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Y’sul war ungefähr fünfzehntausend Jahre alt und damit voll erwachsen. In ein bis zwei Jahrtausenden würde er in die erste Phase der Reifeperiode eintreten und zum Traav werden. Mit neun Metern Vertikaldurchmesser (ohne seinen halboffiziellen Feststaat mit der imposanten Körperkrause, die ihn noch einen Meter größer machte) hatte er etwa die Endgröße für einen Dweller erreicht. Die Doppelscheibe maß fast fünf Meter in der Breite, die schlicht gekleidete Zentralachse war kaum als eigenes Teilstück zu erkennen, eher eine unerwartete Einschnürung zwischen den beiden großen Rädern. Dweller schrumpften ein wenig, wenn sie das mittlere Erwachsenenalter überschritten hatten, und verloren mit der Zeit die Gliedmaßen an Naben und Flossensaum. Wenn sie schließlich ins Milliardenalter kamen, waren sie oft fast aller Gliedmaßen beraubt.

Auch dann konnten sie sich in der Regel noch fortbewegen. Die Antriebskraft kam von einem System von Flügelrädern an den Innen-und Außenflächen der beiden Hauptscheiben. diese fuhren wie für einen Ruderschlag aus – manchmal drehten sie sich auch, um zusätzlichen Schwung zu liefern oder zum Steuern – und legten sich beim Rückschlag flach, so dass der Dweller durch die Atmosphäre zu rollen schien. Diese Fortbewegungsart nannte man rottern. Sehr alte Dweller büßten oft die Beweglichkeit der Flügelräder an der Außenseite der Scheiben oder auch die Räder selbst ein, behielten aber gewöhnlich die an der Innenseite, so dass sie sich immer noch herumrollen konnten, so gebrechlich sei auch sein mochten.

»Kurz gesagt« , stellte Y’sul schließlich fest, »läuft es darauf hinaus, dass du Choal Valseir suchst, um subjektspezifische Forschungen in einer Bibliothek wieder aufzunehmen, die unter seiner Kontrolle steht.«

»So ungefähr«, nickte Fassin.

»Ich verstehe.«

»Y’sul, du warst mir immer eine große Hilfe. Kannst du mich auch dabei unterstützen«?

»Problem«, sagte Y’sul.

»Problem?«, fragte Fassin.

»Valseir ist tot, und seine Bibliothek wurde den Tiefen übergeben oder wahllos an seinesgleichen, seine Verbündeten, Angehörigen, Spezialistenkollegen, seine Feinde oder auch an zufällig Vorüberkommende verteilt. wahrscheinlich beides.«

»Tot?«, fragte Fassin und ließ sein Entsetzen auf dem Signalpanzer seines Gasschiffs sichtbar werden; ein ganz spezielles Wirtelmuster, das intellektuelle und emotionale Bestürzung über das Hinscheiden eines Dweller-Freundes ausdrückte, der zu allem Unglück im Lauf einer Untersuchung gestorben war, von der man selbst sehr fasziniert war. »Aber er war doch erst Choal! Er hatte noch Milliarden Jahre zu leben!«

Valseir war etwa eineinhalb Millionen Jahre alt gewesen und hatte am Übergang von der Schwellen-zur Weisenperiode gestanden. Choal war die letzte Phase der Schwellenperiode. Das Durchschnittsalter für die Beförderung vom Schwellen-Choal zum Weisen-KIND betrug mehr als zwei Millionen Jahre, aber Valseir war von älteren und angeblich auch klügeren Dwellern trotz seines niedrigen Alters für reif erachtet worden. Er war ein anderthalb Millionen Jahre altes Wunderkind  – jedenfalls, als er noch lebte. Außerdem war er, als Fassin ihn zum letzten Mal gesehen hatte, kräftig, stark und sehr vital gewesen. Gewiss, er hatte seine rotierende Schnauze fast immer in einer Bibliothek vergraben und war nicht viel ins Freie gekommen, trotzdem konnte Fassin nicht glauben, dass er nicht mehr am Leben sein sollte. Bei den Dwellern gab es nicht einmal Krankheiten, an denen er hätte sterben können. Wie konnte er tot sein?

»Segelunfall, wenn ich mich recht erinnere«, sagte Y’sul. »Stimmt das auch?« Fassin spürte, wie der Dweller eine Infoanfrage an die Verbindungswände des Bibliothekssaals schickte. »Ja, es stimmt! Es war ein Segelunfall. Sein SturmJammer geriet in einen besonders üblen Wirbel, und das Schiff fiel einfach auseinander. Er wurde vom Hauptmast oder einer Rah aufgespießt. Erfreulich ist, dass man die Jacht zum größten Teil retten konnte, bevor sie in den Tiefen versank. Er war ein begeisterter Segler. Schrecklich ehrgeizig.«

»Wann war das?«, fragte Fassin. »Ich habe nichts davon gehört.«

»Noch nicht lange her«, sagte Y’sul. »Höchstens zweihundert Jahre.«

»In den Nachrichten wurde nichts gemeldet.«

»Wirklich? Ach! Warte.« (Wieder eine Infoanfrage.) »Ja. Wie ich höre, hat er Anweisung hinterlassen, seinen Tod als Privatsache zu behandeln.« Y’sul dehnte die Spindelarme auf den Radnaben zu beiden Seiten. Streckte sie alle waagrecht nach außen. »Kann ich gut verstehen! Habe das auch getan.«

»Wurde irgendwo festgehalten, was aus seiner Bibliothek geworden ist?«, fragte Fassin.

Y’sul schaukelte wieder, die zwei konischen Riesenräder drehten sich langsam von Fassin weg und kippten wieder nach vorne. Dann verharrte Y’sul im Gas und sagte: »Weißt du was?«

»Was?«

»Nein. Keinerlei Unterlagen! Ist das nicht merkwürdig?«

»Wir … ich würde mich wirklich gern eingehender mit der Sache befassen, y’sul. Kannst du uns dabei helfen?«

»Ganz sicher … äh, da wir gerade von Nachrichten sprechen, hier kommt gerade etwas über eine ungenehmigte Fusionsexplosion nicht weit von da, wo du dich über den WolkenTunnel gemeldet hast. Hat das irgendwas mit dir zu tun?«

Verdammte Scheiße, dachte Fassin wieder einmal. »Ja. Sieht so aus, als hätte es jemand auf mich abgesehen. vielleicht auch auf den Colonel hier.« Er deutete auf Hatherences Schutzanzug, der immer noch neben ihm schwebte. Sie schwieg schon eine ganze Weile. Fassin war nicht sicher, ob das ein gutes Zeichen war.

»Ich verstehe«, sagte Y’sul. »Und wenn wir schon über den guten Colonel sprechen, ich gebe mir alle Mühe, ihre Berechtigung ausfindig zu machen. Ich meine, wieso ist sie überhaupt hier?«

»Nun«, sagte Fassin, »wir sahen uns durch unprovozierte feindliche Angriffe genötigt, früher als geplant in Nasqueron Schutz zu suchen. Die Genehmigung für den Colonel wurde vor unserer Abreise beantragt, war aber noch nicht eingetroffen, als wir zu unserem Noteintritt gezwungen wurden. Der Colonel ist technisch gesehen ohne offizielle Genehmigung hier und bittet deshalb als Schiffbrüchige, Kriegsflüchtling und obdachlose Gasriesenbewohnerin um Aufnahme.« Fassin drehte sich um und sah den Colonel an. Sie rotierte um ihre Vertikalachse und erwiderte den vom Gasschiff gelenkten Blick. »Sie stellt Antrag auf Asyl«, schloss er.

»Das wird natürlich vorläufig gewährt«, sagte Y’sul. »Obwohl die genaue Bedeutung von ›unprovoziert‹ in einem größeren Zusammenhang umstritten sein könnte und auch die exakte Definition von ›Schiffbrüchige‹ zu diskutieren wäre, wenn man besonders penibel sein wollte. Kann ich davon abgesehen deinen Worten entnehmen, dass da draußen bei euch gewisse Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden?«

»Du hast ganz richtig verstanden«, antwortete Fassin.

»Oh nein, bitte nicht schon wieder einen von euren Kriegen!« , protestierte Y’sul und rollte in einer Weise den ganzen Körper zurück, die es dem Menschen vergleichsweise leicht machte, die Bewegung als Gegenstück eines Augenverdrehens zu interpretieren.

»Nun, man muss es wohl so nennen«, gestand Fassin.

»Mit welcher Begeisterung ihr euch gegenseitig Schaden zufügt, erstaunt, entzückt und entsetzt mich immer wieder.«

»Wie man hört, bahnt sich zwischen Zone 2 und Gürtel C ein Formalkrieg an«, bemerkte Fassin.

»Das hat man mir auch erzählt!«, strahlte Y’sul. »Glaubst du wirklich, dass es dazu kommt? Ich bin offen gestanden nicht sehr optimistisch. Meines Wissens wurden einige schauderhaft fähige Unterhändler zugezogen … Ach ja. Dein Rumpfpanzer, der dir so ungenügend den bedauerlicherweise fehlenden Körper ersetzt, zeigt Hinweise, denen ich entnehme, dass deine Bemerkung eben sarkastisch gemeint war.«

»Schon gut, y’sul.