– Menschliche Frauenstimme. Warte, wir fragen nach.
Null, dachte Fassin. Null. Verdammt, es war doch eine Antwort.
– Der Name ist Aun Liss.
– Kommt dir das irgendwie bekannt vor?
Die FlugSchwinge Cheumerith zeichnete sich wie eine schmale Klinge vor dem braunen Himmel ab. von Valseir keine Spur. Die Protreptik ging auf die Jagd nach weiteren TauchStängeln und versprach zurückzukehren. Fassin steuerte das kleine Gasschiff müde an den Dwellern vorbei, die an ihren Leinen an der Schwinge hingen, und wartete auf ein Zeichen.
Letztlich war das zweite Gasschiff nicht zu übersehen. Er entdeckte es aus zweitausend Metern Entfernung. Es bemerkte ihn gleichzeitig und sendete:
– Fassin?
– Nein. Ich bin ein Sprengkopf. Wer bist du?
– Aun. Du hast eine Waffe mitgebracht, wie ich sehe.
Er hatte aus der Protreptik eine Handwaffe der Voehn an sich genommen, als er eine Waffenkammer gefunden hatte, die nicht von den souvenirsüchtigen Schiffsfans von Quaibrai geplündert worden war. Quercer & Janath hatten keine Einwände erhoben, sondern ihn vielmehr allzu ausführlich über die Leistung und die Einsatzprofile der verschiedenen Waffen belehrt, während er doch nur etwas suchte, was robust, zuverlässig und stark genug war, um sich damit zu verteidigen oder Selbstmord zu begehen.
Nun schwenkte Fassin in seinem heilen Manipulator ein klobiges Ding aus dem Bereich PAW, wie Quercer & Janath es nannten – Primitiv Aber Wirksam.
Im Anflug hielt er die geladene Waffe auffällig vor sein Hauptsensorband. – Ja, sendete er. – Ein Andenken.
Er setzte sich neben die andere Maschine. Sie war nach Größe und Form der seinen ähnlich, wenn auch in wesentlich besserem Zustand, und um neunzig Grad anders orientiert, so dass die senkrechte Achse länger war als die Querachse. Sie schwebte in der windstillen Gastasche im Innern einer der offenen Diamantschalen, nahe am Backbordrand der zehn Kilometer langen FlugSchwinge. Misstrauisch – er konnte nicht mehr anders – bemerkte er, dass die Schalen zu beiden Seiten des kleinen Gasschiffes von großen Dwellern besetzt waren, die ziemlich jung aussahen, um sich, wenn auch nur vorübergehend, bei hoher Geschwindigkeit und in großer Höhe der Kontemplation hinzugeben. Die beiden Befestigungspunkte dahinter waren leer.
– Komm herein, sendete die andere Maschine und schob sich nach vorne, bis sich ihre Nase an die Innenfläche der Diamantschale schmiegte. Fassin zog nach und geriet ins Trudeln, als er aus dem heulenden Jetstream in die Tasche aus stillem Gas glitt.
Sie konnten sich fast berühren. Die ihm zugewandte Seite der zweiten Maschine wurde durchsichtig. Dahinter lag jemand, der durchaus Aun Liss sein konnte, fast waagrecht in einem Beschleunigungssitz. Die Gestalt hob mühsam einen Arm und winkte ihm zu, und der verbissene Ausdruck auf ihrem Gesicht wich einem breiten Grinsen. Auch Fassin machte den Panzer seines Gasschiffes so durchsichtig, wie es ging, aber das Ergebnis ließ zu wünschen übrig.
Und er versuchte nicht einmal, das Lächeln zu erwidern.
– Könntest du das Ding vielleicht von mir wegdrehen?, sendete sie. Sie lächelte noch immer. Ich weiß, das ist das erste Mal, dass ich so etwas zu einem …
– Nein, sendete er zurück. Die Voehn-Waffe blieb auf sie gerichtet.
– … Okay, sendete sie. Ihr Gesicht wurde ernst. – Willkommen daheim. Wie war die Reise?
– Nicht gut. Gibt es in dem Ding einen Manipulator, mit dem du umgehen kannst?
– Ja. Ich bin sicher kein Fachmann, aber …
Er schob sein eigenes Gasschiff nach vorne, bis es nur Zentimeter von dem ihren entfernt war. – Sprich auf die alte Art mit mir.
Sie runzelte die Stirn, dann lächelte sie unsicher. – Okay, sendete sie. – Das könnte etwas … äh … Er sah, wie sie den Blick auf ihren rechten Unterarm richtete, der zusammengequetscht auf der Armlehne des Beschleunigungssessels lag. Sie sah so aus wie immer und doch ganz anders. Das Haar war diesmal weder blond, noch rot, noch weiß, sondern dunkel. Die hohe Schwerkraft und der Versuch, den Arm zu beobachten, während sie das ungewohnte Manipulator-Interface betätigte, verursachten ein Doppelkinn. Er war bereits ziemlich sicher, dass es Aun war, aber er war immer noch bereit, sie zu töten.
Der Manipulator wurde langsam und stockend ausgefahren. Fassin hielt den seinen tunlichst fern, die Waffe blieb auf sie gerichtet. Die großen Dweller zu beiden Seiten hatten sich nicht geregt. Der Manipulator schob sich vor und berührte den Rumpfpanzer seines Gasschiffchens. Die Fingerenden spreizten sich unbeholfen.
Letztlich musste sie doch die Augen schließen. Die Finger begannen, Morsezeichen auf die abgewetzte, nahezu gefühllose Haut des Gasschiffs zu klopfen … SS ( ) … SOR ( ) SOMR ( ). Sie wurde ungeduldig, als sich der Manipulator ihrem Willen nicht unterwerfen wollte. Ihre Miene verfinsterte sich, die Augen wurden zusammengekniffen, tiefe Falten erschienen auf der Stirn. wieder brannten ihm die Tränen in den Augen. Obwohl er sie immer noch hätte erschießen können – oder sich selbst – oder sonst jemanden.
… LS MR NCH VRRCKT? brachte sie schließlich zustande. Ihre Augen öffneten sich, und ihr strahlendes Lächeln verriet, wie erleichtert und mit sich zufrieden sie war.
Er schaltete die Waffe ab.
Sie schwebten gemeinsam in der reglosen Gasblase hinter der Diamantschale, die in der tiefen Krümmung am rückwärtigen Ende der dünnen FlugSchwinge hing.
– Nicht wir. Das waren nicht wir. Nicht schuldig. Es waren nicht einmal die Dreckskerle von Hungerleidern, so skrupellose Mörder sie auch sein mögen.
– Wer war es dann?
– Die Merkatoria, Fass. – Sie hat deine Leute getötet.
– Was? – Warum?
– Man hatte herausgefunden, dass der Sept Bantrabal die Projektion noch besaß, die man geschickt hatte, um dich zu instruieren. Sie sollte sofort nach dem Briefing aus dem Substrat entfernt werden, aber das war nicht geschehen. Es war keine richtige KI, wie man sie an den Hierchon schickte, aber der Unterschied war nicht groß. Die Projektion war ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer echten KI, und sie war entwicklungsfähig. Das war der Grund. Die Angriffe, die wir und die Hungerleider führten, gaben der Merkatoria die nötige Deckung, aber selbst wenn die Wahrheit herauskäme, würde sie nur bekräftigen, wie ernst man es dort mit dem KI-Verbot nahm.
Es hätte so gewesen sein können. Der alte Slovius hatte sich immer bemüht, den anderen Septen einen Schritt voraus zu sein, und damit Bantrabal im Lauf der Jahre zu seiner herausragenden Stellung verholfen. Es klang einleuchtend, es passte zu Slovius, er hätte auch sein Fußvolk entsprechend unter Druck gesetzt. Und der Merkatoria war ohnehin alles zuzutrauen.
– Woher weißt du das?, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. – Die Spitzel sind überall, Fass, erklärte sie fast beschämt. – Wir haben viele Freunde.
– Das kann ich mir denken.
Ob er ihr glaubte? Vielleicht bis auf weiteres.
Die Beyonder hatten von der Liste und der Transformation gewusst. Und das offenbar – wie so viele andere – schon lange vor ihm. Er selbst hatte erst begriffen, worüber er bei jenem längst vergangenen Trip gestolpert war, als die Projektion von Admiral Quile es ihm und allen anderen im Palast des Hierchon erklärt hatte. In der Zwischenzeit hatten die Beyonder längst ihre eigene Flotte ins Zateki-System geschickt, weil sie – wie die Jeltick, die als Erste die von ihm gefundene Information entschlüsselt und ihre Bedeutung erkannt hatten – glaubten, die Transformation dort in dem Zweiten Schiff zu finden. Und sie waren bereits von den Voehn besiegt worden. Offenbar war die Hälfte der verdammten Galaxis um Zateki herumgeschwirrt und hatte nach einem Schiff gesucht, das nicht mehr da war, falls es jemals da gewesen sein sollte, während er von alledem keine Ahnung hatte.