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»Verzeihung«, sagte Colonel Hatherence scharf zu einem Dweller, der in dem allgemeinen Gedränge, das durch den ganzen Raum ging, um dem Harnischteil freie Bahn zu schaffen, gegen sie gestoßen war.

»Gewährt!«, sagte der Dweller und setzte sein Gespräch mit einem von Y’suls Verwandten fort.

Y’sul schickte sich an, Hauskip zu verlassen und mit seinen Schützlingen, fassin und der Oerileithe, in den Krieg zu ziehen. Seine neue Kampftracht war erst heute Morgen (mit kudosvermehrender Schnelligkeit!) geliefert worden, und mit ihr waren allerlei Geschenke von Freunden und Verwandten eingetroffen. Die meisten der edlen Spender hatten es offenbar für ihre Pflicht gehalten, ihre überwiegend nutzlosen oder sogar gefährlichen Gaben persönlich zu überreichen und dabei Unmengen von widersprüchlichen, aber dafür umso lauteren Ratschlägen von sich zu geben.

Y’sul war sehr aufgeregt und fand es schmeichelhaft, dass man ihm so viel Beachtung schenkte. Er hatte alle Besucher zu einem kleinen Imbiss in seine Garderobe gebeten und war nun dabei, seine neuen Kleider anzuprobieren und sich zu vergewissern, dass ihm der antike Panzer, ein Familienerbstück, noch einigermaßen passte und sich mit all dem Krimskrams kombinieren ließ, den er dazubekommen hatte. Fassin zählte mehr als dreißig Dweller in diesem Raum, einem der größten in dem radförmigen Haus. Es gab ein Sprichwort, wonach ein Dweller die Vorstufe zu einem Streit war, zwei eine Verschwörung und drei ein Aufruhr. Was eine Versammlung von mehr als dreißig Exemplaren darstellen sollte, wusste er nicht genau, aber mit taktvoller Zurückhaltung hatte es sicher nichts zu tun. Der Lärm hallte von den gewölbten Wänden wider. Die Kleidung tat alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Über alle freiliegenden Körperteile flimmerten ausdrucksstarke Muster wie abstrakte Videoinstallationen. Magnetwellen plätscherten durch den Raum, Infraschall wurde Verwirrung stiftend von Wand zu Wand reflektiert, und eine berauschende Mischung von Pheromonen erzeugte überall wilde Ausbrüche von Dweller-Heiterkeit.

Gibt es noch andere Führer/Beschützer, die wir anwerben könnten?, fragte Hatherence und presste sich unterhalb von Fassin an die Wand, als sich ein weiterer mit Geschenken beladener Dweller durch die Menge auf Y’sul zuschob.

Eigentlich nicht, antwortete Fassin. – Als Y’sul sich damals als Mentor für Onkel Slovius zur Verfügung stellte, musste er in der Gilde der Beschützer/Mentoren beträchtliche Kudos-Einbußen hinnehmen, weil er sich mit einem Fremdweltler, noch dazu einem Alien einließ. Irgendwann hat er die Verluste wieder wettgemacht, aber es war eine mutige Entscheidung, zu der nicht viele bereit wären. Jemand Neuen zu suchen und wieder von vorne anzufangen, würde Jahre dauern, selbst wenn Y’sul damit einverstanden wäre.

Ein kleines, rundes, rosarotes Ding prallte gegen den Schutzanzug des Colonel und blieb daran kleben. Sie streifte es ab. – Was ist das denn?, fragte sie ärgerlich.

– Nur ein Ausdruck von Gastfreundschaft, sendete Fassin resigniert.

Bobfrüchte, wergbälle, Gummilüster-Sträucher und schwankende Windtabletts mit Süßigkeiten, Stimmungsballons, Narkocremes und Partyzäpfchen schwebten oder tanzten durch den Raum. Die Gäste bedienten sich ungeniert und aßen, schluckten, schnieften, massierten oder führten ein, was das Zeug hielt. Der Lärm schwoll von Minute zu Minute weiter an, die Kollisionen wurden häufiger – immer ein sicheres Zeichen dafür, dass Dweller die Kontrolle verloren. (Viele laute Schläge, hastiges ›Verzeihung!‹, unerwartetes Abkippen und Ausbrüche von besonders grölendem Gelächter beseitigten auch die letzten Zweifel daran, dass viele der Anwesenden ihren Auftrieb nicht mehr im Griff hatten).

Du meine Güte, sagte Fassin. – Das scheint zu einer Party zu entgleisen.

– Sind diese Leute etwa berauscht?, fragte Hatherence. Es klang aufrichtig schockiert.

Fassin wandte sich ihr zu und signalisierte Ungläubigkeit. – Colonel, sagte er. – Sie sind selten in einem anderen Zustand.

In Y’suls Nähe war ein Knall zu hören und jemand schrie auf. Mitten im Gas war eine Bobfrucht zerplatzt und sank nun langsam zu Boden. Die Umstehenden wischten sich das schaumige Fruchtfleisch von der Kleidung.

»Hoppla!«, sagte Y’sul unter allgemeinem Gelächter.

Er kann nicht der einzige Führer sein!, protestierte der Colonel. – Was ist mit den anderen Sehern? Sie haben doch sicher auch einen Führer?

– Schon, aber es ist eine sehr persönliche, exklusive Beziehung. Seinen Beschützer/Mentor zu entlassen, wäre eine schwere Beleidigung. alle würden an Kudos verlieren.

– Major Taak, wir können uns keine Sentimentalitäten leisten! Wenn es auch nur eine kleine Möglichkeit gibt, einen besseren, nicht ganz so schwachsinnigen Führer zu finden, sollten wir zumindest zu suchen anfangen.

– Alle Beschützer/Mentoren gehören einer Gilde an, Colonel. Das ist wie in einer Gewerkschaft. Wenn Sie einen davon entlassen, sind Sie für alle anderen gestorben. Natürlich könnten Sie irgendeinen Clown finden, der sich als Führer, Mentor, Beschützer oder sonst etwas anbietet – wahrscheinlich würden sie sogar Schlange stehen – aber das wären sehr junge und dumme oder sehr alte und … äh … exzentrische Dweller, die Sie eher in Schwierigkeiten brächten als Ihnen aus solchen herauszuhelfen. Außerdem würde die Gilde der Beschützer/Mentoren Sie von Anfang an schikanieren, und die große Mehrheit der anderen Dweller würde kein Wort mit Ihnen reden. Besonders die Bibliothekare, Archivare, Antiquare, Exo-Spezialisten – kurzum, all die Leute, auf die wir am dringendsten angewiesen sind – würden Ihnen nicht einmal Guten Tag sagen.

Sie machten Platz für Y’suls Diener Scholisch, der mit einem zweiteiligen, auf Hochglanz polierten Spiegelharnisch aus dem Nebenraum kam. Scholisch war ein schmächtiger Halbwüchsiger, erst ein paar hundert Jahre alt, kaum zu drei Vierteln ausgewachsen. Kammerdiener, die mindestens zwei Generationsstufen jünger waren als ihre Herren, waren in der Dweller-Gesellschaft durchaus keine Seltenheit, besonders, wenn sich der ältere Dweller für einen Hobbyberuf entschieden hatte, der ein Studium und/oder eine Ausbildung voraussetzte, so dass der Diener eine faire Chance hatte, seinerseits die Anfangsgründe des betreffenden Metiers zu erlernen. Die besseren Herren betrachteten ihre Diener eher als Lehrlinge, und gelegentlich gab es auch ganz besondere Exzentriker, die ihre Untergebenen fast wie Gleichgestellte behandelten.

Y’sul hatte sich gegen derart sentimentale Regungen bislang erfolgreich gewehrt.

»Das wurde ja auch Zeit, du Schleimwarze mit dem Puddinghirn!« , brüllte er Scholisch an und entriss ihm den Harnisch. »Du musstest den Panzer wohl erst schmieden oder weben? Oder hast du dein Spiegelbild bewundert und alles andere darüber vergessen?«

Scholisch murmelte eine Entschuldigung und verzog sich.

Ich weigere mich zu glauben, dass wir so machtlos sind, wie Sie unterstellen, Major, erklärte der Colonel.

Fassin sah die Oerileithe an. – Wir sind hier nur geduldet, Colonel. Es kommt vor, dass die Dweller plötzlich ohne erkennbaren Grund von einer ganzen Seher-Spezies genug haben. Niemand konnte bisher hinter solchen Reaktionen ein System erkennen. Man stellt nur plötzlich fest, dass man nicht mehr willkommen ist und das auch für alle Artgenossen gilt. Solange die Dweller noch dabei sind, eine eben erst zivilisierte Spezies kennen zu lernen, passiert so etwas gewöhnlich nicht, aber auch darauf kann man sich nicht verlassen. Auf jeden Fall kann sich der Einzelne ihre Gunst verscherzen – das habe ich selbst schon erlebt – und auch dafür gibt es meist keine Erklärung. Jedes Mal, wenn ich hierher komme, muss ich darauf gefasst sein, dass man diesmal für alle Zeiten nichts mehr mit mir zu tun haben will, obwohl bei meinem letzten Besuch noch alle Welt freundlich und hilfsbereit war. (Der Colonel lachte spöttisch.) Womöglich gibt man mir einen Tag Zeit, um zu verschwinden, bevor man Jagd auf mich macht. Jeder Trip – ob virtuell oder nicht – kann so enden. Als Seher muss man sich daran gewöhnen. Die Dweller brauchen einen gar nicht persönlich zu kennen; es ist schon vorgekommen, dass Seherkandidaten, die Jahrzehnte lang ausgebildet wurden und Jahrtausende alten, hoch geachteten Seher-Septen angehörten, gleich bei ihrem allerersten Trip zu hören bekamen, sie könnten sich die Mühe sparen, sie bräuchten nicht wiederzukommen. Dass man Sie so ohne weiteres akzeptiert, ist ein kleines Wunder. Und vergessen Sie nicht, y’sul hat sich offiziell für Sie verbürgt. Nur deshalb werden Sie nicht ständig wegen unbefugten Eindringens zur Rechenschaft gezogen.