sehen nicht einmal ihre Augen und flüstern tonlos. Es riecht nach Heu und nach Birkenbesen; aus dem Keller steigt angenehme, feuchte Kühle auf. Schwere, wie aus Blei gegossene Stille umspannt die Stadt, manchmal huscht eine Ratte vorbei, junge Mäuse piepsen, und die zerbrochene Glocke des Nikolausturmes wirft stündlich traurige, krankhaft zitternde Töne in das Dunkel.