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Bei solcher Einstellung und einem solchen Vornamen war es freilich unmöglich, Waffenhändler oder etwas ähnliches zu werden. Er wurde Chemiker, womit man natürlich auch einigen Schaden anrichten kann. Was er aber nicht tat. Noch während seines Studiums begann er, in einem kleinen Privatlabor mit natürlichen Essenzen zu arbeiten und eine Palette neuartiger Hautcremes zu entwickeln. Er ließ sein Studium unbeendet, zog zwanzigjährig in das Land seiner Geburt und gründete in Taipeh ein Unternehmen, dem er den Namen KAI gab, was ausgeschrieben Kallman, Auden & Isherwood bedeutete und nach dem Schriftsteller und seinen beiden Kollegen und Liebhabern benannt war. Übrigens war Auden, unser Auden, kein bißchen schwul. Mit seinen Cremes freilich erfreute er Männer wie Frauen. Unter dem Namen KAI und einem Logo, das sich aus zwei gekreuzten Streifen von grünem Lauch zusammensetzte, produzierte er eine überschaubare Menge hochwertiger Kosmetik, die alsbald in den Ruf gelangte, nicht nur die Haut zu verschönern und dem Alterungsprozeß ein wenig Einhalt zu gebieten, sondern die betreffenden Anwender auch glücklicher zu machen. Wofür die Konkurrenz verbotene psychoaktive Stoffe verantwortlich machte, die allerdings bei diversen Untersuchungen nicht gefunden werden konnten. KAI-Produkte schienen frei von nachweisbaren Drogen, weshalb die Konkurrenz nun anfing, den Placeboeffekt dieser Ware zu behaupten. Aber was auch immer es war, die Cremes verkauften sich bestens, und selbst nach Jahren fand sich niemand, dem die Gesichtshaut abgefallen, dem ein Rüssel gewachsen oder dessen psychische Zufriedenheit in eine Depression umgekippt wäre. Blieb allein der Verdacht, die Kundschaft sei auf diese Cremes süchtig geworden, richtiggehend davon abhängig. Aber das galt für so viele Produkte auf den Märkten der Welt und schien im Falle KAIscher Fabrikate sogar ohne irgendeine Bewußtseinstrübung der Benutzer abzulaufen.

Dazu paßte, daß Auden es unterließ, billiger zu produzieren und in den Massenmarkt einzusteigen. Was notwendigerweise auf Kosten der Qualität gegangen wäre. Auch der Qualität des eigenen Lebens. Nein, Auden bestand auf der exklusiven Nische und erhielt seiner Produktionsstätte den Charme einer Hexenküche. Zudem kam er ohne Zwischenhändler aus, ließ die Ware direkt an die einschlägigen Geschäfte oder Kundinnen versenden. Es gab lange Vorbestellungslisten. Doch für Auden waren seine Cremes Kunstwerke der Schönheitspflege, die wollte er nicht herstellen wie eine Tageszeitung oder eine Vitamintablette.

Natürlich hatte Auden mehrere Übernahmeversuche abwehren müssen, aber weil er nie richtig gewachsen war, blieb er auch unangreifbar. Seine Größe war seine Sicherheit. Er pflegte zu sagen, daß, wenn die Kleinen geschluckt wurden, nicht darum, weil sie klein waren, sondern, weil sie versucht hatten, größer zu werden. Er machte aus seiner Haltung nicht einmal ein Theater, indem er sich etwa als David aufspielte. Er ignorierte die Goliaths und experimentierte weiter mit seinen diversen Wirkstoffen.

Nichtsdestotrotz verfügte Auden Chen über das beherrschte und überlegte Auftreten des Geschäftsmanns, der er ja ebenfalls war. Ein Mann im Anzug, nicht in kurzen Hosen und T-Shirts. Er pflegte seine Kontakte zu den ausgewählten Ladengeschäften, in denen seine Ware vertrieben wurde. Wenn er schon nicht jede seiner Kundinnen persönlich kennenlernen konnte — etwas, was er als Frauenliebhaber durchaus bedauerte — , so wollte er wenigstens den einzelnen Ladenbesitzern begegnen. Auch galt es, die Kontrolle zu bewahren. Es durfte nicht geschehen, daß jemand Mißbrauch mit den KAI-Produkten trieb. Verdünnte, was nicht verdünnt werden durfte. Vermischte, was zu vermischen sich verbot. Indem Auden ständig präsent war — so charmant wie bestimmt — , war er wie jemand, der den Finger auf eine hypothetische Wunde legt. Aber nicht, um in der Wunde zu rühren und einen Schmerz zu verursachen, sondern diese Wunde gar nicht erst entstehen zu lassen. Wobei mit» Wunde «nichts anderes gemeint war als die Bereitschaft des Menschen, der Gier zu erliegen. Diese dumme, kleine Unart, die im ganzen Universum verpönt war, auf der man aber auf der angeblich so schönen Erde ein ganzes komplettes Wertesystem errichtet hatte, bis es sogar gelungen war, die Begriffe Gier und Fleiß zu vertauschen.

Kontrolle also. Darum reiste Auden Chen. Verzichtete jedoch währenddessen nicht darauf, seine Experimente fortzusetzen. Stets hatte er ein Minilabor bei sich, einen kleinen Koffer, für den er eine spezielle Genehmigung besaß, um nicht bei jeder Flughafenkontrolle das betreffende Einsatzkommando auf den Plan zu rufen. So bewahrte er sich an allen Plätzen der Welt das Vergnügen, das eine oder andere Kraut, den einen oder anderen Pilz, mitunter ein aus dem Beton herauswachsendes Blümchen, einen Samen, ein Blatt, hin und wieder den Faden einer Spinne, die Deckflügel eines toten Käfers, dies alles der Natur mit höflicher Geste zu entziehen, zu pulverisieren und der KAI-Basispaste zuzufügen. Er sagte:»Einfach mal sehen, was passiert!«

17

Auden Chen kam also in der Welt herum. Vergaß jedoch nicht das eigene Land, die eigene Insel, die China war und doch nicht China. So schaute er auch immer wieder in Tainan vorbei, wo ein kleiner Laden, eigentlich ein Gemischtwarenladen, die KAI-Produkte exklusiv vertrieb und es sich darum ergab, daß die Damen der Tainaner Gesellschaft zwischen allerlei Plunder standen, zwischen Plastikeimern und Zigarettenschachteln, und die bestellten KAI-Behältnisse in Empfang nahmen (einfache Holzkisten, aber einfach in der Weise, wie man sagen kann, Piet Mondrian habe einfache Gemälde gemalt).

Bei einem dieser Besuche in Tainan war Auden zu einer Party geladen worden, die zu besuchen das gute Benehmen erforderte. Ohnehin war» gutes Benehmen «ein Verhalten, das eigentlich alles, auch Partys, erträglich machte. An diesem Abend aber kam das Glück hinzu, eine deutsche Ärztin kennenzulernen. Nicht die erste deutsche Frau in Audens Leben und mitnichten die erste Ärztin, aber … nun, er wußte sofort, daß er sich in sie verlieben würde. Obgleich er irritiert war, daß sie gelbe Turnschuhe trug, zitronengelbe, während sie im übrigen mit einem so engen wie strengen schwarzen Hosenanzug bekleidet war, zu dem halbhohe, ebenso schwarze Schuhe gepaßt hätten. Na, vielleicht war es ihr Markenzeichen oder entsprach einer Art Ablenkungsmanöver. Ablenkung wovon? Von ihren Augen? Bernsteinaugen, sehr hell, wie von hinten beleuchtet, wie im Museum. Kein verstaubtes Museum, natürlich nicht. Sondern ein Museum, welches um diese zwei so gut wie identischen Bernsteinstücke herum gebaut worden war.

Sie blieb an diesem Abend abweisend. Etwas, das er nicht gewohnt war. Die meisten Frauen setzten seine Person mit seinen Produkten gleich und waren ihm rasch gewogen. Hier war es anders. Vielleicht kannte sie seine Cremes nicht. Er ließ ihr am Tag darauf ein Holzkistchen mit KAIblue heart© zusenden und besuchte sie sodann in dem Krankenhaus, in dem sie arbeitete.