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C. S. LEWIS

  

DIE FALSCHE TÜR

Diese Geschichte handelt von Ereignissen, die sich vor langer, langer Zeit zutrugen.

Es ist eine äußerst wichtige Geschichte, weil sie erklärt, wie das ganze Hin und Her zwischen unserer eigenen Welt und dem Land Narnia überhaupt anfing.

In jenen Tagen wohnte Sherlock Holmes noch in der Baker Street in London, als Junge mußte man jeden Tag einen steifen Kragen tragen, und die Schulen waren im allgemeinen noch gräßlicher als heutzutage. Aber das Essen war besser, und ich erzähle euch lieber erst gar nicht, wie billig und wie gut damals die Süßigkeiten waren, denn sonst läuft euch nur das Wasser im Mund zusammen. Und in jenen Tagen lebte in London ein Mädchen namens Polly Plummer.

Sie wohnte in einer langen Häuserzeile. Eines Morgens stand sie gerade hinten im Garten, als aus dem Nachbargarten ein Junge an der Mauer hochgeklettert kam und den Kopf darüber hinwegstreckte. Polly war sehr überrascht, denn im Nachbarhaus hatten bisher keine Kinder gewohnt. Dort lebten nur Mr. Ketterley, ein alter Junggeselle, und seine ebenfalls unverheiratete Schwester, Miß Ketterley. Polly sah den Jungen neugierig an.

Ein ausgesprochen schmutziges Gesicht hatte er, und er sah geradeso aus, als hätte er eben in der Erde gewühlt, ausgiebig geweint und sich dann mit den Händen das Ge­sicht abgewischt. Und so hatte es sich auch fast zugetragen.

»Hallo«, sagte Polly.

»Hallo«, sagte der Junge. »Wie heißt du?«

»Polly«, erwiderte Polly. »Und du?«

»Digory«, antwortete der Junge.

»Ach herrje! Das ist aber ein komischer Name!« rief Polly.

»Also ich finde ihn längst nicht so komisch wie Polly«, sagte Digory.

»Doch!«

»Nein, das stimmt nicht«, sagte Digory.

»Also wenigstens wasche ich mir das Gesicht«, sagte Polly. »Und das hättest du auch nötig, vor allem, wenn…« Doch mitten im Satz brach sie ab. Sie hatte sagen wollen, »… wenn du geheult hast«, aber dann fand sie, das wäre unhöflich.

»Na gut, dann hab’ ich eben geheult«, erklärte Digory mit lauter Stimme. Offensichtlich war er so unglücklich, daß es ihm völlig egal war, ob irgendeiner erfuhr, daß er geweint hatte. »Du würdest auch heulen«, fuhr er fort, »wenn du dein ganzes Leben auf dem Land verbracht hättest, mit deinem eigenen Pony und einem Bach unten im Garten, und dann müßtest du hierherziehen in so ein gräßliches Loch.«

»London ist kein gräßliches Loch!« protestierte Polly empört. Aber der Junge war so aufgebracht, daß er sie gar nicht beachtete. Er fuhr fort: »Und wenn dein Vater in Indien wäre – und du müßtest bei einer Tante wohnen und bei einem Onkel, der nicht ganz richtig ist im Kopf – und nur deshalb, weil sie deine Mutter pflegen müssen – und wenn deine Mutter krank wäre und – und – sterben müßte.« Und dann verzog er ganz komisch das Gesicht, so wie es immer dann passiert, wenn man versucht, die Tränen zu unterdrücken.

»Das wußte ich nicht. Tut mir leid«, sagte Polly zerknirscht. Weil sie nicht recht wußte, was sie sagen sollte, und weil sie Digory auf ein erfreulicheres Thema bringen wollte, fragte sie: »Ist Mr. Ketterley wirklich nicht ganz richtig im Kopf?«

»Also entweder ist er übergeschnappt, oder es ist irgendwas Geheimnisvolles im Gang«, erklärte Digory.

»Im obersten Stock ist sein Arbeitszimmer, und Tante Letty hat mir strengstens verboten, es jemals zu betreten. Das kommt mir schon ausgesprochen komisch vor. Und dann ist da noch was. Jedesmal, wenn er beim Essen etwas zu mir sagen will – mit ihr redet er überhaupt nicht –, bringt sie ihn zum Schweigen. Sie sagt: Du darfst dem Jungen keine Angst einjagen, Andrew, oder: Ich bin sicher, das interessiert Digory nicht, oder: Hast du nicht Lust, hinauszugehen in den Garten und zu spielen, Digory?«

»Was will er dir denn erzählen?«

»Keine Ahnung. So weit schafft er es nie. Aber das ist noch nicht alles. Gestern abend bin ich auf dem Weg zu meinem Zimmer an der Treppe vorbeigegangen, die zu seinem Arbeitszimmer auf dem Dachboden führt. Ich gehe da sowieso nicht gern vorbei. Ja – und gestern abend habe ich dort einen Schrei gehört – da bin ich ganz sicher.«

»Vielleicht hat er seine übergeschnappte Frau dort oben eingesperrt?«

»Ja, der Gedanke kam mir auch.«

»Oder vielleicht ist er ein Falschmünzer?«

»Vielleicht war er auch ein Pirat, wie der Mann am Anfang der Schatzinsel, und er versteckt sich immer noch vor seinen früheren Schiffskameraden.«

»Wie spannend!« rief Polly. »Ich wußte gar nicht, daß es in eurem Haus so interessant ist!«

»Du findest das ja vielleicht interessant, aber wenn du dort schlafen müßtest, dann wäre es dir bestimmt gar nicht so recht. Was hältst du davon: Du liegst wach im Bett und hörst zu, wie Onkel Andrew über den Flur geschlichen kommt, auf dein Zimmer zu? Dabei hat er so gräßliche Augen!«

So lernten Polly und Digory einander kennen; und weil die Sommerferien gerade begannen und weil keiner von beiden dieses Jahr ans Meer fuhr, trafen sie einander fast täglich.

Ihr Abenteuer kam vor allem deshalb zustande, weil der Sommer so verregnet und so kalt war wie schon ewig nicht mehr. Sie mußten sich also im Haus beschäftigen, und so kam es, daß sie sich entschlossen, das Haus zu erforschen. Es ist erstaunlich, was man in einem alten Haus, mit einem Kerzenstummel in der Hand, alles auskundschaften kann. Polly hatte schon vor langer Zeit eine Entdeckung gemacht. Wenn man in der Rumpelkammer unterm Dach eine kleine Tür öffnete, dann kam man zu einer Zisterne mit einem dunklen Gang dahinter. Dort konnte man hineinklettern, wenn man gut achtgab. Wie ein langer Tunnel war dieser Gang, mit einer Ziegelmauer auf der einen und dem schrägen Dach auf der anderen Seite. An manchen Stellen fiel zwischen den Dachschindeln ein bißchen Licht herein. Fußboden gab es allerdings keinen in diesem Gang. Man mußte große Schritte von einem Balken zum nächsten machen, denn dazwischen lag nur der rohe Verputz, durch den man sofort ins darunterliegende Zimmer gebrochen wäre. Direkt neben der Zisterne hatte sich Polly eine Schmugglerhöhle eingerichtet. Sie hatte ein paar Kistenbretter heraufgeschafft, die Sitze von kaputten Küchenstühlen und ähnlichen Sachen.

Das alles hatte sie über die Balken gelegt, sozusagen als Fußboden. Hier bewahrte sie eine Geldkassette auf mit allem möglichen Krimskrams. Auch die Geschichte, an der sie gerade schrieb, bewahrte sie dort auf und gelegentlich ein paar Äpfel. Dort oben hatte sie sich oft in aller Ruhe eine Flasche Ingwerbier zu Gemüte geführt, und jetzt, wo die leeren Flaschen herumstanden, sah die Schmuggler­höhle auch viel echter aus.

Digory gefiel die Höhle ziemlich gut – Pollys Geschichte bekam er allerdings nicht zu sehen –, aber noch lieber wollte er weiter herumstöbern.

»Was meinst du wohl, wie weit der Gang geht? Hört er dort auf, wo das nächste Haus anfängt?« erkundigte er sich.

»Nein. Die Mauern reichen nicht bis ganz hinauf. Der Gang geht also weiter. Aber wie weit, weiß ich auch nicht.«

»Dann könnten wir ja vielleicht durch alle Häuser laufen, was meinst du?«

»Ich glaube schon«, sagte Polly. »Und – ach, du liebe Güte…«

»Was?«

»Wir können ja dann auch in alle anderen Häuser hinein!«

»Damit man uns für Einbrecher hält? Nein danke!«

»Reg dich bloß nicht so auf! Ich dachte nur an das Haus neben euch.«

»Wieso?«

»Es steht leer. Daddy sagt, es steht schon leer, seit wir hier eingezogen sind.«

»Dann müssen wir es uns wohl mal ansehen.« Digory ließ sich nicht anmerken, wie aufgeregt er war. Natürlich überlegte er, genau wie ihr vielleicht, warum das Haus wohl schon seit Ewigkeiten leerstand. Polly ging es ganz ähnlich. Keiner von beiden sprach aus, was er dachte, nämlich daß es dort ja vielleicht Gespenster gab. Jetzt, wo der Vorschlag schon einmal gemacht worden war, wollte keiner mehr kneifen.