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»Und du glaubst also wirklich daran? Ganz aufrichtig?«

»Aber gewiss doch! Es ist der rationale Glaube. Er wird von schlichter Logik bestimmt. Man kann sich ihm nicht entziehen, und das wissen Sie besser als ich. Ich glaube, Sie wollen mich nur necken.« Das Mädchen wandte den Blick ab und lächelte, kokett, schüchtern, vielleicht etwas beunruhigt. Es wäre sogar möglich, dass sie es wagte, beleidigt zu sein.

Er fasste mit einer Hand in ihr Haar und zog ihr Gesicht – eine schwarz-goldene Silhouette vor einer Hand voll ferner Sterne – zu sich heran. »Mein liebes Kind, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie jemanden geneckt, das kannst du mir glauben.«

Darauf wusste das Mädchen nichts zu erwidern. Sie sah sich um, betrachtete vielleicht die matten Sterne hinter dem Glas, vielleicht das schneeweiße, flauschige Bettzeug für Niedrigschwerkraft, vielleicht die vielen Bildschirme um das kleine Liebesnest, auf denen in allen schockierenden Einzelheiten die denkbar phantasievollsten Geschlechtsakte zu sehen waren. Vielleicht ging ihr Blick auch zu ihren beiden Gefährtinnen, die sich zusammengerollt hatten und schliefen.

»Gut«, sagte sie, »Sie wollten mich also nicht necken, ich will Ihnen nichts unterstellen. vielleicht machen Sie sich nur über mich lustig, weil Sie so viel klüger und gebildeter sind als ich.«

Das, dachte der Archimandrit, träfe es vielleicht eher. Aber er hatte immer noch keine Gewissheit. Trug dieses junge Ding wirklich noch immer die ›Wahrheit‹ im Herzen, obwohl er den ganzen Unsinn schon vor so vielen Normalgenerationen in aller Form abgeschafft hatte?

Eigentlich spielte es überhaupt keine Rolle; solange niemand anfing, auf der Basis seiner Religion eine Verschwörung gegen ihn anzuzetteln, kümmerte es ihn herzlich wenig, was andere wirklich dachten. Gehorcht mir, fürchtet mich. Hasst mich, wenn ihr wollt. Aber tut niemals so, als würdet ihr mich lieben. Mehr verlangte er nicht. Der Glaube war nur ein weiteres Druckmittel wie das Gefühl, wie die Empathie, wie die Liebe (oder was die Leute dafür hielten, was sie als Liebe bezeichneten, jenen kleinen, eingebildeten, vielleicht auch erlogenen Bereich abseits der Wollust. wollust war aufrichtig. Und natürlich ebenfalls ein Druckmittel).

Dennoch wollte er es wissen. Ein weniger zivilisierter Mann in seiner Position hätte vielleicht erwogen, das Mädchen foltern zu lassen, um ihm die Wahrheit zu entreißen, aber wenn man anfing, wegen solcher Fragen zu foltern, sagten einem die Leute bald einfach das, wovon sie glaubten, man wolle es hören  – nur damit der Schmerz aufhörte. Das hatte er schon sehr früh begriffen. Es gab eine bessere Möglichkeit.

Er griff nach der Fernbedienung und beschleunigte die Rotation der Kapsel, bis wieder die Illusion von Schwerkraft entstand. »Geh vor dem Fenster auf alle viere«, befahl er dem Mädchen. »Es ist wieder so weit.«

»Natürlich, ganz wie Sie wollen.« Das Mädchen nahm rasch die gewünschte Position ein und kauerte vor dem heranrasenden Sternenfeld, das scheinbar nicht von der Stelle wich, obwohl die Kapsel sich drehte. Die hellste Sonne genau im Zentrum des Fensters war Ulubis.

Lusiferus hatte seine Geschlechtsorgane auf jede nur erdenkliche Weise aufrüsten lassen. Nun hatte er unter anderem Drüsen im Körperinneren, die es ihm gestatteten, viele verschiedene Sekrete – Irritantien, Halluzinogene, Cannabinoide, Capsainoide, Schlafmittel und Wahrheitsseren – zu produzieren und mit seinem Ejakulat in den Körper seines Geschlechtspartners einzuschleusen (während er selbst natürlich gegen die Wirkung immun war). Nun versetzte er sich in die Kurztrance ›Kleiner Tod‹, ein petit mal, das es ihm erlaubte, eine der Substanzen auszuwählen. Er entschied sich für die am letzten erwähnte, die Wahrheitsdroge.

Er nahm das Mädchen anal; so trat die Wirkung schneller ein.

Er musste feststellen, dass sie wirklich an die ›Wahrheit‹ glaubte.

Daneben erfuhr er, dass sie ihn für uralt und unheimlich hielt, für einen perversen Sadisten, der ihr Angst machte, und von dem sie sich nur mit äußerstem Widerwillen ficken ließ.

Er erwog, ihr Thanaticin einzuspritzen oder sie mit einer der physischen Optionen zu bestrafen, die ihm dank seines aufgerüsteten Penis zur Verfügung standen: etwa mit dem geschorenen Rossschweif. Er könnte sie auch einfach ins Vakuum stoßen und zusehen, wie sie starb.

Doch dann entschied er, ein Leben in ständiger Erniedrigung sei Strafe genug. Hatte er nicht immer gesagt, er wolle verabscheut werden?

Er würde sie zu seiner Favoritin machen. Wahrscheinlich empfahl es sich, sie unter Selbstmordüberwachung zu stellen.

Nach Ansicht der Dweller unterschied sich das empfindungsfähige Lebewesen letztlich durch die Fähigkeit zu leiden von jeder anderen Lebensform. Damit war nicht nur die Fähigkeit gemeint, körperlichen Schmerz zu empfinden, sondern echtes Leiden, jene Art von Leiden, die umso schlimmer war, weil das betroffene Lebewesen die Erfahrung in vollem Umfang auskosten konnte. Es konnte sich an Zeiten erinnern, als es nicht gelitten hatte, sich auf Zeiten freuen, wenn das Leiden aufhörte (oder überzeugt sein, dass es niemals enden würde und daran verzweifeln – Verzweiflung war ein wesentlicher Bestandteil des Erlebens), und es konnte erkennen, dass es nicht zu leiden bräuchte, wenn die Dinge anders gelaufen wären. zum Leiden gehörte nämlich Verstand. Phantasie. Jeder hirnlose Schleimklumpen mit einem rudimentären Nervensystem konnte Schmerz empfinden. Zum Leiden brauchte man Intelligenz.

Nun spürten die Dweller natürlich keinen Schmerz und bestritten auch, jemals zu leiden, allenfalls unter einem Dummkopf, der bedauerlicherweise zur Familie gehörte, oder unter den verheerenden körperlich-seelischen Symptomen eines schweren Katzenjammers. Damit waren sie nach ihrer eigenen Definition nicht wirklich empfindungsfähig. An diesem Punkt pflegte der durchschnittliche Dweller, der selbstverständlich überzeugt war, seine Spezies umfasse nach jedem nur denkbaren Maßstab die empfindungsfähigsten und intelligentesten Wesen überhaupt, seine Nabenarme zu spreizen, den Flossensaum zu schütteln und lauthals von Paradoxien zu reden.

Fassin stellte sich in Drehrichtung und ließ sich vom fünfhundert Stundenkilometer schnellen Jetstream mittragen. Reglos. Dann slippte er und suchte sich einen kleinen Wirbel, einen Kringel nur, eine winzige, gelbweiße Strähne von zwei Kilometern Durchmesser in den leeren orangefarbenen, roten und braunen Himmelsweiten. Er glitt durch das Gas und spürte es feucht und glitschig auf der Stirn des Pfeilschiffs. eine Weile ließ er sich langsam im Kreis herumtragen, bevor er die Nase nach unten drückte und in gemächlichen Spiralen durch Schleier und Wolken und das allmählich dichter und schwerer werdende Gas hinabsank. Als die Temperaturen erträglich waren, stellte er sich waagrecht und tat etwas, was er noch nie gewagt hatte: er öffnete das Kanzeldach des Gasschiffchens und ließ die Atmosphäre herein, ließ Nasqueron herein, ließ zu, dass es seine nackte, menschliche Haut berührte.

Alarmsignale schrillten und blinkten, und seine Augen brannten, als er sie öffnete. Von allen Seiten drang schwach rötliches Licht auf ihn ein. Er hatte immer noch Kiemenwasser in Mund und Nase, Kehle und Lungen, aber jetzt musste er selbst atmen, musste nur mit seinen Brustmuskeln gegen den Sog von Nasquerons Schwerkraftfeld ankämpfen. Doch er war immer noch über den Interfacekragen mit dem Gasschiff verbunden, und als er sich nicht aus eigener Kraft aus dem Schockgelbett erheben konnte, ließ er das Pfeilschiffchen allmählich mit der Nase abkippen, bis er zu drei Vierteln senkrecht stand.

Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Er wurde langsam durch das Gel nach unten gedrückt, bis er zumindest teilweise auf der Schmalseite des engen Sarges stand. Füße und Beine protestierten gegen das ungewohnte Gewicht.