All das ist jedoch nur das Werk von Programmen – die von empfindungsfähigen Wesen geschrieben wurden. Sie sichten Gespräche und Texte, die ich gespeichert habe, und wählen diejenigen aus, die sich am besten als Vorlage eignen. Das hört sich rätselhaft an, ist aber nur kompliziert. Das Verfahren beginnt mit so einfachen Dingen, wie dass du ›Hallo‹ sagst und ich mit ›Hallo‹ antworte oder nach dem, was ich sonst über dich weiß, eine ähnliche Aussage wähle, und geht bis zu so komplexen Äußerungen wie, nun ja, wie ich sie eben gemacht habe.«
Der alte Mann sah ihn erschrocken an und war plötzlich wieder verschwunden.
Fassin schaute zu dem rotbraunen Affen hinauf. Der nieste und bekam einen Hustenanfall. »Das«, keuchte er, »hat nichts«, fuhr er von Husten geschüttelt fort, »mit mir zu tun.«
Als Fassin wiederkam, war das andere Ufer des großen, trägen Flusses zum Spiegelbild der Seite geworden, auf der er selbst, der alte Mann und der schlaksige Affe sich befanden. Vor ihnen lag eine uralte Stadt mit steinernen Kuppeln und Türmen – schwarz und schweigend, von Bäumen und Schlingpflanzen überwuchert – und direkt gegenüber erhob sich ein gewaltiger, überreich mit Statuen und Reliefs von phantastischen Fabeltieren geschmückter Tempel. von seinem unteren Rand führten Dutzende von hohen Steinterrassen und Treppen zu dem schlammigen, dunkelbraunen Wasser herab.
Fassin versuchte zu erkennen, ob auch er und seine beiden Begleiter in dem Spiegelbild enthalten wären, aber das andere Ufer war verlassen.
»Hast du viele KIs aufgespürt und getötet?«, fragte er.
Der Alte verdrehte die Augen. »Hunderte. tausende.«
»Du weißt es nicht genau?«
»Es waren auch Zwillinge und sogar größere Gruppen darunter. Ich habe an 872 Einsätzen teilgenommen.«
»Gab es auch Einsätze in Gasriesen?«, fragte Fassin. Er hatte sich so hingesetzt, dass er den Affen in dem verbeulten Harnisch im Blick hatte. Der Affe sah ihn an, als er diese Frage stellte, wandte sich aber gleich wieder ab. Diesmal versuchte er, mit einem Hämmerchen die Beulen aus seinem Brustpanzer zu klopfen. Das matte ›Tock-tock-tock‹ hing wie tot über dem breiten Fluss und erzeugte kein Echo.
»Ein Einsatz fand teilweise in einem Gasriesen statt. Genauer gesagt endete er dort. Wir verfolgten ein kleines Schiff voll mit Anathematen in die Atmosphäre des Gasriesen Dejiminid hinein, wo sie versuchten, uns in den heftigen Stürmen abzuhängen. Aber die Protreptik war atmosphäretauglicher als ihr Schiff, und als sie in ihrer Verzweiflung in immer größere Tiefen vordrangen, um uns loszuwerden, brach ihr Rumpf unter dem Druck zusammen und wurde zermalmt. Alle an Bord wurden mit in die Flüssigmetallschichten gerissen.«
»Und darüber hat sich kein Dweller beschwert?«
Der Alte sah ihn fragend an. »Du bist doch nicht etwa ein Dweller? Ich hatte schon den Verdacht, ich könnte in einem von Dwellern kontrollierten Substrat laufen.«
»Nein, ich bin kein Dweller. Ich sagte dir doch, ich bin ein Mensch.«
»Nun, die Antwort lautet, sie hatten nicht bemerkt, dass wir in ihren Planeten eingedrungen waren. Die Beschwerden kamen erst hinterher. Das war der eine von zwei Einsätzen, bei denen die Protreptik innerhalb eines Gasriesen operierte. Normalerweise führten wir alle unsere Missionen im Vakuum durch.«
»Und der zweite?«
»Liegt noch nicht lange zurück. Wir halfen bei der Verfolgung einer großen Gruppe von Beyonder-Schiffen in der Gegend von Zateki. auch dort blieben wir siegreich.«
»Was hat dich zum Nekro-Schiff Rovruetz geführt?«, fragte Fassin.
Das tonlose Tock-tock-tock verstummte. Der rotbraune Affe hielt den Harnisch ins Licht, kratzte sich an der Brust und begann erneut zu hämmern.
»Vertrittst du einen Untersuchungsausschuss der Lustrale?«, fragte der Alte. »Ist das deine wahre Identität?«
»Nein«, sagte Fassin.
»Aha. Na schön. In den letzten zweihundertfünfzig Jahren Einheitszeit«, sagte der Alte, »hatten wir nach Informationen über die so genannte Dweller-Liste gesucht.« (Bei diesen Worten lachte der schlaksige Affe laut auf, aber das schien der Alte nicht zu bemerken.) »Zunächst hielten wir uns lange in der Region des Zateki-Systems auf und stellten Nachforschungen zur Theorie des Zweiten Schiffes an. Informationen, die wir dort gesammelt hatten, führten zu etlichen weiteren Einsätzen. Was die Liste, die Theorie des Zweiten Schiffes oder die so genannte Transformation betrifft, blieben unsere Ermittlungen ohne Ergebnis, allerdings konnten im Verlauf dieser Sekundärmissionen zwei KIs aufgespürt und eliminiert werden. vor fünf Monaten wurden wir aus dem Rijom-System abberufen und ins Direaliete-System geschickt, wo wir auf Abfangkurs zum Nekro-Schiff Rovruetz gingen. Gründe für diese Vorgehensweise wurden mir nicht mitgeteilt, die entsprechenden Befehle gingen an Commander Inialcah persönlich und wurden unter Umgehung meiner Sinne an ihn übermittelt.«
»Habt ihr irgendetwas Neues über die Liste und die Transformation in Erfahrung gebracht?«, fragte Fassin.
»Ich glaube, die einzige Entdeckung in dem Sinn, dass dem bereits vorhandenen Gespinst aus Mythen und Gerüchten mehr als nur ein weiteres Gerücht hinzugefügt wurde, war – immer vorausgesetzt, sie entsprach der Wahrheit – die, dass die Portale inaktiv und vielleicht getarnt in den Kuipergürteln oder den Oort’schen Wolken der jeweiligen Systeme lägen und auf ein verschlüsseltes Funk-oder ähnliches Signal warteten. Dieses Signal sei zusammen mit dem Medium und der Frequenz, auf der es gesendet würde, in der so genannten Transformation enthalten. Das war insofern einleuchtend, als alle stabilen Orte – Lagrange-Punkte und dergleichen –, wo Portale normalerweise über so lange Zeiträume erfolgreich versteckt werden konnten, leicht zu kontrollieren und zu eliminieren gewesen wären.« Der Alte sah Fassin spöttisch an. »Bist auch du einer von denen, die nach der Liste suchen?«
»Ich war einer«, sagte Fassin.
»Aha!« Die Repräsentation des alten Mannes schien zufrieden. »Aber du bist doch nicht tot?«
»Nein, ich bin nicht tot, aber ich habe die Suche vorerst aufgegeben.«
»Was hat dich zum Nekro-Schiff Rovruetz geführt?«, fragte der Alte.
»Ich glaubte, einer Spur zu folgen, einem Anhaltspunkt, der mich weiterbrächte«, sagte Fassin. »Aber das Wesen, bei dem ich das Material vielleicht hätte finden können, hatte alles zerstört und sich das Leben genommen.«
»Bedauerlich.«
»Ja, sehr.«
Der Greis schaute hinauf in den blau-goldenen, wolkenlosen Himmel. Fassin folgte seinem Blick, und in diesem Moment verschwand der alte Mann.
Da war etwas. Fassin saß im Kommandoraum des Voehn-Schiffes, sein Gasschiff wurde von der Beschleunigung in die provisorische Liege gepresst, der Hauptschirm zeigte nur die immergleiche, ziemlich langweilige Aussicht nach vorne, und er wusste, dass er irgendetwas übersehen hatte.
Etwas quälte ihn, es ließ ihm keine Ruhe, wenn er nicht daran dachte oder träumte, bekam er es beinahe zu fassen, doch bevor er zupacken konnte, war es schon wieder entwischt.
Er schlief nicht viel – insgesamt nur etwa zwei Stunden täglich – aber dann träumte er fast immer, als wollte sein Unterbewusstsein den ganzen Stoff in den spärlichen Traumraum zwängen, den es zur Verfügung hatte. Einmal stand er tatsächlich mit aufgekrempelten Hosen in einem kleinen Bach im Garten eines großen Hauses, das er nicht sehen konnte, und versuchte, mit bloßen Händen Fische zu fangen. Die Fische waren seine Träume, obwohl ihm zugleich am Rande bewusst war, dass er sich selbst in einem Traum befand. Wenn er nach den geschmeidigen Schatten greifen wollte, die wie längliche Quecksilbertropfen um seine Füße flitzten, huschten sie davon und waren verschwunden.