»Brunhild kommt!« flüsterte er. Dann wandte er sich zu Inmee um. Die Frau rührte sich nicht. Sie würde wohl kaum mit der jungen Kriegerin kämpfen können.
Der Kater stolzierte um das Bett, ohne Inmee zu berühren. Sorgsam setzte er jeden seiner Schritte vorsichtig um die Frau herum und schnupperte hier und da an ihr. Wieder mauzte er. Vielleicht macht das Tier sich Sorgen, überlegte Raban und strich ihm beruhigend über das Fell.
Der Rubin fiel ihm ein. Kurz entschlossen trat er zu der Priesterin, setzte sich auf das Bett und glitt vorsichtig mit seinen Händen unter die Decke. Er befühlte ihren Leib, und endlich in einer kleinen Tasche ihres Gewandes wurde er fündig. Lächelnd zog er an einem ledernen Band den Rubin unter der Decke hervor.
»Das also ist der Stein der Macht«, sagte er und ließ den dünnen Riemen mit dem Rubin genüßlich ein paar Mal vor seinen Augen pendeln. Er erinnerte sich daran, wie Inmee den Stein auf der Lichtung mit ihrem Blut getränkt hatte.
Der Kater kam näher, seine Ohren bewegten sich unruhig, und er ließ den schwingenden Lederriemen nicht aus den Augen.
»Er sieht nicht wie etwas Besonderes aus, findest du nicht auch, Kater?« fragte Raban und ließ den Rubin weiter schaukeln.
Vom Burghof herauf erklang ein schauriges Knurren.
Die Wölfin scheint die Reiter entdeckt zu haben, dachte Raban und blickte zum Fenster hinüber. Im gleichen Augenblick schnappte der Kater mit der Schnauze nach dem Lederband, riß es ihm aus der Hand und sprang mit einem gewaltigen Satz vom Bett. Noch ehe Raban begriff, was geschah, war das Tier samt dem Edelstein aus dem Raum verschwunden.
Die Wölfin stand in der fahlen Abenddämmerung am anderen Ende der schmalen Steinbrücke, die über den Lavaring führte. Das Tier hatte die Lefzen hochgezogen. Die weißen, langen Reißzähne hoben sich drohend von dem dunklen Fell ab.
Brunhild atmete tief ein. Sie hatte Mühe, das tänzelnde Pferd unter sich zu beruhigen.
»Ihr seid also doch gekommen«, sagte eine verächtliche Stimme in ihrem Kopf. »Ich habe schon geglaubt, Euch habe der Mut verlassen, weil ich solange auf Euch warten mußte, Hüterin des Feuers!«
Die Wölfin kam zwei Schritte näher. Das Knurren wurde lauter.
»Laßt Euch von diesem Dämon nicht einschüchtern«, sagte Norwin neben ihr und zog sein Schwert. Er hatte es am Sattel des Pferdes gefunden, das der Craiach ihm geschenkt hatte.
»Wir werden diese Wölfin besiegen. Wir dürfen ihr nur keine Zeit für ihren finsteren Zauber lassen!«
»Wartet, Norwin! Nicht mit dem Schwert!«
Ärgerlich legte der Krieger die Stirn in Falten. »Ich kann keines Eurer Wunderlieder, vergeßt das nicht.« Norwin nahm entschlossen die Zügel kürzer, hob das Schwert in die Höhe und gab seinem Pferd die Sporen.
»Für die wahre Hüterin des Feuers!« rief er laut, und ohne weiter auf Brunhild zu achten, galoppierte er mit einem wilden Schrei über die schmale Brücke auf die Wölfin zu.
»Nein! Norwin!« Fluchend jagte Brunhild dem Krieger nach.
Mit der Linken griff sie nach der Schnalle ihres Gürtels, bekam sie zu fassen und öffnete das Geschmeide. Sie behielt das eine Ende des Gürtels fest in der Hand und schwang die silberne Kette wie eine Peitsche in der Luft.
Brunhild sah, wie Norwin das andere Ufer erreichte und mit dem Schwert eine wilde Attacke schlug. Doch sein Pferd bäumte sich wiehernd auf, der Krieger verlor den Halt und stürzte, nahe dem Abgrund, auf den Boden. Die Wölfin sprang auf den Mann zu, als Brunhild das Ende der Brücke erreichte.
Sie erkannte, wie das finstere Wesen sich über Norwins Hals beugte. Laut schreiend ließ sie das Geschmeide einmal über ihrem Kopf kreisen, so daß ein heller, singender Ton erklang. Als sie es dem Dämon auf den Rücken schlagen wollte, verfehlte sie jedoch das Tier. Statt dessen sprang ihr die Wölfin entgegen, so daß ihr eigenes Pferd scheute. Fest klemmte sie die Schenkel an den Leib des Wallachs, da sah sie, wie die Wölfin mit einem raschen Biß das Tier an der Kehle traf. Wiehernd stieg das Pferd auf die Hinterbeine.
Brunhild nutzte die Chance, um abzuspringen, bevor der Wallach stürzte. Sie schlug mit dem Gürtel erneut nach der Wölfin, doch vergeblich. Der Dämon war schneller. Aus den Augenwinkeln erkannte Brunhild, wie Norwin mit dem Schwert in der Hand aufstand. Sie holte wieder aus, da hörte sie von der Burg her eine Flötenmelodie. Es war das Lied, das Raban am Wasserfall gespielt hatte.
Irritiert hielt sie inne und zögerte einen Lidschlag lang. Das finstere, schwere Tier sprang sie mit einem gewaltigen Satz an, und Brunhild fühlte, wie sie den Halt verlor. Noch während sie stürzte, spürte sie, daß der Gürtel ihr entrissen wurde. Irgendwo weit hinter ihr, mitten auf der kleinen Brücke, fiel das Geschmeide klirrend zu Boden. Sie sah, wie die Wölfin drohend auf sie zukam, und hörte Norwins Schrei.
12. KAPITEL
Antana erreichte das Ende der Wasserhöhle, die geradewegs zum Lavaring führte. Durch einen glücklichen Zufall hatte sie in einem der Dörfer ein Pferd auftreiben können. Es war zwar nicht das schnellste, doch das ruhige Gemüt des Tieres hatte wenig reiterliches Talent von ihr gefordert, und so war sie recht zufrieden. Pyros war vor einiger Zeit wieder verschwunden. Antana wußte, daß sie ihn wahrscheinlich in der Flammenburg wiedersehen würde. Vermutlich war er ihr in Sorge um seinen Sohn vorausgeeilt.
Die Heilerin sah das rötlich schimmernde Licht des Lavaringes schon vor sich, das sich deutlich von der abendlichen Dämmerung abhob. Es war lange her, daß sie auf diesem Weg zur Flammenburg geritten war. Plötzlich schreckte ein durchdringender Schrei sie aus ihren Gedanken auf. Ohne zu zögern, gab sie ihrem Pferd die Sporen und ritt aus der Wasserhöhle hinaus auf die kleine Brücke zu, die über den Lavastrom führte. Dort zügelte sie das Tier. Am anderen Ende der Brücke erkannte sie den blonden Krieger, der sich mit gezogenem Schwert auf die Wölfin stürzen wollte, die über einer am Boden liegenden Frau kauerte. Die Heilerin warf einen raschen Blick auf die Burg und suchte mit den Augen nach der schwarzen Priesterin, doch sie war nirgends zu sehen.
Norwin verfehlte die Wölfin, da die Bestie sich herumgeworfen hatte und ihn angriff. Antana trieb ihr Pferd an. Vielleicht konnte sie die Wölfin ablenken, bis Norwin wieder auf den Füßen stand. Sie jagte über die Brücke. Als sie näher kam, erkannte sie Brunhild. Wieso war sie hier und stand nicht versteinert in dem Garten der Gwenyar?
Norwin stürzte auf die Knie, aber er hielt dem Dämon noch verzweifelt die Klinge entgegen. Die Heilerin sah, wie Brunhild auf die Füße sprang. Ihre Blicke begegneten sich einen Lidschlag lang.
»Antana! Schnell den Gürtel. Bring ihn mir!« Die junge Frau zeigte auf einen kostbaren Schmuck, der aus Silberringen geflochten war und unweit von ihr auf dem Boden lag. Die Heilerin ließ die Zügel los, und ohne lange zu zögern, beugte sie sich von ihrem Pferd herab und bekam den Schmuck zu fassen.
Zähnefletschend fuhr die Bestie herum. Die Wölfin sprang wieder auf Brunhild zu und schnappte nach ihr. Nur mit Mühe konnte die Kriegerin ausweichen. Antana fühlte, wie die silbernen Ringe in ihren Händen unangenehm zu brennen begannen. Sie dachte an Mirkas Erzählung von dem verzauberten Halsband für die Wölfin und sprang vom Pferd. Der Dämon hob den schweren Kopf und blickte ihr aus finsteren, gelben Augen entgegen.
»Du wirst es nicht wagen«, hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf. Doch sie warf sich mit zusammengebissenen Zähnen der Bestie an die Kehle und verschränkte ihre Arme in dem zotteligen Nacken.
Ein grauenvolles Zischen erfüllte die Luft, dann war es still. Antana spürte einen dumpfen, brennenden Schmerz in ihren Armen. Irgendwo erklang der liebliche Ton einer Flöte.