»Gut, soweit es mich betrifft«, antwortete der Colonel.
– Schließe mich an, sendete Fassin. – Haben wir schon eine geschätzte Ankunftszeit?
Reisen von Third Fury nach Nasq dauerten gewöhnlich etwa eine Stunde. Fassin hoffte, sie könnten es in weniger als der Hälfte dieser Zeit schaffen.
»Das Haupttriebwerk feuert mit Maximalleistung, wir sollten in etwa zehn Minuten die Drehung einleiten können«, sagte Apsile. »Dann bremsen wir weitere zehn Minuten und brauchen … hmm, noch – höchstens fünf, würde ich hoffen – um tief genug in die Atmosphäre einzudringen.«
Er meinte, tief genug, um außer Reichweite von allen bis auf die Furcht erregendsten Waffen zu sein. Die Furcht erregendsten Waffen der Dweller natürlich nicht eingerechnet.
– Lässt sich das noch verkürzen?, fragte Fassin.
»Wir könnten vielleicht schneller eintauchen, sobald wir den oberen Wolkenrand erreichen«, sagte Apsile. »Steiler, mit höherer Geschwindigkeit. Mag sein. Hmmm.« Fassin glaubte fast zu sehen, wie sich der Meistertechniker nachdenklich das Kinn rieb. »Ja, vielleicht, wenn wir die Wärme-und Druckwerte eine Spur über die Toleranzgrenzen steigen lassen.« Eine Pause. »Immer vorausgesetzt natürlich, dass das Schiff keine bislang unbekannten Schäden erlitten hat, als die Hangarkuppel getroffen wurde.«
– Immer vorausgesetzt, nickte Fassin.
»Meistertechniker«, meldete sich Colonel Hatherence. »Werden wir verfolgt oder gezielt angegriffen?«
»Nein, Colonel.«
»Dann schlage ich vor, beim ersten Eintrittsprofil zu bleiben.«
– Die Entscheidung liegt allein bei Ihnen, Herv, sendete Fassin.
»Verstanden.«
»Können Sie den militärischen Funkverkehr abhören, Meistertechniker ?«
»Leider nein, Madame, es sei denn, man richtet einen Laser-oder Radiostrahl direkt auf uns.«
»Schade. was geht denn eigentlich vor?«
»Sieht so aus, als hätte ein Feuergefecht stattgefunden. Möglicherweise dauert es noch an. Triebwerkssignaturen entfernen sich vom Mond in die Richtung, aus der die feindlichen Projektile gekommen zu sein scheinen. Mannomann!«
Der Blitz hatte auch Fassins indirekte Aufmerksamkeit erregt; auf der Oberfläche von Third Fury öffnete sich ein weiterer noch größerer weiß glühender Krater.
»Was ist mit den Leuten, die sich noch im Innern von Third Fury befinden?«, fragte der Colonel.
»Habe mitgehört«, sagte Apsile. »Ich werde versuchen, direkt Verbindung aufzunehmen. Einen Augenblick.«
Stille. Fassin beobachtete durch die Sensoren des Trägerschiffes, wie sich das All drehte. Er rief das Systemprofil des Absetzschiffes auf und orientierte sich, dann suchte und fand er ’glantine; ein winziger Lichtpunkt, weit entfernt. Mit Hilfe der Sensoren konnte er den Planetenmond so weit heranzoomen, dass er ihn als fast volle, durch die starke Vergrößerung körnig flimmernde Scheibe sah. Die Topographie war nur andeutungsweise zu erkennen. Konnte dies das Hochland sein? Dort, der Lichtfleck – die Erzsee? Ein Fünkchen. Da, weiter hinten … ein winziger Blitz? Hatte er das wirklich gesehen?
Eine eisige Hand, kälter und aufdringlicher als jeder Gelfühler, griff nach seinem Magen und seinem Herzen. Nein. Bestimmt nicht. Nur eine Störung im System. Er suchte nach dem Schalter, um die Aufzeichnung zu wiederholen.
»Verdammte Scheiße, da sind Trümmer …«, sagte Apsile. Das Schiff machte einen Satz und brach aus. Fassin wandte sich wieder dem Bild zu, das Apsile sah, und entdeckte es ebenfalls: ein Feld aus schwarzen Flecken hing vor ihnen über dem Planeten wie ein auseinander gerissener Vogelschwarm. Sie hatten fast Maximalgeschwindigkeit erreicht. Das Trägerschiff setzte zur Drehung an.
Von allen Seiten rasten dunkle Fetzen vorbei wie feine schwarze Rußflocken. Fassin spürte, wie sich seine Arme im Griff des klebrigen Schockgels an seinen Körper ziehen wollten, wie er instinktiv versuchte, ein kleineres Ziel zu bieten. Dann waren sie durch. Keine Kollisionen.
Wenig später spürte Fassin, wie das Absetzschiff herumschwenkte, um seine Triebwerke auf den Planeten zu richten und die Bremsphase einzuleiten.»Ich glaube«, sagte Apsile vorsichtig, »wir sind gerade noch mit …«
Etwas krachte. Das Schiff machte einen Satz – Fassin spürte ein durchdringendes Knacken durch das Trägerschiff, durch das Gasschiff und sogar noch durch das Schockgel. Die Verbindung zu den Sensoren des Absetzschiffs riss ab. Er war in seinem Pfeilschiffchen wieder allein. Sie rotierten. Und mit ihnen rotierte ein Licht. Licht?
Es kam von unten, wo die Frachttüren waren. Er sah Colonel H’s Schutzanzug, sie schwebte neben ihm. Oh-oh …
Das Schiff wurde langsamer und hörte auf, sich zu drehen, und wurde ruhiger. Das Licht von unten wurde schwächer, verschwand aber nicht. Dem Spektrum nach war es der Widerschein von Nasqueron. Licht vom Gasplaneten, obwohl die Türen geschlossen sein sollten. Fassin drehte den Sensorring des Gasschiffes und schaute senkrecht nach unten.
»Verdammt!«, versuchte er zu sagen. Ein kleines, aber gezacktes Loch, aus dem eine Masse herausquoll, als wären es die Eingeweide. Nasquerons Licht spiegelte sich in einigen blanken Flächen.
Kräfte bauten sich auf; wahrscheinlich bremste das Haupttriebwerk mehr oder weniger wie geplant. Er versuchte es noch einmal mit dem Interkom, dann sendete er ein Funksignal. – Herv?
»Hier. Tut mir Leid. Doch ein Treffer. Habe sie gedreht und ausgerichtet. wieder auf Kurs. Aber keinerlei Daten vom Frachtraum. Auch nicht von den Türen.
– Ich denke, da ist der Einschlag. Ich sehe ein Loch.
»Wie groß?«
– Seitenlänge vielleicht ein mal zwei Meter.
»Ich sehe es jetzt auch.« Der Colonel schickte gerne Funkbotschaften. »Es ist so, wie Seher Taak es beschreibt.
»Zu klein, als dass ihr beiden aussteigen könntet«, sagte Apsile.
– Wie sieht’s mit dem Rest des Schiffes aus?, sendete Fassin.
»Hält momentan noch zusammen. Ich kann nicht sagen, wo das Ding, das uns getroffen hat, wieder ausgetreten ist, oder ob es innen noch etwas durchschlagen hat.«
»Mich, nehme ich an«, sagte Hatherence. »Genauer gesagt, das Gehäuse meines Schutzanzugs. wahrscheinlich.«
Eine Pause. Dann sagte Apsile: »Und … wie geht es Ihnen?«
»Ausgezeichnet. Ihre Frachtraumtüren haben den größten Teil der Energie geschluckt und mein Schutzanzug ist von hervorragender Qualität. Haltbarkeit und Schadenstoleranz können sich sehen lassen. Kaum ein Kratzer.«
– Wenn wir es nicht schaffen, die Türen zu öffnen und auszusteigen, war das ganze Manöver sinnlos, Herv, sendete Fassin.
»Wir können uns immer noch im Träger unter den Wolken verstecken«, sagte Apsile. »Von der Anlage ist nicht viel zu hören. Sieht so aus, als hätte sie der letzte Treffer ziemlich schwer erwischt. Unter dem Gas sind wir womöglich immer noch sicherer, als wenn wir uns hier herumtreiben, wo uns jeder deutlich sehen kann.«
Von der Gemeinschaftsanlage auf Third Fury kamen keine verständlichen Meldungen, und kein Militärschiff sendete auf einer Zivilfrequenz. Die Interferenzen im elektromagnetischen Spektrum, ein Problem im Umkreis von Nasqueron auch bei besten Bedingungen, waren besonders stark. Apsis aktivierte zwei von den äquatorialen Relaissatelliten der Anlage, konnte aber, und das war ungewöhnlich, über ihre Transceiver keine Verbindung herstellen und bekam nur Statik und sinnloses Gefasel. Er versuchte es sogar mit einigen Spiegelsatelliten der Dweller. Dort hätte die Überraschung darin bestanden, etwas anderes als Unsinn zu empfangen, aber der Service war vollkommen normal. »Autsch«, hörten Fassin und Hatherence den Meistertechniker sagen. »Third Fury hat eben noch einen Treffer abgekriegt. wir gehen rein. Ziemlich langsam mit Rücksicht auf die Schäden, aber wir gehen rein.«