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Man wurde also für grausam gehalten. Menschen mussten leiden und sterben, andere lernten, einen zu hassen. und wenn schon? Es bestand doch immerhin die Chance, dass nichts von alledem wirklich war. Und wenn doch, nun, dann war das Leben ein Kampf. Das war es immer gewesen, das würde es immer sein. wer das begriff, der überlebte, wer auf die Lüge hereinfiel, der Forschritt und die Gesellschaft hätten den Kampf überflüssig gemacht, der vegetierte nur dahin und wurde zur Beute für die anderen, zum Futter für die Raubtiere.

Er hegte Zweifel, ob selbst die angeblich so brutalen und gesetzlosen Beyonder diese elementare Wahrheit erkannt hatten. Sie ließen Frauen an die Spitze ihrer militärischen Hierarchie gelangen; das war kein gutes Zeichen. Und der Marschall hatte offenbar nicht bemerkt, dass es nichts zu bedeuten hatte, als er sagte, er hätte ihre Bitte zur Kenntnis genommen und würde sie gebührend beherzigen.

»Ich danke Ihnen, archimandrit«, sagte sie.

Nun lächelte er doch. »Sie bleiben doch noch? Wir geben ein Bankett zu Ihren Ehren. Hier draußen zwischen den Sternen hat man so selten einen Anlass zum Feiern.«

»Es ist mir eine große Ehre, Archimandrit.« Wieder nickte der Marschall kaum merklich mit dem Kopf.

Und beim Essen werden wir um die Wette versuchen, einander die Würmer aus der Nase zu ziehen, dachte er. Du meine Güte, das ist ein Vergnügen für Intellektuelle. Da plündere ich schon lieber einen Planeten.

Haben Sie eine Ahnung, wo wir sind?, signalisierte der Colonel mit einem Spotlaser. Sie hielten das für die sicherste Art, sich zu verständigen.

Zone Null, am Äquator, sendete Fassin. – Irgendwo vor dem letzten großen Sturm, zehn-bis zwanzigtausend Kilometer hinter der Ohrengirlande. Ich sehe mir gerade das letzte Update an, das vor dem Absetzen geladen wurde.

Sie kreisten etwa zweihundert Kilometer unterhalb der obersten Wolkenschicht in einem langsamen Strudel um eine schwache Ammoniak-Fontäne vom Durchmesser eines kleinen Planeten. Die Außentemperatur war für menschliche Verhältnisse geradezu mild. Es gab in fast allen Gasriesen Schichten oder Zonen, in denen ein Mensch theoretisch auch überleben konnte, wenn man ihn ohne Schutzkleidung den Elementen preisgab. Natürlich müsste er wahrscheinlich in einer Wanne mit Schockgel oder einer ähnlichen Substanz liegen, weil er sechsmal mehr wöge, als sein Skelett gewöhnt war, was das Gehen und das Stehen schwierig machte. Die Lunge müsste mit Kiemenwasser gefüllt werden, damit er in einer Gasmischung, die Sauerstoff nur als Spurenelement enthielt, auch atmen konnte, und damit Rippen und Brustmuskulatur vom Schraubstock der Gravitation nicht völlig zusammengedrückt würden. Außerdem sollte er nicht in einen Schauer aus geladenen Teilchen kommen. Dennoch: für die Verhältnisse in den Weiten eines Gasriesen war diese Gegend so angenehm, wie ein Mensch es sich nur wünschen konnte.

Colonel Hatherence fand es etwas zu heiß, als Oerileithe hätte sie sich näher an der obersten Wolkenschicht sicher wohler gefühlt. Sie hatte bereits lauthals verkündet, ihr Anzug sei unbeschädigt und könne sie vor allem schützen, vom Vakuum im All bis hinunter zu Nasquerons Zehntausend-Kilometer-Schicht, wo der Druck eine Million mal so hoch war wie hier und die Temperatur etwas mehr als die Hälfte von der auf der Oberfläche der Sonne Ulubis betrug. Fassin ließ sich nicht auf einen Streit darüber ein, wer den besseren Schutzanzug hatte. Sein Gasschiff war im Notfall auch raumtauglich, aber in solchen Tiefen noch unerprobt.

Er hatte versucht, Verbindung zu Apsile im Absetzschiff aufzunehmen, aber nur statisches Rauschen empfangen. Das passive Positionsraster der Äquatorialsatelliten funktionierte zwar, aber nicht maßstabsgetreu und nur lückenhaft, ein Zeichen dafür, dass einige Satelliten zerstört oder ausgefallen waren.

Es war sehr wichtig zu wissen, wo in Nasqueron oder einem anderen Gasriesen man sich befand, aber reichte bei weitem nicht aus. Der Planet hatte einen festen Felskern, eine kugelförmige Masse von etwa zehn erdgroßen Planeten, versteckt unter siebzigtausend Kilometern Wasserstoff, Helium und Eis, und einige Puristen pflegten die Übergangszone zwischen diesen Felskern und dem Wassereis mit den hohen Temperaturen und den hohen Drücken oberhalb davon als die Planetenoberfläche zu bezeichnen. Doch nur ein echter Erbsenzähler würde diese Definition auch nur zum Schein ernst nehmen. Über dem Wassereis – Eis war es nur theoretisch, denn es war durch den gewaltigen Druck zwar tatsächlich fest geworden, dabei aber mehr als zwanzigtausend Grad heiß, was der menschlichen Vorstellung davon, wie Eis zu sein hatte, vollkommen zuwiderlief – türmten sich mehr als vierzigtausend Kilometer metallischer Wasserstoff. Dann folgte eine breite Übergangszone zur bereits erwähnten Zehntausend-Kilometer-Schicht aus molekularem Wasserstoff, die man mit viel Phantasie als Meer bezeichnen konnte.

Darüber, in den – mit nur ein paar tausend Kilometern relativ dünnen, aber immer noch unglaublich komplexen Schichten, die bis ins All reichten, befanden sich die Regionen, wo die Dweller lebten, die gegenläufig rotierenden Gürtel und Zonen der Gasturbulenzen, die den ganzen Planeten umgaben. Sie waren durchsetzt mit großen und kleinen Stürmen, durchzogen von Strudeln, verziert mit Girlanden, Stangen, Stäben, Streifen, Schleiern, säulen, klumpen, höhlungen, wirbeln, trichtern, Pilzwolken, Scherströmungen und unruhigen Subduktionszonen. Wo sich das Leben der Dweller abspielte, gab es keine festen Oberflächen und keine geografischen Landmarken, die ein paar tausend Jahre Bestand gehabt hätten. Nur die Gasbänder rasten bis in alle Ewigkeit aneinander vorbei wie große Atmosphäreräder, die so knapp ineinander griffen wie die Zähne in einem wild gewordenen Schaltgetriebe mit einem Durchmesser von einhundertfünfzigtausend Kilometern.

Üblicherweise passten sich die Äquatorialsatelliten der gemittelten Vorwärtsbewegung der breiten Äquatorzone an, so dass sich stationäre Lagen ergaben, relativ zu denen sich alle anderen Positionen festlegen ließen. verwirrend war es trotzdem. Nichts war fest. Die Zonen und Gürtel waren halbwegs stabil, aber sie schossen mit kombinierten Geschwindigkeiten aneinander vorbei, die für einen Menschen der Geschwindigkeit des Schalls entsprachen. Die Grenzen dazwischen veränderten sich ständig, wurden verschoben von wild brodelnden Strudeln, die hierhin oder dorthin wanderten oder zerrissen, komprimiert und aufgelöst wurden von Riesenstürmen wie dem Großen Roten Fleck auf dem Jupiter im Sonnensystem. Solche Stürme, die gefangen waren zwischen einer Zone, die in eine Richtung zog, und einem Gürtel, der sich in eine andere Richtung bewegte, und zusammengedrückt wurden wie riesige Wasserwirbel im brutalen Griff sich heftig bekämpfender Strömungen, hatten sich in den Jahrhunderten, seit die Menschheit sie beobachten konnte, mehrfach aufgebaut, ausgetobt und langsam wieder verteilt. In einem Gasriesen war alles entweder im Entstehen begriffen, drehte sich oder verschwand wieder, und alle menschlichen Vorstellungen von Oberflächen, Territorien, Land, Meer und Luft wurden rücksichtslos durcheinander gewirbelt.

Nahm man noch die Auswirkungen eines ungeheuer starken Magnetfelds dazu, die Schneisen mit starker Strahlung und die schieren Ausmaße dieser Umgebung – man konnte einen ganzen Planeten von der Größe der Erde oder Sepektes in einen einzigen größeren Gasriesensturm werfen –, dann hatte das menschliche Gehirn wahrhaftig eine Menge zu bewältigen.