Выбрать главу

Fassin trat in menschlicher Gestalt auf, in bequemer Hauskleidung, das Schiff erschien als hagerer alter Mann mit Lendenschurz. Die KI-Subroutine war ein rotbrauner Menschenaffe mit langen, schlaksigen Gliedern. Er hatte einen uralten, viel zu großen Helm auf dem Kopf, einen verbeulten Harnisch mit abgerissenem Riemen über der Trommelbrust, einen kurzen Kilt aus Lederstreifen um die knochigen Hüften und ein rostiges Kurzschwert an der Seite.

Als Fassin die Schiffspersönlichkeit zum ersten Mal besuchte, hatte ihn der Affe an der Hand genommen und aus einer Tür die Stufen hinunter zum Fluss geführt, wo der alte Mann saß und über das träge braune Wasser schaute.

Auf der anderen Seite des breiten öligen Stroms wogte eine hügelige Wüste aus glitzernden Glasscherben, so weit das Auge reichte. Als hätte man alle Glasscherben, die im Universum jemals entstanden waren, an diesem einen Ort zusammengetragen.

»Natürlich bin ich tot«, erklärte das Schiff. die Haut des alten Mannes war dunkelgrün, und seine Stimme klang rau und keuchend. Das Gesicht war fast unbeweglich, eine Greisenmaske mit struppigen weißen Bartstoppeln. »Das Schiff hat sich selbst zerstört.«

»Aber wenn du tot bist«, sagte Fassin, »wie kannst du dann mit mir sprechen?«

Der Greis zuckte die Achseln. »Tot zu sein heißt, nicht länger zur Welt der Lebenden zu gehören. wer tot ist, ist ein Schatten, ein Geist. Das heißt nicht, dass man nicht sprechen kann. Es ist sogar so ziemlich das Einzige, was man noch kann.«

Fassin verzichtete darauf, den Alten zu überzeugen, dass er noch am Leben sei. »Wofür hältst du mich?«, fragte er.

Der Alte sah ihn an. »Mensch? Männlich? Ein Mann.«

Fassin nickte. »Hast du einen Namen?«, fragte er den Greis.

Der schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Ich war die Protreptik, aber jetzt ist das Schiff zerstört, und ich bin tot, also habe ich keinen Namen.«

Fassin legte eine Anstandspause ein, um dem Alten Gelegenheit zu geben, sich nach seinem Namen zu erkundigen, aber die Frage blieb aus.

Der Affe saß zwei Meter von ihnen entfernt, zwei Stufen näher an dem von Kletterpflanzen überwucherten Tempel. Nun lehnte er sich zurück, stützte sich mit seinen langen Armen ab, bohrte mit einer langen, zartgliedrigen Zehe im Ohr und begutachtete mit großer Aufmerksamkeit, was er dabei zutage förderte.

»Als du noch am Leben warst«, sagte Fassin, »warst du da wirklich lebendig? Warst du empfindungsfähig?«

Der Alte schaukelte zurück und lachte kurz auf. »Du meine Güte, nein. Ich war nur Software in einem Computer, Photonen in einem Nanoschaumsubstrat. Das kann man im konventionellen Sinn nicht als lebendig bezeichnen.«

»Und abseits der Konvention?«

Wieder ein Achselzucken. »Das spielt keine Rolle. Nur auf die Konvention kommt es an.«

»Erzähle mir etwas über dich, über dein Leben.«

Ein leerer Blick. »Ich habe kein Leben. Ich bin tot.«

»Dann erzähle mir von deinem früheren Leben.«

»Ich war ein Nadelschiff mit Namen Protreptik und gehörte zum Dritten Voehn-Flossen-Geschwader der Cessoria-Lustrale. Ich wurde im fünften Zehntel des dritten Jahres des Haralaud in der Wirbelachse, Khubohl III, Bunsser Minor gebaut. Ich war ein erweiterungsfähiges Schiff, Minimum fünfzehn Meter, wurde nach dem Standard-Portalkompatibilitätsquotienten auf achtundneunzig Prozent eingestuft und hatte unbeladen einen normalen Betriebsdurchmesser von …«

»Ich war eigentlich weniger an den technischen Angaben interessiert«, sagte Fassin sanft.

»Oh«, sagte der Alte und verschwand wie ein Hologramm, das man abgeschaltet hatte.

Fassin wandte sich dem Affen zu, der gerade etwas ins Licht hielt. Das Tier kniff die Augen zusammen und schaute auf ihn herab. »Was ist?«, fragte es.

»Er ist verschwunden«, sagte Fassin. »Der alte Mann – das Schiff – ist einfach verschwunden.«

»Das macht er öfter«, seufzte der Affe.

Beim nächsten Besuch erhob sich auf der anderen Seite des breiten, behäbigen Flusses vor den Tempelstufen ein Dschungel; eine mächtige grün-, gelb-und purpurfarbene Wand aus seltsam knorrigen Strünken, schlaffen Blättern und Schlingpflanzen. Ranken und Äste hingen so tief herab, dass sie in die trägen Fluten eintauchten.

Sonst war alles wie zuvor, nur war der alte Mann vielleicht nicht ganz so hager, sein Gesicht nicht ganz so starr und seine Stimme nicht ganz so müde.

»Ich war ein KI-Jäger. Sechseinhalbtausend Jahre lang half ich mit, die Anathematen aufzustöbern und zu vernichten. Ich wäre stolz auf mich gewesen, wenn ich zu solchen Gefühlen fähig gewesen wäre.«

»Kam es dir nie unnatürlich vor, Maschinen zu jagen und zu töten, die dir so ähnlich waren?«

An dieser Stelle hustete der rotbraune Affe – er saß wie üblich ein paar Stufen weiter oben und bemühte sich, seinen fleckigen, verbeulten Panzer zu säubern, indem er darauf spuckte und ihn dann mit einem schmutzigen Lappen polierte –, doch als Fassin zu ihm aufschaute, sah ihn das Tier nur ausdruckslos an.

»Aber ich war doch nur ein Computer.« Der Alte runzelte die Stirn. »Noch nicht einmal das. Nur ein Geist in einem Computer. Ich tat, was man mir sagte, war allzeit gehorsam. Ich war das Interface zwischen den Voehn, die das Denken übernahmen und die Entscheidungen trafen, und den physischen Strukturen und Systemen des Schiffes. Eine Vermittlungsinstanz. Nicht mehr.«

»Vermisst du das?«

»Irgendwie schon. Aber eigentlich bin ich dazu gar nicht fähig. Etwas aufrichtig zu vermissen, das wäre – nach meinem Verständnis – gleichbedeutend mit einem Gefühl, und das ist für jemanden, der nicht empfindungsfähig und noch nicht einmal lebendig ist, nun einmal nicht möglich. Aber soweit ich in der Lage bin, einen Zustand einem anderen vorzuziehen, vielleicht, weil mir der eine erlaubt, die mir zugewiesene Rolle auszufüllen und der andere nicht, könnte ich sagen, dass ich das Schiff vermisse. Es ist nicht mehr. ich habe danach gesucht, aber es ist nicht mehr da. Ich kann es weder spüren, noch steuern, und das heißt, dass es sich selbst zerstört haben muss. Ich wurde wohl auf ein anderes Substrat übertragen.«

Fassin schaute zu dem Affenwesen hinauf, das nur ein paar Schritte über ihnen hockte. Quercer & Janath hatten die Protreptik vollkommen übernommen und den schiffseigenen Computer samt der darauf laufenden Software von den Untersystemen des Schiffes getrennt.

»Und was bin ich deiner Meinung nach?«, fragte Fassin. »Was ist der kleine Affe, der da in seinem Panzer hinter uns sitzt?«

»Ich weiß es nicht«, gestand der Alte. »Seid ihr auch tote Schiffe?«

Fassin schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Dann seid ihr vielleicht Verkörperungen der Instanz, die das Substrat steuert, in dem ich jetzt laufe. Und ihr wollt mich nach Aktionen befragen, die ich durchgeführt habe, als ich noch das Schiff war.«

»Du kommst mir sehr lebendig vor«, sagte Fassin. »Könnte es nicht sein, dass du nach der Trennung vom Schiff ein lebendes, empfindungsfähiges Wesen geworden bist?«

»Natürlich nicht!«, rief der Alte verächtlich. »Ich kann wie ein Lebewesen erscheinen, ohne wirklich lebendig zu sein. das ist nicht weiter schwierig.«

»Wie machst du das?«

»Ich kann auf meine Erinnerungen zugreifen und habe Billionen von Fakten, wissenschaftliche Werke, Bücher, Aufzeichnungen, Sätze, Wörter und Definitionen zur Verfügung.« Der Alte betrachtete seine Fingerspitzen. »Ich bin die Summe aller meiner Erinnerungen und die Anwendung gewisser Regeln aus einem umfangreichen Befehlsverzeichnis. Ich besitze die Fähigkeit, ausnehmend schnell zu denken, daher kann ich nicht nur hören, was du, ein Wesen mit Bewusstsein und Empfindungsfähigkeit, zu mir sprichst, ich kann auch in einer für dich sinnvollen Weise darauf reagieren, ich kann deine Fragen beantworten, deinen Aussagen folgen und sogar erraten, was du denkst.