»Du solltest betonen, dass es sich um einen größeren Angriff und die vorübergehende Besetzung eines begrenzten Gebiets durch aggressive Patrouillen handeln könnte, aber von einer Invasion nicht die Rede ist.«
»Und wo soll das stattfinden?«, fragte Setstyin. »Oder willst du behaupten, du hättest keine Ahnung?«
»Wir haben Anweisung, in oder ganz in der Nähe der neuen Formalkriegszone zu suchen.«
Setstyin ließ die Nabenarme fallen. Die Geste hatte etwa die gleiche Bedeutung, als wenn ein Mensch die Augen verdrehte. »Natürlich, wo sonst?«
»Ich nehme an, es ist völlig ausgeschlossen, dass der Krieg abgesagt oder verschoben wird?«
»Nichts ist unmöglich, aber dazu reicht es nicht, dass ein einfaches Partytier wie ich ein paar Worte in ein hochgestelltes Ohr flüstert. Denk nach: es besteht die Aussicht, dass es zu echten feindseligen Aktionen gegen uns kommt, zu einem Alien-Angriff in Nasquerons Winden, und du willst, dass wir einen Formalkrieg absagen? Da zetteln wir schon eher noch ein paar Kriege an, um zu zeigen, wie gefährlich wir sind, und um ein wenig in Übung zu kommen.«
»War ja nur eine Frage.«
»Wann brichst du in die Kriegszone auf?«
»Morgen früh, Ortszeit Hauskip.«
»Aha. Früh genug für die Eröffnungszeremonie.«
»Vielleicht habe ich andere Dinge im Kopf.«
»Hmmm. Wenn ich höheren Orts ein Wort über deine Warnung verliere, könnte das durchaus zur Folge haben, dass du von interessierten Parteien auf Schritt und Tritt beobachtet wirst, das ist dir doch klar?«
»Und unter normalen Umständen käme das nie vor? Ja, das ist mir klar.«
»Ich wünsche dir alles Gute, Fassin Taak.«
»Danke.«
Setstyin spähte auf den Kameraschirm und registrierte, wo Fassin sich befand. »Hat Y’sul kein Kudos mehr bei der Telefongesellschaft?«
»Ich habe noch einen zweiten Beschützer/Mentor in Gestalt einer Oerileithe. Sie ist Colonel bei den Streitkräften der Merkatoria und würde meine Handlungsweise vielleicht nicht verstehen. Ich habe mich davongeschlichen, um dich anzurufen.«
»Klingt sehr nach Mantel und Degen. Viel Glück bei der Suche, Fassin. Und lass wieder von dir hören.«
»Wenn du das siehst, Sal, bin ich tot. Natürlich weiß ich nicht, unter welchen Umständen ich gestorben sein werde. Ich stelle mir gern vor, dass ich tapfer und ehrenvoll im Kampf gefallen bin. Ich glaube eher nicht, dass du dir das ansiehst, weil mir friedlich im Schlaf die Holzpantinen von den Füßen gerutscht sind, denn das gedenke ich nicht zuzulassen, jedenfalls nicht, bevor etwas geschieht, das auch mit dir zu tun hat. Ein friedlicher Tod … eigentlich – hoffentlich – hieße das, dass du bereits vor mir gestorben wärst.
Die Sache, um die es geht, hat irgendwo auch mit Fass zu tun, wenn auch nicht auf die gleiche Weise. Mit dir und mir und Fass und Ilen. Die arme Ilen. Ilen Deste, Sal. Erinnerst du dich noch? Vielleicht auch nicht. Es ist alles so lange her, für alle von uns, aus verschiedenen Gründen, die letztlich alle auf das Gleiche hinauslaufen. Bei dir sind es die Behandlungen, bei Fass ist es die ›Langsam‹-Zeit und bei mir der Einsteineffekt, weil ich zu lange knapp unter Lichtgeschwindigkeit geflogen bin. Die Zeit konnte keinem von uns etwas anhaben, nicht wahr, Sal?
Wahrscheinlich hast du Ilen und was mit ihr passiert ist, aber doch nicht vergessen, denn schließlich war es für uns alle ein traumatisches Erlebnis. Wenn etwas so schrecklich und so dramatisch war, vergisst man es nicht wirklich. Wie könnte man auch? Man hat Albträume, manchmal überfällt einen die Erinnerung sogar bei Tag. Hast du das auch festgestellt? Mir geht es so. Manchmal gibt es eine gute Erklärung dafür, wenn man etwa auf dem Bildschirm jemanden sieht, der an den Fingerspitzen über einem Abgrund hängt, besonders, wenn es eine Frau ist. Auf dem Bildschirm werden die Leute natürlich meistens gerettet. Nicht immer, aber meistens. Aber manchmal kommt es auch … wie aus dem Hinterhalt. Ich mache etwas ganz Alltägliches, ohne jeden … Bezug, ohne einen … Stimulus, eine logische Verbindung, die die Erinnerungen heraufbeschwören könnte, und plötzlich bin ich wieder mit dir und Fass und Ilen in dieser riesigen alten Drecksau von einem Schiff.
Kennst du das? Mir passiert es immer noch, auch nach all den Jahren. Dabei sollte es inzwischen wirklich aufgehört haben. Verdammt, auch ohne die in der Nähe von c gestohlenen Jahre müsste es doch, du weißt schon, verdorrt, abgefallen sein. Sieh mich an; ich bin einundsechzig Jahre alt, Eigenzeit, wie man mir sagt. Fit wie eh und je, ich schlafe immer noch mit Jungs, die ein Drittel so alt sind, und – sehe ich etwa aus wie sechzig? Ich hoffe nicht. Aber meinst du nicht auch, ich müsste die ganze Geschichte inzwischen überwunden haben?
Die Zeit heilt alle Wunden und so weiter? Hat einfach nicht geklappt.
Also, geht es dir nun auch so? Klingelt es irgendwo, wenn du das hörst? Das wüsste ich wirklich gern. vielleicht finden wir es eines Tages heraus. Vielleicht kann ich dir die Frage stellen, vielleicht bekommst du das nie zu sehen, aber wir finden es irgendwann gemeinsam heraus. Vielleicht sieht sich die Aufzeichnung auch jemand anderer an. Eigentlich ist sie nicht für fremde Augen bestimmt, aber ich habe einen riskanten Beruf, und niemand weiß, was geschieht, wenn das Band fertig ist.
Jedenfalls solltest du Folgendes wissen: Ich weiß, was geschehen ist, und ich habe die Absicht, dich zu töten, Sal. Oder ich hatte sie. wie gesagt, wenn du dir das ansiehst, bin ich tot, und du lebst noch. Ich bin allerdings fest entschlossen, dich noch aus dem Grab heraus zu verfolgen, Sal, alter Junge. Mir ist klar, dass das nicht einfach ist, aber ich habe mich während meiner ganzen Karriere bemüht, eine Machtposition zu erreichen. Innerhalb der Navarchie so mächtig zu werden, dass ich bloß mit den Fingern zu schnippen brauche, und die Schlachtschiffe fahren ihre Triebwerke hoch, setzen den Kurs und starten. Ich habe Netzwerke geknüpft, mir Freunde geschaffen, verbündete gesucht, Liebhaber genommen, Prüfungen abgelegt und bin Risiken eingegangen, nur um eines Tages mächtig genug zu sein, um es mit einem Mann aufzunehmen, dem inzwischen wahrscheinlich fast das ganze System gehört. Der Portal-Zusammenbruch hätte mich fast aus der Bahn geworfen – und hat meine Pläne sehr verzögert –, aber ich schätze, wenn ich endlich nach Hause komme oder wenn das eintritt, was ich für den Fall meines Todes geplant habe, bist du immer noch am Leben und hast Spaß daran.
Natürlich kann ich dir nicht allzu viel sagen. Wie käme ich dazu, dich zu warnen? Du hast ohnehin alle Vorteile auf deiner Seite, nicht wahr? Bis auf das Überraschungsmoment vielleicht. Bist du jetzt überrascht? Wenn du dir das anhörst, wenn du mich siehst? Fragst du dich, was passieren wird? Frage dich ruhig. Frage dich, Sal, und hör nicht auf damit, hör nicht auf, dich zu fürchten, denn wenn du Angst hast, lebst du vielleicht ein wenig länger. Nicht viel. Ganz sicher nicht allzu lang, aber lange genug.
Ich denke, das reicht jetzt, meinst du nicht auch? Es ist sicher die längste Rede, die einer von uns jemals gehalten hat, auch damals, als wir noch zusammen waren, vor Urzeiten. vielleicht länger als alles, was wir jemals miteinander gesprochen haben. vielleicht nicht ganz.