Aber es war eben nur so gut wie nicht vorhanden; die Dweller waren in keiner Beziehung vollkommen, und so lebten sie auch nicht vollkommen zurückgezogen. Sie suchten, sammelten und speicherten ungeheuere Informationsmengen, allerdings ohne dass beim Erwerb oder der Speicherung irgendein logisches System zu erkennen gewesen wäre, und wenn man sie danach fragte, schienen sie nicht nur vollkommen unfähig, eine nahe liegende oder auch obskure Begründung für diese an sich sinnlose Anhäufung von Daten zu geben, sondern auch aufrichtig verwundert darüber, dass man ihnen eine solche Frage überhaupt stellte.
Es hatte auch in der historisch belegten Zeit – selbst wenn man die notorisch unzuverlässigen Aufzeichnungen außer Acht ließ, die von den Dwellern selbst über solche Dinge angefertigt wurden – immer wieder einige wenige Planetenbevölkerungen gegeben, die für Gespräche und Informationshandel zur Verfügung standen, auch wenn dergleichen unweigerlich nur zu den ausgefallenen und von Launen bestimmten Bedingungen der Dweller gewährt wurde. Seit dem Ende der Ersten Diaspora-Epoche, als Galaxis und Universum etwa zweieinhalb Milliarden Jahre alt waren, hatte es immer aktive Zentren der Dweller-Forschung gegeben, aber in den folgenden zehneinhalb Milliarden Jahren waren zu keiner Zeit mehr als zehn solcher Zentren gleichzeitig in Betrieb gewesen.
Annehmbare Partner kamen und gingen.
Die Dweller gehörten zu den ›Langsamen‹, jenen Spezies, die sich mindestens Millionen von Jahren in zivilisierter Form halten konnten. Die Spezies, denen sie erlaubten, zu ihnen zu kommen, sie zu besuchen und mit ihnen zu sprechen und mit denen sie auch Informationen tauschten, zählten gewöhnlich zu den ›Schnellen‹, die ihre Zeit als zivilisierte Verbände nach Zehntausenden von Jahren und oft nicht einmal so lange bemaßen. Die Dweller duldeten auch andere ›Langsame‹ Spezies und redeten mit ihnen, aber gewöhnlich nicht so regelmäßig und häufig. Es bestand der Verdacht, dass sich die Dweller trotz ihrer sprichwörtlichen Geduld – eine Spezies, die eine ganze Galaxis mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von weniger als einem Prozent der Lichtgeschwindigkeit kolonisierte (Zwischenaufenthalte nicht mitgerechnet), musste geduldig sein – mit den Spezies, die mit ihnen sprechen wollten, und die sich durchaus auch langweilen konnten. Indem sie nur Vertreter der ›Schnellen‹ auswählten, stellten sie sicher, dass sie niemals zu lange den Umgang mit Wesen erdulden mussten, die sie am liebsten von hinten sahen. Man brauchte nur ein wenig zu warten – für Dweller-Verhältnisse nicht mehr als einen Lidschlag – und die lästigen Gäste waren kein Problem mehr.
Seit sechzehnhundert Jahren – kaum ein halber Lidschlag für einen Dweller – wurden die Menschen von den Dwellern von Nasqueron als ihre Ansprechpartner im Ulubis-System akzeptiert. Ihre Besuche wurden zumeist geduldet, sie waren nicht ungern gesehen, ihre Sicherheit war fast immer gewährleistet, und ihre Bemühungen, mit den Gasriesenbewohnern ins Gespräch zu kommen und ihre gewaltigen, aber herausfordernd phantasievoll organisierten und indizierten Datenschichten auszubeuten, stießen nur auf sehr formalen Widerstand, gelinden Spott und wenig entschlossene Verschleierungsstrategien.
Dass diese koketten Spielchen, die kaum noch messbare Zurückhaltung und die sanften Hindernisse, die diesen Namen kaum verdienten, den betroffenen Menschen als monumentale Barrieren von unübersehbarer Komplexität und Früchte eines boshaften und schier unerschöpflichen Erfindungsreichtums erschienen, zeigte nur wieder einmal, wer so etwas schon fast so lange trieb, wie das Universum existierte, und wer erst seit knapp zweitausend Jahren.
Natürlich hatte man es auch mit anderen Ansätzen versucht.
Selbst ein noch so begabter und engagierter Arbitrageur tat sich schwer damit, Wesen zu bestechen, für die Geld nur ein Witz war. Die Dweller hielten unerschütterlich an einem System fest, in dem die Macht, nun, mehr oder weniger willkürlich verteilt wurde, so schien es jedenfalls manchmal, und Autorität und Einfluss fast ausschließlich vom Alter abhängig waren. Da gab es wenig Hebelpunkte, an denen man ansetzen konnte.
Hin und wieder versuchte alternativ dazu eine Spezies, mit Waffengewalt an sich zu bringen, was die Dweller-Forscher ihren Studienobjekten mit höflichen aber hartnäckigen Fragen zu entlocken suchten. Doch Gewalt, so hatte man – erstaunlich oft und unabhängig voneinander – entdecken müssen, funktionierte bei den Dwellern nicht so recht. Sie spürten keinen Schmerz, maßen ihrem eigenen (und bei der leisesten Provokation auch dem Leben anderer) relativ geringe Bedeutung bei und schienen offenbar bis in die letzten Fasern davon überzeugt zu sein, das Einzige, was wirklich zähle, sei ein Ehrbegriff, der nur für sie existierte, und den sie als besondere Art von Kudos definierten. Dabei war einer der zentralen Grundsätze, dass jeder Versuch, von außen Einfluss zu nehmen, von allen Betroffenen bis zum letzten Atemzug und ohne Rücksicht auf Verluste abgewehrt werden müsse.
Dweller waren fast überall, und das beinahe von Anfang an. Sie hatten im Lauf der Zeit eine gewisse Erfahrung in der Kriegführung erworben, und obwohl ihre Kriegsmaschinen als ebenso unzuverlässig – und ausgefallen im Entwurf, im Bau und in der Wartung – galten wie jede andere Technik, mit der sie sich jemals zu beschäftigen geruht hatten, hieß das noch lange nicht, dass sie nicht tödlich sein konnten. Gewöhnlich bekamen das alle Beteiligten in einem erschreckend weiten Umkreis zu spüren.
Gelegentlich hatte eine andere Spezies gegen die Dweller gesiegt. Ganze Planetenpopulationen waren ausgelöscht und ganze Gasriesen zerlegt worden, um Rohstoffe für eines der monströsen Megaprojekte zu liefern, die besonders ›schnelle‹ Spezies mit solchem Eifer offenbar nur deshalb in Angriff nahmen, weil sie zeigen wollten, dass sie dazu imstande waren. Doch auf lange Sicht waren die Folgen dieser Siege bisher ausnahmslos unerfreulich gewesen.
Wer mit einer Spezies, die so weit verbreitet, so langlebig, so reizbar und – wenn sie wollte – so zielstrebig war wie die Dweller, einen Streit vom Zaun brach, erlebte nur allzu oft, dass gerade dann, wenn – oder auch ganze geologische Epochen später – er glaubte, der Staub hätte sich gelegt, das Vergangene sei vergessen und alle unseligen Meinungsverschiedenheiten seien Geschichte, unversehens ein kleiner Planet in seinem Heimatsystem auftauchte. Der Planet wurde begleitet von einer Flotte von Monden, die ihrerseits von Scharen asteroidengroßer Brocken umgeben waren. Jeder dieser Brocken bewegte sich in einer flauschigen Schale aus unzähligen Felsen von beachtlicher Größe, die wiederum in eine Lawine noch kleinere Steine gepackt waren. Der ganze Albtraum flog so knapp unter Lichtgeschwindigkeit, dass selbst eine besonders wachsame und misstrauische Spezies gerade so viel Vorwarnung erhielt, um die regionale Entsprechung von ›Was zur Höl…?‹ zu japsen, bevor sie in einem eindrucksvollen, wenn auch verschwenderischen Strahlungsfeuer unterging.
Vergeltungsschläge, wo sie noch möglich waren und wo man sie, selten genug, versucht hatte, mündeten ausnahmslos in einen grausamen und blutigen Zermürbungskrieg. Der dauerte dann so lange, bis die Spezies, die so unklug gewesen war, sich überhaupt mit den Gasriesenbewohnern anzulegen, zu der ernüchternden Erkenntnis kam, dass sie gegen eine Zivilisation dieser Größe (soweit von Zivilisation überhaupt die Rede sein konnte) und gegen Wesen, die schon so lange lebten – und davon wohl auch weiterhin nicht abgehen würden – wohl keine Chance hatte.
Auch der Versuch, die Dweller-Bevölkerung im eigenen System als Geisel zu nehmen, um eine – oder mehrere – andere zu beeindrucken, war eine geradezu lächerlich lahme, ja sogar kontraproduktive Strategie. Den Dwellern irgendeines beliebigen Gasriesen lag wenig genug an ihrer eigenen kollektiven Sicherheit; wer ihnen einen Vorwand lieferte zu zeigen, wie wenig solidarisch sie sich mit anderen Gruppen ihrer eigenen Art fühlten, beschwor damit nur besonders spektakuläre Grausamkeiten herauf. Dabei waren die genetischen und kulturellen Unterschiede zwischen Dweller-Populationen viel geringer als bei allen anderen galaxisweit verteilten Gruppierungen.