So kurz nach der Ankunft und nachdem man einen vollkommenen Sieg errungen hatte, solche Fluchtpläne schmieden zu müssen, sei natürlich bitter. Aber vielleicht immer noch besser, als sich einem Kampf zu stellen, dessen Ausgang so sehr auf Messers Schneide stand.
Am besten wäre natürlich, sie fänden, wozu sie eigentlich gekommen waren. Den Schlüssel zu dieser Dweller-Liste, die Zauberformel, die Transformation. Damit hätte Lusiferus ein Tauschobjekt von nahezu unbegrenztem Wert. Jedenfalls hatte man ihm das so erklärt, und wenn seinen Ratgebern an ihrer eigenen Haut gelegen war, sollten sie sich in diesem Punkt lieber nicht irren. Das meinte er wörtlich. Er würde den Dreckskerlen bei lebendigem Leib das Fell abziehen lassen, wenn sie ihn ganz umsonst auf diese weite Reise geschickt hätten.
Ein letzter Versuch, eine letzte Chance, das Gesuchte zu finden, stand noch aus. Viel zu hektisch, viel zu verzweifelt, aber der Archimandrit wusste – wie alle großen Führer –, dass er seine besten Leistungen unter Druck erbrachte, wenn alles gegen ihn stand und der Erfolg keineswegs sicher war. Natürlich ließ er es nicht oft so weit kommen – leichte Siege waren immer vorzuziehen –, aber er war in seinem Leben oft genug in die Enge getrieben, in Zwangslagen gebracht worden und hatte dennoch triumphiert. Er hatte nicht vergessen, wie das war, und wusste nach wie vor damit umzugehen. Er war sicher, dass er auch diesmal Sieger bleiben würde. Er blieb immer Sieger. alles andere wäre undenkbar.
Er konnte es schaffen. Er brauchte nur Willensstärke und Entschlossenheit. Und das waren seine Stärken. Er fand es fast besser so: wenig Zeit, nur diese eine Chance, da musste man aufs Ganze gehen, ohne Kompromisse. Schon aus Zeitgründen kamen all die anderen ›vernünftigeren‹ Lösungen nicht in Betracht. Zum Henker mit Ruhe und Gelassenheit, zum Henker mit der Diplomatie, er konnte keine Vernunft walten lassen und hoffen, die andere Seite würde ebenso reagieren. Verdammt, er musste einfach handeln.
Der Archimandrit hatte sich denkbar gut vorbereitet. Nach den Schätzungen der Taktiker könnten die ersten Schiffe der Generalflotte in weniger als zwölf Tagen knapp unter Lichtgeschwindigkeit an ihnen vorüberrasen, und der Rest wäre sicher nicht weit dahinter. Das Warten hatte ein Ende. Es hieß jetzt oder nie.
Sie waren im Bauch des großen Schiffs. Nasquerons hässliches, brodelndes, Halluzinationen erzeugendes Antlitz lag, durch die Diamantfolie gut sichtbar, zu ihren Füßen. Der Archimandrit war das Risiko eingegangen, zu diesem Anlass auf die Lusiferus VII zu kommen. Sollte das Schiff angegriffen werden – was so weit vor dem Hauptkontingent der Generalflottengeschwader unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich war –, dann geschähe das fast sicher von oben, und sie wären schon durch die Masse des Rumpfes geschützt. Er hatte die Raubtier dicht unter den Hauptrumpf beordert. Sie war durch einen kurzen Tunnel mit der Lusiferus VII verbunden. Er könnte in einer Minute seinen pompösen Sessel verlassen, den Raum durchqueren, an Bord gehen und starten. Sicherheitshalber hatte er zudem einen Schutzanzug für Notfälle angelegt, er spürte ihn beruhigend wie eine zweite Haut unter seiner Amtsrobe. Der Helmkragen war unter der Kapuze verborgen, die wie der Rest seiner Überkleidung aus gegerbter Voehn-Blizzardhaut bestand.
An der Raubtier hing jetzt, nachdem man es gründlich auf Wanzen und Bomben untersucht hatte, das kleine Schiff, mit dem diese Liss Saluus Kehar zu ihm gebracht hatte. Seine Techniker waren sehr davon beeindruckt. Nach ihrer Meinung war es schneller als jedes andere feindliche Schiff. Lusiferus hätte es noch beeindruckender gefunden, wenn es auch alle Raketen und Strahlenwaffen der Gegenseite an Schnelligkeit übertroffen hätte.
Sie waren zu einer Konferenz zusammengekommen, die vordergründig den Zweck hatte, Möglichkeiten der Kontaktaufnahme der neuen Herren des restlichen Ulubis-Systems zu den Dwellern zu erörtern.
Der Hierchon Ormilla war ebenso anwesend wie die übrigen noch lebenden Lamettaträger der Merkatoria. Man hatte noch keine Zeit gefunden, die Machtstruktur der Merkatoria grundlegend zu verändern, und als Lusiferus festgestellt hatte, dass die Berichte der Beyonder zutrafen und die Merkatoria bei der Mehrheit ihrer Bürger/Untertanen ausgesprochen unbeliebt war, hatte er die Zivilbeamten überwiegend in ihren Ämtern belassen. Die Führungsspitze hatte ihn durchweg als ihren obersten Dienstherrn anerkannt. Es fehlten nur Flottenadmiral Brimiaice, der gefallen war, Colonel Somjomion von der Justitiarität, die verschwunden war und sich wahrscheinlich auf einem der flüchtigen Schiffe befand, und der Oberste Archivar Voriel von der Cessoria, der es als so unerträgliche Schmach empfunden hatte, seine Gelübde widerrufen zu müssen, dass er den Tod vorgezogen hatte. was für ein Idiot. Lusiferus hatte ihn persönlich erschossen.
Er hatte sich von einigen Mitgliedern der wenige Monate vor der Invasion zusammengestellten Dweller-Abordnung darüber informieren lassen, was von den Schwebern zu erwarten wäre. Die Abordnung war größtenteils ums Leben gekommen, als sich der Commander ihres Schiffs weigerte zu kapitulieren, aber einige wenige Überlebende hatte es doch gegeben. Lusiferus wusste freilich nicht, ob er ihnen trauen konnte.
Von seinen sechs obersten Befehlshabern waren drei zugegen. Die Übrigen waren anderswo damit beschäftigt, für den Notfall eine bewaffnete Präsenz aufrecht zu erhalten und Vorbereitungen für den Zeitpunkt zu treffen, wenn die Vorhut der Generalflotte das System mit Höchstgeschwindigkeit durchfliegen würde.
Die Beyonder waren natürlich nicht gekommen. Sie standen noch unter Schock wegen seiner skrupellosen Zerstörung einer einzigen Kleinstadt und eines Habitats voller Künstler, Spinner und Gutmenschen. Er musste ihnen erklären, dass er die Stadt – er hatte ihren Namen vergessen – nur deshalb gewählt hatte, weil sie im Schutz von Bergen am Meer lag, so dass er wieder einmal eine seiner berühmten landschaftlichen Umgestaltungen vornehmen konnte. Mit etwas Glück konnte er sie damit gleich noch einmal erschüttern.
Die verdammten Abgesandten oder Vertreter der Dweller konnten ihn nicht überzeugen. Sie beeindruckten zwar durch ihre Größe, besonders in diesen radförmigen Schutzanzügen, aber sie hatten Mühe – offenbar ein Dauerproblem bei den Dwellern –, jemanden zu finden, der genügend Autorität besaß, um für einen ganzen Planeten zu sprechen. Lusiferus hatte schon früh in seiner Karriere gelernt, dass man um die Dweller am besten einen weiten Bogen machte. wenn man sie in Ruhe ließ, hatte man nichts zu befürchten. Er hätte von sich aus niemals Kontakt zu den Schwebern gesucht, aber es hatte sich nicht vermeiden lassen, und jetzt musste er eben zusehen, wie er mit ihnen zurechtkam.
Drei Dweller nahmen an dem Treffen teil. Alle hatten vermutlich den gleichen Rang, und alle waren allein gekommen – ohne Adjutanten, Sekretäre oder Kulis irgendwelcher Art, was bei jeder anderen Spezies bedeutet hätte, dass es sich nicht um ernst zu nehmende Persönlichkeiten handelte, bei den Dwellern aber weiter gar nichts zu sagen hatte.