Aber das stimmte nicht ganz. Zumindest nicht in persönlicher Hinsicht. Denn Auden Chen ließ sich von dem kolportierten Wunder inspirieren und füllte eine kleine Menge G7 in ein spezielles Döschen, das von seiner Großmutter stammte und welches er nun Lana schenkte.
War es ihm denn so wichtig, Vater zu werden?
Oder war es nicht eigentlich so, daß er dieses Kind allein darum wollte, um sich solcherart eines Teils von Lana zu versichern? Sollte er Lana je verlieren, würde da noch immer das Kind sein. Und mit Verlieren meinte er jede erdenkliche Möglichkeit, die sich ergab. Ein Kind erschien ihm als Garantie.
Ob nun Lana einen solchen Antrieb ahnte, sollte so unklar bleiben wie die Frage, ob sie überhaupt von dem Gerücht um die G7-Creme gehört hatte. In jedem Fall gefiel ihr das Döschen aus rotem Schnitzlack mit der intensiven Ornamentik. Es war soviel verspielter als die strengen Holzkisten der KAI-Serie. Lana mochte diese alten Dinger, die alle das Wort» Ming «zu morsen schienen. Sie freute sich über das Geschenk und versprach, die Creme zu nutzen.
«Nicht, daß du das nötig hast«, beeilte er sich zu erklären eingedenk jener ersten Bemerkung.»Deine Haut ist wunderbar.«
«Wer weiß schon, was man alles nötig hat?«meinte sie.»Und schaden kann es ja nicht.«
Die Äußerung, etwas könne nicht schaden, paßte nun gar nicht zur Medizinerin Lana. Aber sie sagte es, tauchte ihren Finger vorsichtig in die gallertige Masse und trug sie rechts und links auf ihre Wangenknochen auf. Gleich einer durchsichtigen Kriegsbemalung, die man erst bemerkte, wenn man schon zu nahe war.
Worüber nun jenes Gerücht bezüglich der empfängnisfördernden Kraft von G7 gar keine Auskunft gab, war die Frage, von wem jeweils all diese Frauen schwanger geworden waren. Denn diese Möglichkeit bestand ja gleichfalls, daß nämlich G7 simplerweise den sexuellen Drang förderte, somit mehr ein Aphrodisiakum denn ein Eisprungauslöser war. Gerade auf diese Weise wäre das Phänomen überraschender Fruchtbarkeit gut zu erklären gewesen.
Genau eine solche Überlegung stellte Auden Chen Wochen später an. Erschrocken darüber, sich selbst eine Grube gegraben zu haben.
Lana hatte ihn, während er nach Brisbane unterwegs war, auf seinem Handy erreicht und in einem klaren, sachlichen Ton erklärt, jemanden kennengelernt zu haben.
«Wie soll ich das verstehen?«fragte er, obwohl er es ja wußte.
«Ich habe mit ihm geschlafen.«
«Liebst du ihn denn?«
«Ja.«
«Mehr als mich?«
«Gleich viel, aber anders.«
«Ich will dich aber nicht teilen«, erklärte er, wobei er spürte, wie er soeben seine souveräne Art, mit allem Guten und allem Schlechten in der Welt umzugehen, einbüßte. Er fühlte eine Schwäche. Er sagte:»Mit anders lieben meinst du wahrscheinlich, daß dieser Mann dich ganz ausziehen darf. Habe ich recht?«
Sie schwieg.
«Warum schweigst du?«
«Ist es das, was dich eifersüchtig macht?«fragte sie.»Die Vorstellung, daß ein anderer meine Brüste sehen darf? Meinen Nabel? Meine Rippen?«
Er konnte sich nicht wirklich vorstellen, daß man Lanas Rippen erkennen konnte. So dünn war sie nicht. Doch in der Tat, ihn schmerzte der Gedanke, daß dieser andere Mann in Lanas Geheimnis eingeweiht wurde, gleich, wie horribel oder tragisch oder banal selbiges sein mochte.
Und dann sagte Auden, der einst so Beherrschte, mit einer ihn selbst erschreckenden Plötzlichkeit:»Wenn ich den Kerl in die Finger kriege, reiß ich ihm den Kopf ab.«
«Und du meinst, das würde mich ganz zu dir zurückbringen?«
«Bist du denn weg von mir? Nur weil du mit ihm geschlafen hast?«
«Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.«
«Ach ja, so sicher ist das also schon.«
«Wahrscheinlich schon, Auden. Es ist eben mehr als ein kleiner Seitensprung.«
Er stellte sich vor, wie beklemmend es sein mußte, in Lana jetzt dort einzudringen, wo zuvor ein anderer gewesen war. Einen Mund zu küssen, den ein anderer geküßt, eine Zunge zu berühren, die mit einer anderen Zunge kürzlich verschmolzen gewesen war. Das hatte nicht unbedingt mit Besitzanspruch zu tun. Es war viel einfacher. Ganz in der Art des Ekels, wenn man ein Glas an die Lippen setzt und noch während des Schluckens begreift, nach dem falschen Glas gegriffen und folglich das Getränk eines fremden Menschen im Mund zu haben. Woraus sich eine massive Vorstellung von der Welt der Bakterien ergibt. Bakterien, die freilich genauso in der Luft sind und auch in noch so ausgewaschenen Gläsern drohen. Und doch … man nimmt sie bei einem Glas, aus dem gerade ein anderer getrunken hat, soviel deutlicher und intensiver und bedrohlicher wahr.
Stadtluft einatmen und Hände schütteln war etwas anderes als Trinken und Geschlechtsverkehr. Jetzt abgesehen von der Vorstellung, auch der andere Mann hätte auf die Benutzung eines Präservativs verzichtet.
Lana erklärte, sie könne noch nicht sagen, wohin das alles führe. Aber sie habe ganz offen sein wollen. So, wie man das ja abgemacht hatte. Nicht über alles und jedes zu reden, aber darüber eben schon, wenn einer von ihnen jemanden Dritten ins Spiel brachte.
«Ist er Amerikaner?«fragte Auden.
«Wieso gerade das? Nein, Deutscher.«
«Na, dann paßt es ja bestens.«
«Was soll das jetzt?«
«Wir haben nie darüber gesprochen, Lana, aber seien wir ehrlich, so hübsch diese Mischlingskinder aussehen, man will es ihnen nicht wirklich antun, oder? Die Eltern, die vorgeben, so was wäre überhaupt kein Problem, machen sich was vor.«
«Du magst sogar recht haben«, antwortete Lana,»aber das ist absolut nicht der Grund, daß ich diesen Mann kennengelernt habe. Ich habe nirgends annonciert, ich habe niemals gefleht: Lieber Gott, gib mir einen Deutschen!«
Doch Auden fragte:»Und was soll ich jetzt tun? Darauf warten, daß du seiner überdrüssig wirst?«
«Du kannst nicht sicher sein, daß ich das überhaupt werde.«
«Bist du denn meiner überdrüssig?«
«Gar nicht«, sagte sie. Und fügte an:»Leider. Es wäre dann einfacher. Manchmal ist das so. Manchmal wird nicht das eine durch das andere ersetzt. Sondern es kommt etwas dazu. Die Welt wird größer. Notgedrungen wird sie dann auch komplizierter.«
Eine Äußerung, die Auden mit einem verächtlichen Ton quittierte und Lana fragte, wo sie diesen Mann kennengelernt habe.
«Was bringt das denn?«
«Sag schon!«
«Hör zu, Auden, er war ein Patient von mir. So was kommt vor. Und jetzt hör auf, mich zu löchern.«
Er stellte sich vor, wie hübsch sie selbst noch durchlöchert aussehen würde, und fügte darum eine weitere Frage an:»Willst du denn, daß ich mit diesem Mann konkurriere?«
Sie lachte kalt und äußerte:»Jedenfalls nicht in der Weise, sofort herzufliegen und ihm den Schädel einzuschlagen.«
Auden versicherte, das sei ihm nur so herausgerutscht. Doch die Wahrheit war die, daß er diesem Kerl noch was ganz anderes hätte ausreißen mögen. So plötzlich ihn das Gefühl des Hasses gegen den Unbekannten auch ereilt hatte, spürte es sich dennoch befriedigend an. Es war gleich dem Reiz der Ausnahme. Etwas tun, wofür man nicht bestraft wurde. Als hätte jeder Mensch zumindest eine Bösartigkeit frei.
Auden sagte:»Ich muß überlegen, was ich tue.«
«Tu mal gar nichts«, schlug Lana vor.»Machen wir einfach eine Pause.«
Er aber meinte:»Wie soll ich mir eine Pause vorstellen? Nicht an dich denken?«