Der Captain hieß Slyne und war erst vor kurzem ins Erwachsenenstadium eingetreten, weshalb er sich noch wie ein feuriger Dweller-Jüngling benahm. Er hatte die Poaflias nach dem Tod seines Vaters geerbt. Die Dweller hielten am Konzept des Kollektiverbes fest. wenn einer von ihnen starb, ging sein rechtmäßig erworbenes Vermögen zu fünfzig Prozent an einen Erben seiner Wahl, die andere Hälfte fiel an die Verwaltungseinheit, in der er gelebt hatte. So kam es, dass sich nur ein Rumpf der zweirümpfigen Poaflias in Slynes Besitz befand. Die andere Hälfte des Schiffs gehörte der Stadt Munueyn, die sie gegen große Mengen Kudos an ihn vermietete. Je weniger Slyne mit dem Schiff tatsächlich anfangen konnte, desto mehr würde er die Kontrolle darüber verlieren, bis sich die Stadt irgendwann mit Fug und Recht als Volleigentümer bezeichnen durfte; dann könnte er nur noch an Bord bleiben, wenn er das Schiff so einsetzte, wie es die Stadt von ihm verlangte. Mit dieser Expedition, die er auf eigene Verantwortung durchführte, hoffte er nun, seinem Ziel, dem Eigentum am ganzen Schiff, einen großen Schritt näher zu kommen.
»Dürfen wir uns deshalb nur auf einem Rumpf aufhalten?«, fragte Hatherence den Captain. Sie befanden sich auf dem Vorderdeck, einem ziemlich wackeligen Gebilde aus Fasern und Folien, das aus der verschrammten Schiffsnase sprießte. Y’sul hatte hier ein Harpunengeschütz entdeckt und wollte seine Begleiter zu einem Wettschießen herausfordern, sobald sie einen geeigneten Abschnitt durchquerten. Die Gegend zwei Tage hinter Munueyn galt offenbar als gutes Jagdrevier – allerdings hatte man bisher noch kein lohnendes Ziel für die Harpune gesichtet.
»So ist es!« Slyne hüpfte aufgeregt über dem Deck auf und ab. »Je weniger ich den zweiten Rumpf benütze, desto weniger schulde ich der Stadt!« Captain Slyne hatte die Rolle des Ausgucks übernommen und suchte nach einem Ziel. Dazu schwebte er hoch über dem Schiff, wo er alles im Blick hatte, und hielt sich an der Takelage fest. Sie machten gute Fahrt durch das mattrote Gas. Slyne brauchte den Halt, um nicht vom Gasstrom nach hinten davongerissen zu werden. Gute Fahrt bedeutete in diesem Fall weniger als ein Viertel der Durchschnittsgeschwindigkeit des Panzerkreuzers Sturmschere, aber das Gas war hier unten dicker und der Strömungswiderstand entsprechend größer.
»Da ist etwas!«, schrie Slyne und zeigte nach Steuerbord.
Alle wandten sich dorthin.
»Nein! Falsch«, rief Slyne vergnügt. »’tschuldigung.«
Slyne nahm seine Rolle als Captain ernst. Er hatte sich mit Unmengen von zumeist nutzlosem, antikem Marinezubehör wie einem Fernglas, einem Höhenmesser, einem museumsreifen Funkgerät, einem zerkratzten Hagelschild, einer blanken Uraltpistole mit Halfter und einem Strahlenkompass ausgerüstet. Seine Kleidung und sein Halbpanzer sahen ziemlich neu aus, aber der Schnitt war antik. An jedem Nabengürtel hingen zwei Haus-Föten.
Haus-Föten waren Dweller-Junge, die sich nicht einmal bis zum kinder-Stadium hatten entwickeln dürfen. Das lag im Allgemeinen daran, dass ein besonders ungeduldiger weiblicher Dweller keine Lust mehr hatte, bis zum Geburtstermin zu warten, und das Junge einfach abtrieb. Die Föten eigneten sich als Haustiere. Dweller waren schon kurz nach der Empfängnis allein lebensfähig, aber die Föten entwickelten sich intellektuell nicht mehr weiter und waren völlig hilflos, wenn sie niemanden hatten, der sie beschützte.
Slynes Vierlinge – die Frage, ob es wirklich seine eigenen waren, wäre taktlos gewesen – sahen aus wie kleine, aufgeblähte Mantarochen mit heller Haut und langen, dünnen, fast nutzlosen Tentakeln. Sie stießen andauernd gegen ihren Herrn, kollidierten miteinander und verhedderten sich in den Haltegurten. Als Mensch empfand Fassin den Anblick natürlich als schockierend, außerdem hatte er das bedrückende Gefühl, die Föten spielten die gleiche Rolle wie einst die Papageien auf der alten Erde.
»Diesmal habe ich wirklich etwas entdeckt!«, rief Slyne und zeigte steuerbords nach unten. Zweihundert Meter entfernt stieg aus den dunkelroten Gastiefen ein kleines schwarzes Objekt empor.
»Ich hab’s!«, brüllte Y’sul und traktierte die Gegengewichte der Geschützplattform mit Tritten und Stößen, bis sie sich so weit neigte, dass er die Harpune nach unten richten konnte.
»Ein Tschuffer-Samen!«, rief Scholisch. »Es ist der Samen eines Tschuffer-Baums!«
»Augenblick mal, Y’sul«, sagte Fassin, hob vom Deck ab und schwebte nach oben. »Ich will mir das genauer ansehen.« Das Gasschiffchen raste von der Poaflias weg und flog in weitem Bogen nach unten, der immer noch langsam steigenden schwarzen Kugel entgegen.
»Aus dem Weg!«, schrie Y’sul dem Menschen zu. Fassin hatte Y’suls Schießkünste schon vorher beobachtet und darum vorsichtshalber die Kurve beschrieben.
»Bitte warte noch!«, rief er zurück.
Y’sul schüttelte sich, richtete das Geschütz auf die schwarze Kugel und legte seine Greiferfinger um den Abzug.
Oben in der Takelage beugte Slyne sich vor. Zwei seiner Föten wickelten sich um ein Stag und hielten ihn fest. Er schaute nach oben, schnalzte besorgt mit der Zunge, hielt sich das Fernglas vor einen Teil seines Sensorsaums, der besonders dicht mit Rezeptoren besetzt war, und betrachtete den schwarzen Ball. »Äh … eigentlich …«, begann er.
Hatherence hüpfte plötzlich in die Höhe.»Y’sul! Aufhören!«
»Ha-ha!«, lachte Y’sul, zog den Abzug durch und feuerte. Die Plattform erbebte, das Geschütz machte einen Satz und fiel mit lautem Krach zurück. Sobald sich die Harpune in sicherem Abstand befand, sprangen die beiden Raketenmotoren heraus und zündeten, und aus einem Fach unter der Plattform schoss pfeifend die dünne schwarze Leine, die mit dem Projektil verbunden war. Die Harpune raste durch das Gas auf die Stelle zu, wo sich das schwarze Objekt in wenigen Sekunden befinden würde. »Hmm«, machte Y’sul. Es klang ein wenig überrascht. »Einer meiner besseren …«
»Es ist eine Mine!«, brüllte Slyne.
Scholisch schrie aus Leibeskräften.
– Fassin, Sie müssen weg von diesem Ding!, sendete Hatherence.
Das Gasschiffchen wendete sofort und strebte mit schwirrenden Rotoren nach oben.
»Wie? Was?«, fragte Y’sul.
Slyne zog seine Pistole aus dem Halfter und zielte auf die Harpune. Die Waffe blockierte nach dem ersten Schuss.
»Könnte es eine Atommine sein?«, rief der Colonel. Ein schrilles Winseln drang aus ihrem Schutzanzug.
»Unbedingt!«, stieß Slyne hervor. Er schüttelte fluchend die Pistole, dann schlug er auf sein Funkgerät. »Maschinen! Volle Kraft zurück!« Wieder schüttelte er die Waffe. »Verdammte Skrits!«
Hatherence warf sich zur Seite.
Y’sul schaute auf die Harpune, die genau auf die schwarze Kugel zufiel, und dann auf die Geschützplattform. »Scholisch!«, bellte er. »Schnapp dir die Leine!«
Scholisch stürzte sich auf die sirrenden schwarzen Schlingen, die aus dem Fach unter dem Geschütz gezogen wurden, bekam das Seil zu fassen und wurde sofort auf die Seitenwand zu gerissen. Er brach durch die Stützen, verhedderte sich in der Trosse und wurde jäh gestoppt, bevor ihn der Gasstrom weiter hinten auf das Deck schleuderte. Sobald die Harpune von der Leine befreit war, wurde sie noch schneller und hielt weiter auf die Mine zu. Hatherence entfernte sich von der Poaflias. Fassins Pfeilschiff befand sich noch in der Wendung, beschleunigte weiter, war aber der Mine immer noch näher als das Schiff.
»Verdammte Sch…«, sagte Y’sul.