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Einige Tage später landete er erneut in Australien, diesmal in Perth. Nach dieser letzten Station seiner Reise wollte er nach Taiwan zurückkehren und Lana aufsuchen, um ein entscheidendes Gespräch zu führen. Er wollte, so gut es ging, einen reinen Tisch schaffen.

Zum Abendessen traf er sich mit einer Gruppe von lokalen Geschäftsleuten, die sich bemühten, eine KAI–Vertretung in Perth zu etablieren. Die Art und Weise, wie diese Leute über G7 sprachen, zeigte, wie sehr derzeit ein bloßes Gerücht bestand, aber eben auch der Wille, diesem Gerücht — wie die kleine Französin es ausgedrückt hatte — eine feste Form zu verleihen. Nicht etwa das Geheimnis geheimnislos zu machen, sondern einen Mythos in die Welt zu setzen. Vielleicht ähnlich dem, den man von Bachblüten kannte. Medizin vom lieben Gott.

Und welche Medizin könnte göttlicher sein als die, die neues Leben schuf?

Doch Auden fühlte sich erschöpft wie selten noch. Die ganzen letzten Tage schon. Man kann vielleicht sagen, zu dem Floh in seinem Ohr war ein Gewicht in seinem Kopf hinzugekommen.

Gegen elf Uhr bat er, sich zurückziehen zu dürfen. Er werde sich das Angebot der Perth-Leute genau überlegen. Dann fuhr er hoch in sein Hotelzimmer, wo er noch ein kleines Glas Bourbon trank, sich bis auf die Unterhose auszog und aufs Bett warf. Sekunden später war er eingeschlafen.

Er träumte. In diesem Traum war eine riesige Menschenmenge. Und in dieser Menge jemand, der ein Schild hochhielt. Darauf stand ein Wort. Allerdings schwer zu lesen. Was ja eigentlich ein Witz war, unleserliche Plakate schreiben. Wie in diesem Woody-Allen-Film, wo sich alle schwertun, die schriftliche Forderung des Bankräubers zu entziffern.

Auden drängte sich durch die Massen. Endlich war er nahe genug, das eine Wort zu erkennen. Aufwachen! stand da.

Es war wohl die heftige Anstrengung, nämlich die Anstrengung beim Lesen, die ihn tatsächlich aus dem Traum trieb. Er öffnete seine Augen.

Er lag in völliger Dunkelheit. Spürte aber sofort, nicht allein zu sein. Es war eine Bewegung im Raum, eine vorsichtige, eine Katzenbewegung oder, besser gesagt, eine Großkatzenbewegung, die aber auch etwas Schwerfälliges hatte. Ein alter Tiger oder alter Löwe.

Auden vernahm das Geräusch, das sich daraus ergab, daß jemand den Kleiderschrank geöffnet hatte und sich an den Anzügen zu schaffen machte. Mit leisen Pfoten, keine Frage. Aber in tiefer Nacht war auch das Leise ein Lautes.

Auden überlegte, daß es das Sicherste wäre, sich schlafend zu stellen und den Raub vorübergehen zu lassen. Wobei sich natürlich die Frage stellte, worauf der Einbrecher es abgesehen hatte. Geld? Schmuck? Oder geschah jetzt genau das, wovor die alte Französin ihn gewarnt hatte? War er, Auden, verraten worden? Und wurde gerade versucht, an die Rezeptformel zu gelangen, die er in einem Buch versteckt hatte, das Das Zeitalter der Angst hieß?

Wenn er nun das Licht anmachte und den Einbrecher zur Rede stellte …

Meine Güte, konnte man denn Einbrecher zur Rede stellen? Waren Einbrecher Kinder, die man ertappte, wie sie gerade ihre Finger in die Schokocreme tauchten? Aber beim nächsten Mal …

Immerhin befand sich Auden Chen in einem ziemlich guten Zustand. Körperlich gesehen. Er konnte Judo, und er konnte boxen. Wobei allerdings die Projektile, die aus Waffen flogen, völlig blind waren für die Nahkampfkünste der Menschen. Niemand war so blind wie eine todbringende Kugel.

Dennoch, die Vorstellung, Das Zeitalter der Angst und damit sämtliche KAI-Rezepte könnten gestohlen werden, führte dazu, daß Auden entschlossen aus dem Bett sprang und mit dem Gewicht seines muskulösen Körpers in Richtung Kleiderschrank stürmte. Dabei prallte er gegen die Tür, welche wiederum auf den dahinter stehenden Körper stieß. Ein Körper, der umfiel.

Auden hingegen war in der Aufrechten geblieben, eilte hinüber zum Fenster und zog den Vorhang zur Seite, hinter dem das leuchtende Perth lag. Im Perthlicht erkannte Auden die Fußtaste einer Stehlampe und betätigte sie. Gleich darauf auch einen Generalschalter, der sämtliche Lichter des Hotelzimmers in Betrieb setzte.

Heller ging es nicht mehr.

Ein Mann lag am Boden, bewegungslos. Neben ihm eine Pistole, deren Lauf die typische Verlängerung eines Schalldämpfers besaß. Daneben eine Taschenlampe, deren Lichtstreifen eine ovale Sonne auf den Teppichboden brannte.

Auden wollte zum Telefonhörer greifen. Aber seine Hand schwang am Hörer vorbei und faßte nach der Pistole. Der ersten echten in seinem Leben. Alle anderen waren Spielzeugwaffen gewesen. Und er griff keine Sekunde zu früh. Denn in diesem Moment löste sich der am Boden Liegende aus seiner kurzen Betäubung. Er richtete sich halb auf, kam auf die Beine, hielt sich eine Hand an die Schläfe, blinzelte hinüber zu Auden und erkannte die Waffe in dessen Hand. Er seufzte, tat einen Schritt zurück und ließ sich in die Mitte eines Sofas fallen.

Er wirkte sehr müde. So, wie sich Auden Stunden zuvor noch gefühlt hatte. Nur war dieser Mann hier um einiges älter und sehr viel unförmiger. Ein gealterter James Bond. In seinem schwammigen Gesicht — mit Augenschlitzen so eng, als müßten die Lider ein linsengroßes Ei festklammern — öffnete sich ein kleiner Mund. Der Mann fragte:»Können Sie mit so einer Waffe überhaupt umgehen?«

«Ich weiß nicht«, sagte Auden.»Ich denke, man drückt einfach ab.«

Genau das tat er auch.

Ja, ein Schuß fiel. Nicht mit Absicht, natürlich nicht. Sondern so, wie wenn man jemanden bittet, still zu sein, und, während man das sagt, sich automatisch den Finger an die Lippen legt.

Indem er vom Abdrücken sprach, drückte er ab.

Glücklicherweise war der Lauf nicht gegen das besetzte Sofa, sondern gegen den unbesetzten Polstersessel gerichtet gewesen, so daß die Kugel, die mit einem Flupp! den Schalldämpfer verließ, mit einem ganz ähnlichen Flupp! in die Rückenlehne des Möbels eindrang und ausdrang und auch noch die dahinter liegende Wand perforierte. Hätte dort eine Person gesessen, sie hätte nun auf Brusthöhe einen Tunnel gehabt.

«Zum Teufel! Vorsicht!«rief der Mann, dem diese Waffe eigentlich gehörte.

«Verzeihung«, sagte Auden und lachte in der Art des Fassungslosen. Fassungslos worüber? Daß er geschossen hatte? Oder daß er sich dafür entschuldigte?

Auden trat nun einen Schritt hinüber zum Kleiderschrank, um rasch festzustellen, daß das Buch fehlte, welches er bei sich auch gerne das» Angstbüchlein «nannte.

«Her damit!«verlangte er.

«Und wenn nicht?«

Auden legte die Waffe aufs Bett und näherte sich dem Mann auf dem Sofa. Dieser hob die Arme leicht an und sagte:»Sie brauchen mich nicht zu schlagen.«

«So weit wollte ich gar nicht gehen«, äußerte Auden.

Der andere griff sich in die Jackentasche, zog das Buch hervor und händigte es aus. Wobei er erklärte:»Das nützt Ihnen auch nichts. Oder denken Sie, die geben auf?«

«Wer sind die

«Das wissen Sie nicht?«staunte der Mann.»Also, wenn Sie es nicht wissen … Sie sollten Ihre Gegner kennen.«

«Und Sie sollten Ihre Auftraggeber kennen.«

«Ich bitte Sie, darin besteht doch der Sinn, daß ich keine Ahnung habe, wer das ist. Und einfach tue, wofür ich bezahlt werde.«