„Das ist beleidigend, Herr Graf! Das wagt Ihr nur, weil mein Gemahl nicht anwesend ist!“
„Antwortet auf meine Frage, Herr Siegram!“, sagte Hrotbert, ohne den Einwurf zu beachten.
„Ich hatte wahrhaftig diesen Eindruck“, sagte der Sänger und blickte dabei auf Odo, der ihm mit einer ganz leichten Kopfbewegung zustimmte. „Die edle Frau schien in meiner Ankunft eine Art Wiederkehr ihres ersten Gemahls zu sehen, der nicht mehr am Leben ist und den sie offenbar sehr geliebt hatte. Da ich mich ganz außerstande sah, so hohen Erwartungen zu genügen, hielt ich es für besser, die Einladung auszuschlagen. Überraschend sprang dann aber die andere Dame herbei, die junge Frau Chrodelind.“
„Sprang?“, rief Hrotbert dazwischen. „Wir haben gerade gehört, dass sie leidend war und sich kaum auf den Beinen halten konnte.“
„Sie sprang, sie hüpfte, sie tanzte!“, sagte Siegram. „Sie drehte sich wie ein Wirbelwind. Und leidend? Sie war rosig und frisch. Und wie sie lachte! Sie begann gleich zu plaudern, als wären wir alte Bekannte. Sie scherzte über die Schüchternheit meines jungen Begleiters. Ich gestehe, ich fühlte mich von ihrer Anmut berührt, vom Zauber ihrer zarten Erscheinung, von dieser mitreißenden Lebhaftigkeit, die zu einer verheirateten Frau nicht passte, sondern eher mädchenhaft, ja knabenhaft wirkte …“
Abermals sah er Odo an, ein wenig erschrocken, wie mir schien. Ich sah gerade noch, dass Odo verstohlen den Zeigefinger hob und ihm drohte.
Der Sänger bremste seinen poetischen Schwung und fuhr fort: „Ich will damit nur erklären, meine Herren, warum es Frau Chrodelind gelang, mich doch noch zum Bleiben zu überreden. Die junge Edeldame schien mir auch klug zu sein, ihre Scherze hatten Bedeutung, man konnte darüber nachdenken. Ich bin ein später Hellene, ich liebe das heitere Gespräch im Kreise geistvoller Menschen. Wie rar sind solche Gelegenheiten bei uns im Frankenland! Doch ich schweife wohl ab …“
In der Tat wussten weder der Graf noch seine Zuhörerschaft die Bedürfnisse eines späten Hellenen zu würdigen. Auch Odo seufzte und brummte: „Wenn er so weitermacht, verdirbt er noch alles!“
Doch die Besorgnis war unnötig. Man konnte den Mienen der meisten Zuschauer eine gewisse Genugtuung darüber ansehen, dass gerade die ungeliebte Partei der Lüge überführt worden war.
„Was geschah nun weiter, Herr Siegram?“, fragte der Graf.
„Ich ging hinunter zum Wasser, um hinter den Weiden dort ein Bad zu nehmen. Es war herrlich erfrischend! Als ich zurück ans Ufer stieg, bemerkte ich, dass ich das duftende Öl vergessen hatte, mit dem ich mich nach dem Bade zu salben pflege. Ich schickte den Jungen nach unserm Gepäck, das schon ins Saalhaus gebracht war. Als er wiederkam, war er ganz aufgeregt! Zwischen den beiden edlen Frauen, berichtete er, sei ein Streit ausgebrochen. Frau Chrodelind habe Frau Begga verspottet und sie gefragt – ich gebe nur wieder, was der Junge gehört hat –, ob sie die Absicht habe, mich zu verführen und sich deshalb mit gestohlenen Juwelen schmücke. Der Junge konnte die beiden nicht sehen. Er hörte dann nur noch ein klatschendes Geräusch und gleich darauf ein gellendes Hohngelächter sowie den Ruf: ‚Diebin! Mörderin!‘ Er konnte aber nicht genau sagen, wer diesen schrillen Ruf ausgestoßen hatte. Es war ihm unheimlich und er lief fort. Atemlos kam er ans Ufer zurück und hatte sogar das Salböl vergessen.“
Das war ein Stich ins Wespennest.
Frau Begga rief zornbebend: „Eine Lüge ist das! Kein Wort ist wahr!“
Raue Stimmen grollten von der Wiese zurück: „Wir wissen schon, wer die Diebin ist!“ – „Von einer Mörderin haben wir auch schon gehört!“
Es war ein Tumult und der Graf machte keine Anstalten einzugreifen. Seine Miene drückte sogar eine grimmige Befriedigung aus. Odo kaute an einem Grashalm und tat so, als hörte er nur Kühe muhen und Hunde bellen. Arnfried und Hauk bemühten sich, Frau Begga zurückzuhalten, die sich auf einen der Rufer stürzen wollte.
Das ging mir zu weit, ich sah die Würde des Gerichts in Gefahr. Also sprang ich auf und verschaffte mir schließlich Ruhe.
Dann sagte ich streng zu Siegram: „Bevor Ihr weitersprecht, gebt uns Auskunft! Ist der Junge, der Euch begleitet, ein Freier oder Unfreier?“
„Ein Unfreier“, antwortete er.
„Dann ist er nicht zeugnisberechtigt und was er gesehen und gehört hat, das hat niemand gesehen und gehört. Ich muss Euch ermahnen, hier nur noch wiederzugeben, was Ihr selbst mit Euren Sinnen wahrgenommen habt. Was geschah nun, als Ihr vom Bade zurückkehrtet?“
„Frau Begga empfing mich allein. Sie war in der Tat verwandelt, ich erkannte sie kaum wieder. Sie war geschmückt wie zu ihrer eigenen Hochzeit und bemalt wie ein Normannenboot, so wie Ihr es ja dann selbst gesehen habt. Ich musste annehmen, dass dies meinetwegen geschehen war. Was Frau Chrodelind betrifft, so war sie verschwunden, und erst jetzt sagte mir Frau Begga, dass sie unpässlich sei. Das wunderte mich natürlich, war sie doch eben noch munter wie eine Forelle gewesen. Ich verstehe ein wenig von der Heilkunst, auf Reisen widerfährt einem dies und jenes und man muss sich zu helfen wissen. So bot ich meinen Rat an und bat, mich zu der Kranken zu führen. Doch davon wollte Frau Begga nichts wissen. Sie habe, sagte sie, für diesen Fall ein Hausmittel und ich solle mich nicht weiter sorgen und mir das Mahl schmecken lassen. Ich bedankte mich für die Gastfreundschaft und da meinte sie, wenn ich ihr dafür eine Freude machen wolle, möge ich etwas vortragen. Es sei ihr innigster Wunsch, einmal wieder den Gesang eines Skops zu hören.“
„Aber Ihr wolltet nicht singen“, sagte der Graf, „weil Ihr den König und sein Gefolge vermisstet.“
Her Siegram wiederholte freimütig, was er schon mir über die Kunst des Gesangs und ihren höheren Zweck erklärt hatte. Er habe die Bitte auch als lästig empfunden, den Preis für eine Hühnerkeule und eine harte Bank in der Nacht als zu hoch und deshalb nach Argumenten gesucht, um abzulehnen. Doch sei er von der edlen Frau so heftig bedrängt worden, dass er schließlich klein beigegeben habe.
„Ich gestehe, dass mir die Aufmerksamkeit Frau Beggas immer unangenehmer wurde“, sagte Siegram, „und ich wäre vielleicht noch fortgeritten, wenn es nicht schon zu spät gewesen wäre. Ich sagte also, ich würde zwar singen, aber nur für die junge Frau Chrodelind, in der Hoffnung, dass mein Gesang die magische Kraft entfalten würde, sie wieder gesund zu machen. Frau Begga nahm das sehr übel auf, ihre Miene wurde frostig und starr, und sie fragte noch einmal, ob dies die Bedingung sei. Ich bestätigte es. Da sagte sie, ihre Tochter sei so krank, dass sie nicht im Saal erscheinen könne. Doch hinter der angelehnten Tür werde sie lauschen. Ich sagte, dies gefiele mir nicht. Ich wollte der edlen jungen Frau ein paar besondere Verse widmen, die aber der Anregung durch das lebendige Bild bedurften. Da sah Frau Begga mich böse an und sagte: „Dann sei es so, aber Ihr werdet sie nur von weitem sehen!“ Denn ihre Tochter habe nicht die Kraft, sich von ihrem Ruhebett zu erheben. Frau Begga verschwand dann für einige Zeit in der Kammer, während sich im Saal ein paar Männer einfanden, die sie geladen hatte. Inzwischen war es dunkel geworden und Fackeln wurden entzündet. Dann kam die Hausherrin wieder heraus und sagte, ihre Tochter sei nun bereit, mich zu hören. Ich ergriff meine Harfe und sie öffnete die Tür zu der Kammer.“
Der Sänger schwieg und suchte nach Worten. Er schien in Verlegenheit darüber zu sein, wie er das, was nun folgte, beschreiben sollte. Odo, der ihn nicht aus den Augen ließ, kam ihm zu Hilfe.
„Ihr saht nun Frau Chrodelind wieder. Sprach sie etwas oder gab sie Euch ein Zeichen?“
„Nein“, sagte Siegram, „kein Wort, kein Zeichen. Nichts! Sie sprach nichts und sie tat auch nichts. Ich gestehe, dass ich betroffen war, denn sie war ja noch vor kurzem so lebhaft und heiter gewesen. Sie saß nur da, in halb liegender Stellung. Falls sie doch etwas tat oder sich bewegte, so bemerkte ich es jedenfalls nicht. Es gab ja auch nur sehr schwaches Licht. Man sah eigentlich nur ihre Augen, das rote Haar und das goldene Schmuckkreuz. Es ist wahr, ich versuchte während des Vortrags, etwas näher an sie heranzukommen. Frau Begga ließ es nicht zu, sie trat bei jedem dieser Versuche dazwischen. Das war alles sehr seltsam und im Stillen nahm ich mir vor, später doch an das Lager zu treten, weil ich mehr über diese eigenartige, plötzlich ausgebrochene Krankheit erfahren wollte. Aber dann kamen die Herren Königsboten, es wurde spät und ich unterließ es.“