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Das Habitat zog also von jeher Bummelanten, Künstler, Außenseiter, geborene Exilanten, politische und andere Exzentriker und leicht gestörte oder schwer geschädigte Existenzen aller Art an. Die meisten stammten aus dem Ulubis-System, aber einige waren auch Exoten von fernen Welten, im Allgemeinen Wohlstandskinder und/oder Aussteiger, die durch die Portale aus dem Rest der Merkatoria kamen, um sich nach der Ausbildung und vor dem Ernst des Lebens eine Auszeit zu gönnen und sich zu entspannen. In dieser Atmosphäre entstanden gute Kunstwerke. Das Habitat diente als inoffizielle – aber steuerlich absetzbare – Privatschule für die oben erwähnten Kinder der Reichen (mit dem Hintergedanken: Lasst die lieben Kleinen die schrankenlose Freiheit ruhig kosten, sie werden schon sehen, wie hohl sie ist). Es war ein Rastplatz für alle, die auf dem Weg in die Schande waren oder aus der Hölle zurückkehrten, und eine Zwischenstation für jene, die vielleicht irgendwann einmal nützliche Mitglieder der Gesellschaft werden oder sie zumindest von Grund auf wachrütteln würden. (Und wenn man wirklich paranoid sein wollte, dann war es – aus der Sicht der Behörden – ein relativ leicht zu überwachendes und noch leichter zu schließendes Sammelbecken für gefährliche Ideen: eine Radikalenfalle.) Mit anderen Worten, es war nützlich. Es erfüllte einen oder gar mehrere Zwecke. In einer Gesellschaft von der Größe, wie sie um Ulubis existierte, musste auch diese Art von Dienstleistung irgendwo erbracht werden.

Man musste die Leute eben nehmen, wie sie waren. Einige würden immer aufrecht sein, andere immer ein wenig verbogen, aber jeder hatte eine Rolle zu spielen, und letztlich war doch jeder in irgendeiner Hinsicht wertvoll.

Doch jetzt hatte die verdammte Merkatoria, die verdammte Hohe Kommandantur oder die verdammte Omnokratie, wer immer es verdammt nochmal sein mochte, vielleicht auch der verdammte Hierchon (oder einer aus der Schar seiner turnusmäßig wechselnden Berater, die hier eine Möglichkeit sahen, sich zu bereichern oder noch mehr Macht zu gewinnen), vielleicht auch der Peregal unter ihm oder der Apparitor unter diesem oder auch nur ein Kretin von Diegesian, der sich Gouverneur oder Bürgermeister nannte oder sonst ein verdammtes Amt innehatte (aber seinen Posten, sein Ansehen und die Leibwächter, die ihn beschützten, nur einem Streit um Einflussbereiche verdankte, der vor Jahrhunderten in einem faulen Kompromiss geendet hatte), jedenfalls hatte irgend so ein verdammtes hohes Tier, hatten die verdammten Typen, denen verdammt nochmal alles gehörte, oder die glaubten, irgendeinem Scheißkerl sollte alles gehören, sie hatten entschieden, verfügt, für richtig erachtet, dass das Eigentumsrecht an dem ganzen verdammten Habitat – und an vielen anderen ähnlichen Habitaten, bei denen das Eigentum ebenfalls umstritten/ unsicher/zweifelhaft/von irgendeinem glücklichen Zufall bestimmt war – an eine offiziell anerkannte und verantwortliche Institution übergehen sollte. Was im Grunde nichts anderes hieß als an sie selbst. Oder wenn nicht sie selbst, dann an ihre besten Freunde. An jemanden, der Dinge wie Eigentumsrecht, Mietinkasso und die Durchsetzung von kleinlichen Vorschriften ernst nahm. Es war eine Entscheidung der Gesetzesmacher, der Gesetzgeber, von der man zum Gesetzlosen erklärt wurde, aber man würde diese Entscheidung nicht so sehen, würde das Gesetz nicht passieren lassen, man würde es anfechten, es sollte nicht ohne verdammt energische Widerstände in die hiesige Rechtsordnung eingehen. Diese Flachwichser wollten aus irgendeinem hirnrissigen Grund einen Teil dessen zerstören, was an den Habitaten, am Sepekte-Orbit, am Ulubis-System, an der Gesellschaft gut war, zu der letztlich auch sie gehörten. Im Grunde waren sie nur dumm und zerstörungswütig, und deshalb war es nötig, dass ihnen diejenigen, die das alles deutlich sahen – weil sie an Ort und Stelle waren, an vorderster Front, mitten im Geschehen – ihr Fehlverhalten klar machten. Letzten Endes saßen doch alle im selben Boot, nur entfernten sich die Scheißkerle an der Macht manchmal zu weit von der Realität des Lebens, wie die meisten Leute es führten, und dann musste man Stellung beziehen, seine Stimme erheben und sich Gehör verschaffen.

Deshalb gingen sie zu dieser Demonstration, rutschten durch die Friktionsrohre, ließen sich an den Bungeeseilen hinab und strebten über die Bahnschienen zum Hauptplatz, wo sich bereits eine große Menge versammelt hatte.

»Man muss sich das nur mal vor Augen führen«, sagte Mome, als sie durch die letzte Straße gingen. »Die Beyonder greifen niemals Habitate an, niemals ganze Städte, niemals irgendein großes, einfaches, wehrloses Ziel. Sie greifen das Militär und die Regierung und die großen Infrastruktureinrichtungen an. Die Anschläge, die Gewalt, die militärische Strategie bilden einen Diskurs, der zu analysieren wäre, wenn man bereit ist, seine propagandistischen Vorurteile abzulegen. Und die Botschaft ist klar: sie kämpfen, sie führen Krieg gegen das System der Merkatoria, gegen die Hohe Kommandantur, gegen die Omnokratie und gegen die Administrata, aber nicht gegen das gemeine Volk, nicht gegen uns.«

»Ich verwahre mich gegen die Bezeichnung gemein!«, protestierte Sonj.

»Es ist schon allzu großzügig, dich in die Kategorie ›Volk‹ einzuordnen, Sonj«, schoss Mome zurück. Mome war ein kleines Kerlchen, blass und verkrampft, er ging ständig leicht nach vorne gebeugt, als sei er im Begriff, sich zu ducken oder sich auf etwas zu stürzen. Sonj war riesig; ein tollpatschiger Kauz mit dunkelbrauner Haut und kurzem, krausem rotem Haar. Er war starken Stimmungsschwankungen unterworfen und fühlte sich, unbeholfen wie er war, nur bei niedriger Schwerkraft wohl.

»Deshalb sind sie nicht zwangsläufig die Guten«, beharrte Fassin.

»Aber sie sind vernünftigen Argumenten zugänglich und fähig, sich auf einen sinnvollen Dialog einzulassen«, sagte Mome. »Auch wenn man sie uns als tobende Irre verkaufen will, die man wie Ungeziefer zertreten muss.«

»Und was hindert sie dann, mit uns zu reden?«

»Wir selbst«, sagte Mome.»Zum Reden gehören immer zwei.«

Alle sahen ihn an. Mome war bekannt dafür, dass er viel redete. Manchmal vor einem Publikum, das eigentlich längst eingeschlafen war. Er zuckte die Achseln.

»Meine Cousine Lain …«, sagte Thay.

»Noch eine Cousine?« Mome tat so, als könnte er es nicht fassen.

»Die Schwester von Cousine Kel und Halbschwester von Cousine Yayz«, erklärte Thay geduldig. Sie war mit Sonj zusammen, eine üppige Frau, bei niedriger Schwerkraft ungeschickt, aber bei zwei Drittel Ge auf der Innenfläche des Hab umso agiler. »Meine Cousine Lain«, fuhr sie entschlossen fort, »ist in der Navarchie, und sie glaubt, die Beyonder greifen nur deshalb so oft an, weil ihnen die Navarchie und die Generalflotte auf den Pelz rücken, wenn sie es nicht tun. Und unsere Leute beschränken sich nicht auf militärische Einrichtungen. Lain sagt, wir schießen auf die Habs der Rebellen. Töten sie zu Millionen. Viele Offs fühlen sich unwohl …«

»Viele Was fühlen sich unwohl?«, fragte Mome.

»Viele Offs«, wiederholte Thay.

»Das Wort habe ich verstanden«, seufzte Mome. »Aber nicht, was es bedeutet.« Er schnippte mit den Fingern. »Warte. Kurzform für ›Offiziere‹, richtig?«