»Drück ihn doch mal.«
»Mann«, sagte Y’sul,»wir haben wirklich ein Scheißglück. was sollten wir ohne euch Typen bloß anfangen?« Und er drückte auf Play.
Taince Yarabokin wurde durch ein schwaches Alarmsignal aus leichtem Schlaf geweckt und ermahnt, nicht einmal im Traum an eine Einleitung der Sequenz zum Verlassen der Kapsel zu denken. Sie schaltete auf das vordere Außendisplay und schaute hinaus. Ulubis stand scharf und blau vor ihr, eine winzige Sonne inmitten einer Hand voll Sternensand. Das Blau wurde durch die kolossale Geschwindigkeit des Schiffs und der ganzen Flotte erzeugt, die auf die Lichtwellen einhämmerte und die Wellenlängen verkürzte. taince schaltete von Langstreckensensoren auf Schiffsstatus um. Alles drohte von gewaltigen Kräften zerrissen zu werden. Die letzte Bremsphase hatte begonnen. Ein Großteil der Flotte verlor für den Anflug auf und die Ankunft im noch über einen Monat entfernten Ulubis-System rasant an Geschwindigkeit und baute dabei mehr als hundert Gravitationseinheiten auf.
Eine Gruppe – ein volles Geschwader von sechzig Schiffen – bremste jedoch nicht ganz so drastisch ab. Ein weiteres Dutzend wurde gar nicht langsamer und wollte die ganze Strecke bis zum System und auch den größten Teil des Weges durch das Innere bei voller Geschwindigkeit fliegen. Die Besatzungen und die Systeme dieser Schiffe waren in hunderten von Simulationen für einen nicht mehr als knapp vier Stunden dauernden Durchflug bei ultrahoher Geschwindigkeit durch das Planetensystem von Ulubis geschult worden. In weniger als zwanzig Tagen sollten bei dieser Passage möglichst viele Daten zu den aktuellen Bedingungen im System gesammelt und ausgewertet werden. Die nächste Aufgabe war, die Ergebnisse den nachkommenden Schiffen zu signalisieren und zugleich in den Datenbanken aus einem breiten Spektrum von gespeicherten Möglichkeiten ein Paket von Angriffsprofilen auszuwählen. Danach würde gegen alles, was man als Feind identifiziert hatte, aus allen Rohren gefeuert. hoffentlich machte man reiche Beute. Das Vorauskommando würde fast wie aus heiterem Himmel nur einen Monat nach dem Überfall durch die Hungerleider-Flotte über Ulubis hereinbrechen. Mit etwas Glück wäre die Situation noch nicht stabil, und die Streitkräfte des E-5-Separats hätten noch keine Zeit gehabt, ihre Verteidigung angemessen zu organisieren.
Bevor die Schiffe das System vollends durchflogen hätten, würden sie ihrerseits eine noch drastischere Bremsphase einleiten, einen Lichtmonat jenseits davon zum Stillstand kommen und mehrere Wochen nach Eintreffen der Hauptflotte nach Ulubis zurückkehren: bestenfalls, um bei den Aufräumungsarbeiten zu helfen, schlimmstenfalls, um einen vernichtenden Gegenangriff zu führen.
Der Rest dieses Geschwaders sollte das System in kleinen Einheiten unregelmäßig gestaffelt und gut verteilt passieren. Die Taktik würde zum Teil durch die Erkenntnisse der Hochgeschwindigkeitsschiffe bestimmt. wenn alles klappte und der Schlachtplan sich bewährte, würden Wellen von Kriegsschiffen, von denen sich jede länger innerhalb des Systems aufhalten konnte als ihr unmittelbarer Vorgänger, den Feind mit einer Serie von kleineren Schlägen zermürben, seine Zuversicht erschüttern, ihn aus dem Gleichgewicht bringen, verwirren und erste Opfer fordern. Danach würde der Hauptteil der Flotte daherfahren wie eine geballte Faust und einen letzten, massiven K. o.-Schlag anbringen.
Das Licht ihrer Triebwerke würde natürlich vor ihnen eintreffen. Eine vollkommene Überraschung war nicht möglich.
Die Verteidiger von Ulubis hatten sogar noch früher von der Ankunft der Hungerleider erfahren, aber sie hatten mit der Warnung nicht allzu viel anfangen können. Die Flotte des E-5-Separats hatte abgebremst, und während sie noch einige Tage entfernt mitten in der Oort’schen Wolke schwebte, hatten alle Schiffe fast gleichzeitig ihren Antrieb abgeschaltet. als die Leitschiffe die Grenze zum Planetensystem überschritten, waren sie noch langsamer geworden.
In den Wochen, nachdem die Triebwerkssignaturen das Ulubis-Sysstem erreicht hatten und die Triebwerke abgeschaltet worden waren, als folglich die Invasion auf ihrem Höhepunkt war, hatte man viele Waffenblitze gesichtet. die meisten im Umkreis der Planeten Sepekte und Nasqueron.
»Mein Name ist Leisicrofe von Hepieu, Nasqueron, Äquatorzone. Dies ist mein Testament. wer immer du bist, ich gehe davon aus, dass du mir wegen der Daten gefolgt bist, die ich im Auftrag meines Dweller-Landsmannes, des Forschers Valseir von Schenehen bei mir trug. wenn dem nicht so ist und dir diese Aufzeichnung sozusagen der Zufall in die Hände gespielt hat, ist sie vielleicht nur von geringem Interesse für dich. Falls du es jedoch auf die Daten abgesehen hattest, dann muss ich dir gleich sagen, dass du enttäuscht sein wirst.«
Fassin spürte, wie in seiner Seele etwas zerriss.
»Oh-oh«, sage Y’sul.
»Das mag dir wie ein Unglück erscheinen, und vielleicht bist du jetzt wütend. Aber wahrscheinlich habe ich dir einen großen Gefallen erwiesen, denn ich bin der aufrichtigen und festen Überzeugung, dass ich die Daten besser nicht an mich genommen hätte, als man mich darum bat. Mehr noch, man hätte niemanden drängen dürfen, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Natürlich sollte ich nicht wissen, worum es sich handelte, und es war auch nicht direkt Valseirs Schuld, dass ich davon erfuhr.
Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht so zuverlässig war, wie mein Freund Valseir dachte. Er gab mir die Daten in einem verschlossenen Behälter und bat mich, diesen nicht zu öffnen. Ich versprach es ihm. Er verlangte nicht einmal mein Ehrenwort, sicher glaubte er, wenn er an einen Freund und Forscherkollegen eine solche Bitte richte, sei ein einfaches Ja Garantie genug. Aber ich bin anders als Valseir. Ich bin von Natur aus neugierig, nicht nur dann, wenn ein bestimmtes Thema mich rein vom Intellekt her fasziniert. Viele Jahre widerstand ich auf meinen Reisen der Versuchung, den Behälter zu öffnen, doch irgendwann erlag ich ihr. Ich öffnete den Kasten, ich las, was sich darin befand, und ich erkannte, was es bedeutete.
Selbst dann hätte ich noch aufhören, den Behälter schließen und wieder verwahren können, und hätte ich das getan, ich wäre noch am Leben. Stattdessen las ich weiter – und deshalb musste ich sterben. Ich kann zu meinen Gunsten nur anführen, dass ich zu jener Zeit wohl wie benommen war und all das nicht glauben konnte.«
»Ich glaube eher, er hatte irgendwelche Entspannungsdrogen genommen«, schnaubte Y’sul.
»Und so kam es, dass ich nicht nur das Medium in meiner Obhut hatte, sondern auch seinen Inhalt, das Wissen, das es enthielt. als ich begriff, was ich erfahren hatte, und seinen unschätzbaren Wert erfasste, wurde mir klar, dass ich damit überfordert war. Obwohl ich nicht vollkommen verstanden hatte, was ich gelesen hatte, konnte ich es nicht vergessen. Ich konnte es weitersagen, und es war nicht auszuschließen, dass jemand mich mit Drogen oder durch direkte Eingriffe in mein Gehirn und Bewusstsein zwang, mein Wissen zu verraten.«
»Spinner«, sagte Y’sul.
»Was ist das?«, fragte eine Hälfte von Quercer & Janath leise über die offene Verbindung zur Velpin.
»Hmm. weiß nicht.«
Das klang nicht so, als hätten die beiden der Leisicrofe-Aufzeichnung aufmerksam zugehört.
»Ich will nicht leugnen, dass ich mich seit längerem mit meinem Tod beschäftigt hatte. aber nur gewohnheitsmäßig, in Zusammenhang mit dem Abschluss meiner Forschungen zu den vielen verschiedenen Cincturier-Formen und mit der Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Arbeit – von der ich leise Hoffnungen hegte, dass sie zum Standardwerk werden könnte – über dieses Gebiet, das ich mir erwählt habe und dem meine Liebe gehört. Doch mit meinem heutigen Wissen halte ich es, wie ungern auch immer, für besser, meine Studien abzubrechen und meinem Leben ein Ende zu setzen, sobald das in Würde geschehen kann. Ich werde es hier tun, bei den Ythyn, auf dem Nekro-Cineropol-Schiff Rovruetz, denn hier könnte mein Tod noch etwas mehr Sinn haben als an irgendeinem anderen Ort.«