– Vielleicht hat er die Berichte gelesen, antwortete sie. – Aber er konnte es nicht glauben.
Saluus hatte sich so umfassend wie möglich über die Dweller informiert. Erstaunlich, wie wenig er gewusst hatte. Er war ein intelligenter, gebildeter Mensch, der in den besten Kreisen verkehrte, dennoch hatte er sich fast geschämt, als er merkte, wie wenig er über die Geschöpfe wusste, die sich mit seiner Spezies ein Sonnensystem teilten. Man hatte beinahe den Eindruck, die Menschheit von Ulubis hätte erkannt, wie wenig den Dwellern an ihr lag, und daraufhin beschlossen, es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Und das in einem Seher-System, das mehr Interspezies-Kontakte pflegte als alle anderen – ein halbes Dutzend von ähnlich begünstigten Systemen, die über die ganze Galaxis verstreut waren, vielleicht ausgenommen. Doch selbst hier wussten die Leute nicht viel über die Dweller und wollten auch gar nicht mehr erfahren. Es gab zwar eine ansehnliche Minderheit, die sich anders verhielt, aber die galt schon eher als peinlich – bornierte Alien-Freunde. Im Licht der aktuellen Bedrohung, in der sie die Hilfe der Dweller verzweifelt nötig gehabt hätten, erschien ihm diese Haltung jetzt erschreckend kurzsichtig.
Außerdem hatte sich bei der Lektüre über die Dweller-Gesellschaft ein altes Klischee wieder einmal bewahrheitet: je mehr man lernte, desto mehr erkannte man, wie wenig man wusste. (Der Gasriese selbst könnte als Symbol dafür dienen, hatte Liss vorgeschlagen, als er zum ersten Mal versucht hatte, diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen: unendliche Tiefen.)
»Natürlich entscheiden bei uns die Militärs, wann wir Krieg führen«, sagte Gruonoche, der sich wieder beruhigt hatte. »Sie sind doch die Experten.«
»Wenn ich mich vielleicht einmischen dürfte«, meldete sich der Oberste Seher Meretiy aus seinem Gasschiff. »Das Problem liegt, denke ich, darin, dass wir die militärischen Kapazitäten unserer beiden Gesellschaften unterschiedlich sehen. Für uns – das heißt, für die Menschen, und vielleicht könnte man hier sogar für die ganze Merkatoria sprechen – ist das Militär ein Werkzeug der Politiker, die natürlich im Namen aller regieren. Für unsere Dweller-Freunde ist das Militär dagegen ein altehrwürdiger Berufsstand, zu dem man sich berufen fühlt oder auch nicht, eine Institution, die allein wegen ihres Alters Respekt verdient. Außerdem hat sie, aber das ist fast zweitrangig, die Pflicht, die Dweller-Planeten vor Gefahren von außen zu schützen. Damit ist das Militär für die Dweller so etwas wie eine ›Feuerwehr‹, mehr noch, eine freiwillige Feuerwehr. Es braucht nicht die Genehmigung der Politik, um tätig zu werden, und es braucht auch nicht von ihr beaufsichtigt zu werden, verstehen Sie? Seine einzige Aufgabe ist, so schnell wie möglich auf Katastrophen zu reagieren. Das ist alles.«
– Verfickt nochmal, das hatte doch tatsächlich eine gewisse Logik, sendete Liss.
Das erste Wort, mit ihrer Stimme gesprochen, während sie dicht hinter ihm war, löste bei Sal bereits eine Erektion aus. wie hoch musste die Schwerkraft eigentlich sein, um einen Steifen unmöglich zu machen?
»Eine Feuerwehr hat aber doch … einen Anführer, einen Hauptmann?«, fragte Sorofieve in kläglichem Ton und schaute von Meretiy zu Saluus. »Könnten wir nicht wenigstens mit dem reden?«
Yawiyuen hüpfte wieder dieses kleine Achselzucken. »Ganz bestimmt nicht!«
»Aber es muss sein!« Sorofieve heulte fast.
»Wozu?«
»Man braucht die Kiste nur anzusehen, um zu wissen, dass sie schnell ist«, sagte General Thovin von den Sicherheitskräften. Er stand auf einer der Aussichtsgalerien des angeforderten Liners und betrachtete die schnittige schwarze Jacht. Ringsum kreisten die Sterne. »Hat sie einen Namen?«
»Schiff 8770«, antwortete Saluus. »Einen richtigen Namen wird man ihm beim Militär erst zum Zeitpunkt der Übergabe verpassen. Allerdings ist es ein Prototyp, wahrscheinlich nicht vollständig einsatzfähig.«
»Die Lage ist verzweifelt«, sagte Thovin achselzuckend und stocherte in seinen Zähnen herum. »Irgendeine Verwendung wird man schon dafür finden. Und wenn es nur als Rakete wäre.«
Das hättest du dir wohl so gedacht, dachte Sal. »Ganz so weit sind wir noch nicht«, sagte er laut. Sie waren allein. Thovin hatte den Spaziergang durch das ehemalige Zivilschiff angeregt, das weitgehend leer war.
»Sie finden wohl, dass wir hier unsere Zeit verschwenden, Kehar?« Thovin drehte sich zur Seite und legte seinen fast halslosen Kopf schräg, um Saluus ansehen zu können.
»Wenn wir Gespräche mit den Dwellern führen?«
»Ja. Wenn wir mit diesen Scheiß-Dwellern Gespräche führen.«
»Wahrscheinlich. Andererseits verschwendet dann auch unser Freund Fassin Taak – falls er noch am Leben ist – seine Zeit mit der Suche nach dieser Transformation, die vermutlich nicht existiert.«
»Er war tatsächlich Ihr Freund, nicht wahr?«, fragte der General und kniff die Augen zusammen. »Sind Sie nicht zusammen zur Schule gegangen?«
»Richtig, wir gingen zusammen zur Schule und aufs College. Und wir haben uns über viele Jahre nicht aus den Augen verloren. Seinen letzten Kurzurlaub vor dem Trip nach Nasq hat er übrigens in meinem Haus auf Murla verbracht.«
Thovin wechselte abermals das Thema. »Bei mir ging es direkt auf die Akademie der Streitkräfte«, sagte er, während er aufmerksam das pfeilförmige Schiff betrachtete, das vor ihnen im All schwebte. »Das ist wohl Ihr Fluchtfahrzeug, Kehar?«, fragte er mit Unschuldsmiene.
Du bist doch nicht ganz so dumm, wie du aussiehst, dachte Sal. »Und wohin?«, sagte er lächelnd.
»Raus aus dem ganzen Schlamassel, was sonst?«, antwortete Thovin. »Untertauchen, solange die Hungerleider-Besatzung dauert. Und zurückkehren, wenn alles vorbei ist.«
»Auf diese Idee bin ich noch gar nicht gekommen«, sagte Sal. »Wollen Sie mir für die Kiste etwa ein Angebot machen?«
»Ich wüsste nicht einmal, wie man sie fliegt. Sie natürlich schon, richtig?«
Es war kein Geheimnis, dass Saluus die Jacht schon selbst geflogen hatte. Er war ein erfahrener Pilot, und mit etwas Übung und ein wenig Computerunterstützung kam jeder damit zurecht.
»Ich bin nur eingesprungen, damit einer von unseren tapferen Jungs für die Front frei wird«, erklärte er Thovin, ohne eine Miene zu verziehen.
»Wäre es nicht komisch, wenn wir gegen die Invasoren gewännen oder die Generalflotte geschlagen würde?«
»Zum Brüllen.«
»Glauben Sie, wir kriegen aus diesen Schwebern irgendwas raus?«
»Ich denke, freiwillig werden unsere guten Dweller nicht mehr herausrücken, aber es lohnt sich doch, die Augen weiter offen zu halten.«
»Soso? Meinen Sie?«
»Vielleicht fällt es der Besatzung eines dieser Hyperschiffe plötzlich ein, Sepekte zu verteidigen, nur so zum Spaß. Oder einer von den Kundschaftern unten in Nasq findet die Transformation, oder Fassin Taak taucht wieder auf und bringt sie mit. Dann können wir uns alle durch ein Wurmloch absetzen oder die Schiffe der Generalflotte herholen, wo immer sie auch sind. wer weiß?«
»Sie glauben also nicht, dass wir nur unsere Zeit verschwenden?«
»Doch, wahrscheinlich schon. Aber was sollten wir denn sonst tun? Sandsäcke füllen?«
Thovin hätte fast gelächelt. »Wenn die Dweller natürlich auf einmal mit einem ihrer tollen Superwaffenschiffe auftauchten, bräuchten wir am Ende keine weiteren Kriegsschiffe mehr zu bauen, wie?«
»Kehar Heavy Industries würde jederzeit gern wieder auf Kreuzfahrtschiffe umstellen.« Sal blickte sich auf der Aussichtsgalerie um. »Ich sehe schon von hier aus so einiges, was man verbessern könnte.«
Thovin wies mit einem Nicken zu dem schlanken, dunklen Schiff hinüber, das draußen in seinem Schlitten lag. »Wenn der Hierchon die Kiste als Privatjacht haben wollte, würden Sie sie doch sicherlich sofort abgeben, nicht wahr?«