Sie fragte ihn:»Finden Sie denn, ich hätte eine Gesichtscreme nötig?«
«So war es wirklich nicht gemeint, liebe Frau Doktor.«
«Ich werde es einer Freundin von mir schenken.«
Er unterdrückte den Impuls, ihr zu sagen, wieviel dieses Kistchen wert sei, verbeugte sich — nicht japanisch, weil er ja auch kein Japaner war — und verließ das Krankenhaus.
Er gab auf. Ein bißchen schnell, aber lästig zu sein war wirklich nicht seine Art.
Um so überraschter war er, als Tage später sein Handy läutete und sich Frau Dr. Senft meldete. Ja, er hatte die eigene Nummer auf den Boden der KAI-Box notiert, kaum sichtbar. Lana mußte sie entdeckt haben und sagte jetzt auch, wie lächerlich es sei, eine Telefonnummer ohne speziellen Hinweis auf die Unterseite eines Holzkistchens zu schreiben.
Er fragte sie, ob sie ihn darum anrufe, um sich zu beschweren.
«Nein. Ich wollte nur sagen, daß, wenn Sie wieder in Tainan sind, Sie mich gerne besuchen können, wenn Sie wollen.«
«Ich bin morgen dort«, erklärte er augenblicklich. Er hatte es soeben beschlossen.
Er führte sie tags darauf in eine Ausstellung. Danach in eine Bar. Sie erzählte, und er hörte zu.
Einmal fragte sie:»Ihre Cremes sind Hokuspokus, nicht wahr?«
«Was ist das … Hokuspokus?«
«Mumbo jumbo«, sagte sie.
Aber das war es nicht, was er meinte. Das Wort hatte er verstanden. Er erklärte:»Meine Cremes wirken. Wahrscheinlich muß man auch daran glauben, daß sie wirken. Aber gilt das nicht für alles? Ohne den guten Glauben würde auch dieser Whisky hier nicht schmecken.«
Sie betrachtete ihn, als denke sie, die Hirnforscherin, darüber nach, wieviel guter Glauben nötig sei, um ihn lieben zu können. Nicht den Whisky, den Mann. Dabei war Auden wirklich nicht häßlich. Im Gegenteil. Für einen Asiaten recht großgewachsen, eher breit, aber nicht zu breit, breit wie Richard Burton, zudem sehr elegant, eine dunkle Hornbrille tragend, dahinter ein Gesicht, wegen dem einer mal gesagt hatte, Auden sehe aus wie eine Mischung aus Preisboxer und romantischem Schöngeist.
Sie erwähnte den alten Spruch, der Glaube versetze Berge, daß dabei aber gerne übersehen werde, wieviel Werbung im Vorfeld solcher Gläubigkeit für die Versetzbarkeit von Bergen gemacht werde.
«Ich gebe gerne zu«, sagte er,»daß die Verpackung wichtig ist. Aber ist das nicht normal bei einer Spezies, die es aufgegeben hat, nackt durch die Gegend zu laufen?«
«Das ist komisch, daß Sie das sagen«, meinte sie.
«Wieso?«fragte er.
Bekam aber keine Antwort. Erst später, als sie beide miteinander im Bett lagen und Frau Dr. Senft es unterließ, sich vollständig auszuziehen, ihren BH und ihre Bluse anbehielt und ihm zudem verbot, unter ebendiese Bluse zu greifen, verstand er ihre Bemerkung. Er durfte sie berühren, aber eben mit Bluse. Wobei sie sich ihm ja nicht verweigerte. Sie unterband allein den Anblick ihrer vollständigen Nacktheit, im übrigen war sie so liebevoll wie hingebungsvoll.
Er fragte sie, ob es an ihm liege, ob er etwas falsch mache.
Sie schüttelte den Kopf.
Beeilte sich aber, ihm zu versichern, wie wenig sie sich nach einer Gesprächstherapie sehne. Sonst wäre sie nämlich mit ihm an der Bar sitzen geblieben und hätte ihn gefragt, ob er ihr guter Freund werden wolle.»Willst du das?«
«Nein«, sagte er.»Aber man muß auch über manche Sachen sprechen können.«
«Über manche schon«, gab sie zur Antwort und küßte seine glatte warme Brust, die unter der Berührung ihrer Lippen eine hübsche Gänsehaut gebar.
Er mußte sich entscheiden. Und entschied sich. Und zwar eingedenk jenes banalen, aber nicht ganz unrichtigen Spruchs, im Leben werde sowieso zuviel geredet.
Lana und Auden wurden ein Paar. Natürlich war es nicht einfach, sich zu sehen, sie als Ärztin in Tainan, er auf seinen Weltreisen und als Oberhexenmeister in seiner Produktionsstätte nahe Taipeh. Aber sobald sie dann zusammenkamen, wurden es gute Stunden. Nicht nur Stunden, die vom Sex bestimmt waren und vom damit verbundenen Geruch lieblicher Verwesung, sondern auch Stunden auf Parkbänken mit dem damit verbundenen Geruch frisch geschälten Obstes. Nicht zuletzt zählten die Momente, da sie sich unterhielten. Denn natürlich wurde auch gesprochen. Nur nicht über die Frage, wieso Lana sich nicht vollständig auszog.
Übrigens gab es nie Beschwerden, wenn einer von ihnen mal zu spät kam. Niemand notierte, wer häufiger zum Telefon griff. Keiner zählte die eigenen Komplimente oder wie oft man selbst gelächelt hatte und der andere nicht. Gleichwohl dachten sie über viele Dinge recht verschieden. Der Wirtschaftsmann Auden stand sehr viel weiter links als die Hirnspezialistin Lana. Und hätten die beiden eine gemeinsame Wohnung einrichten müssen, es wäre unmöglich gewesen. Aber derartiges kam ohnehin nicht in Frage. Es war Lanas Apartment, in dem man die Nächte und die darauffolgenden Tagesanfänge verbrachte, und es war Auden, der den eher üppigen Einrichtungsstil seiner Geliebten geflissentlich übersah. Dies war Lanas Welt, und er wollte darin kein kritischer Geist sein, sondern ein guter Gast.
Nur in einem trafen sie sich absolut punktgenau. Der Abend, da Auden aufhörte, auf die Verhütung zu achten, fügte sich puzzleartig in eine diesbezügliche Sorglosigkeit ihrerseits.
Sorglosigkeit oder Nachlässigkeit? Wollte Lana Mutter werden? Und Auden Vater?
Warum nicht, dachte er. Er war im richtigen Alter, und schließlich gehörte derartiges zum Leben. Wenn nicht mit dieser Frau, mit welcher dann? Daß sie keine Asiatin war, schien bei alldem keine Rolle zu spielen. Vorerst.
So ging es Monate, ohne daß Lana schwanger wurde. Was ja auch kein definiertes Ziel darstellte. Dennoch paßte es ganz gut, daß genau in dieser Zeit das Gerücht aufkam, eine von Audens Gesichtscremes — eine blaßgrüne, transparente Paste, die aussah wie eingedicktes Bitter Lemon und die Bezeichnung KAI-G7© trug — , diese Paste hätte bei mehreren Frauen angeblich eine Schwangerschaft begünstigt.
Meine Güte! mochte man sagen. Und zwar in vielerlei Hinsicht.
So existierte etwa bezüglich des Namens das Mißverständnis, Auden würde hier auf die Bezeichnung der Gruppe der größten Industrienationen anspielen, als diese ohne Rußland noch nicht als G8, sondern als G7 getitelt wurden. Man hielt das für eine antirussische Geste des in Amerika aufgewachsenen Taiwaners. In Wirklichkeit aber handelte es sich um eine Anspielung auf W. H. Audens und Christopher Isherwoods Theaterstück The Ascent of F6, ein politisches Bergsteigerdrama, das eher antiimperialistisch als antirussisch zu nennen war. F6 imitierte K2, und G7 wiederum entsprach einfach der alphabetischen und zahlenmäßigen Steigerung von F6 um jeweils eine Stufe. — Berge also! Mit Kosmetik hatte das gar nichts zu tun, aber Chen schmuggelte immer wieder Hinweise auf die Audensche Dichtkunst in seine Produkte ein. Und dies allein, um seinen Eltern — die weiterhin drüben in den Staaten lebten — das Vergnügen des Erkennens zu bereiten. Ob hingegen sonst noch jemand den Hinweis verstand oder einzig Mißverständnisse die Runde machten, war ihm gleich.
Auden Chen trug nie etwas dazu bei, Mißverständnisse aufzuklären. Und unterließ auch jeglichen Kommentar, als nun ruchbar wurde, mehrere Benutzerinnen von G7, deren Kinderwunsch angeblich lange Zeit unerfüllt geblieben war, seien nach der monatelangen Benutzung der betreffenden Creme schwanger geworden. Einige von ihnen in einem durchaus als fortgeschritten zu nennenden Alter. Was zu einer Faltencreme ja auch paßte.
Klar, die Sache mit den Schwangerschaften galt vielen als Blödsinn. Andererseits war schwer zu sagen, ob nicht eine bestimmte Ingredienz von G7 einen» Auslöser «besaß, der zusammen mit dem Glauben an versetzbare Berge … Egal, das Gerücht war da und tat seine Wirkung, sosehr die Konkurrenz von einer lancierten Lüge sprach und davon, daß Auden Chen vor keiner Geschmacklosigkeit haltmache. Er hingegen sagte gar nichts dazu und sperrte sich gegen die Bemühungen seiner Mitarbeiter und Abnehmer, die Produktion von G7 zu erhöhen. Er entschied:»Wir machen weiter wie bisher.«