Hinter der geschlossenen Tür zum Zentralkorridor der Velpin waren dumpfe Schläge zu hören. Es klang wie schwere Schritte.
»Wahrscheinlich knallen sie uns ab, sobald sie …«, begannen Quercer & Janath. Ein leises Husten unterbrach sie. In der Tür öffnete sich ein Loch, ein kleiner Gegenstand flog in den Kontrollraum, explodierte und verschoss unzählige kleine Widerhaken.
Aha.
Aber eigentlich hat uns die verdammte EMP-Kanone den Garaus gemacht. ein Schuss auf die empfindlichen Schiffsteile.
Richtig. Jetzt sind wir also so weit.
So ist es.
Genau.
Noch abwarten?
Abwarten.
… Sowieso das bessere Schiff.
Fassin steckte in einem durchsichtigen, versteiften Sack, der vorne und hinten von zwei Gestalten in Spiegelpanzerung getragen wurde, die aussahen wie achtbeinige Riesenhunde. Er war noch immer auf der Velpin. Der Thermoschneider, eine riesige Röhre mit einem schrägen Loch, steckte wie eine gewaltige Injektionsspritze in den Eingeweiden des Schiffes. Die beiden Soldaten schnellten sich scheinbar mühelos mit ihm durch diesen Tunnel in das Voehn-Schiff. Verwirrt, alle Sinne in Aufruhr, zur Bewegungslosigkeit verdammt, spähte Fassin durch das transparente Material der Fesseltrage und sah für einen Moment hinter sich zwei weitere Voehn, die den ähnlich verpackten Y’sul trugen. Es ging durch eine Rotationsschleuse. Das Voehn-Schiff war innen schwarz und matt rot erleuchtet. Wie im Nekro-Schiff herrschte hartes Vakuum. Die Hülle um das kleine Gasschiff blähte sich auf.
Fassin, Y’sul und der Vollzwilling wurden durch eine weitere Schleuse in einen belüfteten und leicht beheizten kreisrunden Raum gebracht. Die Hüllen fielen wieder zusammen. Man setzte sie in einer Art Sitzgruben ab und sicherte sie mit dicken, glänzenden Gurten. Dann rollte man die durchsichtigen Hüllen zur Hälfte herunter, so dass die Gefangenen hören, sehen und sprechen konnten. Die Soldaten prüften die Fesseln, dann gingen sie.
Fassin sah sich um, so gut es ging. Y’sul und der Expeditionscaptain waren offenbar noch nicht wieder zu sich gekommen. Y’suls Flossensäume wedelten in der Schwerelosigkeit schwach hin und her, und Quercer & Janath schwebten, immer noch in ihrem glänzenden Overall, anscheinend bewusstlos in der Sitzgrube. Der Raum war schlicht, ein abgeplattetes Ovoid, gefüllt mit einer Gasriesen-Atmosphäre, die für einen Dweller durchaus atembar war, aber etwas merkwürdig roch. Alle Oberflächen leuchteten schwach. Ein Hauch von Schwerkraft baute sich auf, etwa ein Viertel Standardgravitation.
Eine irisförmige Tür erschien in der Wand, schob sich auf und glitt hinter drei Voehn wieder zu: zwei von den Soldaten mit den verspiegelten Panzern und ein dritter, der nur eine Teiluniform mit verschiedenen Rangabzeichen und ein Halfter mit einer Waffe trug. Er blieb stehen und betrachtete die drei Gefangenen; die plumpe graue Schnauze und die faustgroßen, viellidrigen Augen wanderten kaum merklich von einem zum anderen. Er krümmte seinen langen Körper und ließ so lange genüsslich seine Rückenflossen spielen, bis sich alle zehn aufgestellt hatten. Die Blizzardhaut auf den Flossen funkelte, als bestünde sie aus unzähligen winzigen Spiegelscherben.
Fassin zwang sich, bei Bewusstsein zu bleiben. Verträumt dachte er an die Serie zurück, die er als Kind so gern gesehen hatte – Einsatzkommando Voehn? War das der Titel gewesen? – und versuchte, sich die Bedeutung von Uniformen und Rangabzeichen ins Gedächtnis zu rufen. Die Erinnerung kehrte nur langsam wieder. Der Voehn in Uniform war ein Prime Commander. Ein Multitalent. Sicherlich hatte er hier das Sagen. Deutlich zu hoher Rang für ein Schiff dieser Größe, es sei denn, es wäre auf einem Spezialeinsatz. (Oh-oh).
Einer der spiegelgepanzerten Soldaten schwenkte ein Handgerät in ihre Richtung und beobachtete dabei das Display. Bei Fassin und Y’sul nahm er von den Ergebnissen kaum Notiz, doch als das Gerät auf Quercer & Janath zielte, stutzte er. Er veränderte einige Einstellungen, bewegte die Maschine noch einmal über den immer noch leblosen Körper des Vollzwillings und sagte etwas zu seinem Commander. Der kam zu ihm, sah sich das Display an und wiegte ein wenig den Kopf. Dann schaltete er das Gerät aus, ging auf die Gefangenen zu und schien dabei mit seinen Orden zu reden.
Die Gurte, mit denen das Gasschiff und die zwei Dweller festgehalten wurden, glitten in den Boden zurück. Der Voehn-Commander zog einen Handschuh aus, fuhr mit seiner ledrigen Hand über die Oberfläche des kleinen Gasschiffs, dann über Y’suls Panzer, und betastete schließlich Quercer & Janaths glänzende Membran. Er suchte nach einem Verschluss, fand ihn auch und öffnete den Overall so weit, dass er über die transparente Hülle hing, in die alle Gefangenen eingepackt waren. Der Commander betrachtete die Signalhaut des Vollzwillings sehr genau und schien sogar daran zu schnuppern.
Dann sah er Fassin an. »Sie sind bereits wach.« Seine Stimme klang leise und wie ein tiefes Gurgeln. »Antworten Sie.«
»Ich bin wach«, bestätigte Fassin und versuchte, den linken Manipulator zu heben. Neue Fehler-und Schadensmeldungen. Er testete den rechten Manipulator und rutschte ein wenig in der Sitzgrube hin und her. Er konnte sich halbwegs frei bewegen, nur das durchsichtige Material am Heck des Gasschiffchens war etwas hinderlich; doch auch die Fesselhülle fühlte sich an, als könne man sie ohne allzu große Schwierigkeiten abstreifen.
Der Voehn zog etwas aus der Tasche seiner Uniform und schwenkte es vor Y’sul hin und her. Der zuckte zusammen, dann schüttelte er sich eine Weile, sein Flossensaum wurde starr, und seine Gliedmaßen zuckten. »Quork«, sagte er.
Der Commander richtete das Gerät auf Quercer & Janath, doch die erklärten freundlich: »Wir sind bereits wach, trotzdem vielen Dank.«
Der Voehn musterte den Vollzwilling mit schmalen Augen, steckte sein Gerät wieder ein und trat zurück, um alle drei Gefangenen im Blick zu haben. Die beiden spiegelgepanzerten Wärter postierten sich zu beiden Seiten der Stelle, wo die Tür erschienen war.
Der Commander lehnte sich ein wenig zurück, stützte sich auf Hinterbeine und Schwanz und verschränkte die vorderen Arme.
»Zur Sache. Ich bin Commander Inialcah vom Ultra-Schiff Protreptik, Spezialdivision der Generalflotte. Sie gehören in jeder Beziehung mir. wir wissen, wonach Sie suchen. wir warten schon lange, dass jemand hierher kommt. Wir durchkämmen Ihr Schiff gerade nach versteckten und anderen Informationen, rechnen aber nicht damit, etwas Brauchbares zu finden. Wir sind ermächtigt, uns gegen alle Eventualitäten abzusichern. Das heißt, wir können mit Ihnen tun, was immer wir wollen. Der Spielraum braucht nicht ausgeschöpft zu werden, wenn Sie rückhaltlos kooperieren und alle Fragen ehrlich und vollständig beantworten. Nun denn. Sie sind die Dweller mit Namen Y’sul und Quercer & Janath und der Mensch Fassin Taak, richtig?«
Y’sul knurrte nur.
Der Expeditionscaptain antwortete: »Hallo«.
Fassin sagte: »Richtig.« Er sah, wie sich Y’sul bewegte und zappelte, als wollte er die Fesselhülle loswerden. Oh nein, tu das nicht, dachte er. Doch bevor er es aussprechen konnte …
»Du dreckiger Pinscher von einem Piraten, was glaubst du eigentlich, wer du bist?«, brüllte Y’sul. Der Dweller befreite sich von dem transparenten Material und schwebte aus der Sitzgrube.
Die beiden Wärter an der Tür bewegten sich nicht einmal.
Der Commander beobachtete mit immer noch verschränkten Armen, wie der Dweller auf ihn zurotterte und sich vor ihm aufbaute. »Verdammt, wie kommst du dazu, einfach ein Schiff zu überfallen und Leute als Geiseln zu nehmen! Weißt du überhaupt, wer ich bin?«